Finanzen

EZB warnt: Das Gespenst der Deflation ist zurück

Die Europäische Zentralbank warnt vor deflationären Tendenzen in Europa. Viele Branchen dürften in Wahrheit aber weit von sinkenden Preisen entfernt sein.
02.07.2020 14:00
Aktualisiert: 02.07.2020 14:01
Lesezeit: 2 min
EZB warnt: Das Gespenst der Deflation ist zurück
Ein Angestellter wechselt an einer Tankstelle Preise. (Foto: dpa) Foto: Roland Weihrauch

Das finnische Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), Olli Rehn, hat wegen der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise vor sinkenden Preisen in der Eurozone gewarnt. "Die Gefahr einer Deflation ist wieder aufgetreten", sagte Rehn in einem Interview mit dem Handelsblatt. Man habe es mit einer Angebots- und einer Nachfragekrise zu tun. Vor allem aber fehle im gemeinsamen Währungsraum die Nachfrage, was tendenziell die Preise drücke, sagte der Präsident der finnischen Notenbank weiter.

Sinkende Verbraucherpreise sind gefährlich für die konjunkturelle Entwicklung. Sie können eine Abwärtsspirale auslösen, wenn Verbraucher auf weiter fallende Preise spekulieren und große Kaufentscheiden immer weiter nach hinten schieben. In der Eurozone ist die Inflation im Juni offiziell zwar etwas gestiegen, sie hielt sich mit 0,3 Prozent aber nur knapp über der Nullmarke. In den kommenden Monaten rechnen Beobachtern wegen der Corona-Krise mit einer weiter schwachen Preisentwicklung.

Fakt ist jedoch, dass die offiziellen Inflationszahlen nicht aussagekräftig sind, wie der Finanzexperte Michael Bernegger in einer fundierten Analyse vor einigen Monaten in den Deutschen Wirtschaftsnachrichten ausgeführt hatte. Demzufolge ist das Ausmaß der wahren Inflation viel höher als angegeben – die Gefahr einer Deflation derzeit daher nicht real.

Interessant ist darüber hinaus, dass Rehn eine Abkopplung der Finanzmärkte - besonders der Aktienmärkte - von der Realwirtschaft konstatiert. Tatsächlich lässt sich deren massiver Boom seit dem Einbruch der Kurse im April nicht durch die trüben Aussichten für die Weltwirtschaft rechtfertigen. So erwartet die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ebenso wie der Internationale Währungsfonds (IWF) inzwischen eine schwere Schuldenkrise mit Pleitewellen und Schuldenschnitten, beginnend wahrscheinlich im Herbst.

Dieter Kuckelkorn von der Börsen-Zeitung sprach Anfang Juni in einem Kommentar mit Blick auf das Phänomen vom „Gipfel des Absurden“:

Die Welt befindet sich in der schwersten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren, aber die Aktienmärkte befinden sich in Jubelstimmung: Der US-Technologieindex Nasdaq Composite erreichte am Montag ein weiteres Allzeithoch. Der scharfe Knick durch den Ausbruch der Coronakrise ist längst ausgebügelt, gegenüber dem Jahresanfang befindet sich der Index mit fast 10 Prozent im Plus.

Demgegenüber sehen die volkswirtschaftlichen Realitäten trübe aus. So schätzt die Federal Reserve Bank von Atlanta aktuell in ihrem sehr zeitnah erstellten Modell "GDPnow" den gegenwärtigen Rückgang des US-Bruttoinlandsproduktes (BIP) auf annualisiert 53,8 Prozent. Das ist natürlich nur eine Momentaufnahme. Aufs Quartal und erst recht aufs Gesamtjahr bezogen wird der Rückgang der Wirtschaftsleistung wesentlich geringer ausfallen. Gleichwohl wird deutlich, dass die Diskrepanz zur Lage am Aktienmarkt so groß ist wie noch nie.

Der jüngste Euphorie-Anfall an der Wall Street wurde von US-Arbeitsmarktdaten ausgelöst. Die Arbeitslosenquote betrug danach im Mai nur 13,3 Prozent nach 19,7 Prozent im April. Erwartet worden war ein weiterer Anstieg auf rund 20 Prozent. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass die US-Arbeitsmarktstatistik im Wesentlichen aus heißer Luft besteht. Legt man die deutlich breiter berechnete U6-Arbeitslosenquote zugrunde, sind 20,7 Prozent der arbeitenden US-Bevölkerung erwerbslos oder unfreiwillig stark unterbeschäftigt. Zählt man noch weitere 3 Millionen Arbeitslose dazu, die gar nicht von der Statistik erfasst werden, käme man sogar auf 25 Prozent.

Man mag einwenden, dass sich die Börse nicht auf die Gegenwart, sondern auf die Zukunft fokussiert und eine steile Erholung antizipiert. Dies ist aber unrealistisch: Das Congressional Budget Office (CBO) erwartet, dass der US-Wachstumstrend von vor der Krise frühestens 2029 wieder erreicht wird. Nach CBO-Berechnungen ist durch die Krise eine Wirtschaftsleistung von 16 Bill. Dollar bzw. 5,3 Prozent des nominalen US-BIP dauerhaft verloren gegangen. Zwei Millionen Jobs sollen bereits dauerhaft weggefallen sein.

Hinter der Hausse am Aktienmarkt steht die Flutung der Finanzmärkte mit Liquidität, die völlig aus dem Ruder gelaufen ist: Zentralbankgeld macht derzeit enorme 22,3 Prozent des globalen BIP aus, 1992 waren es gerade einmal 3,7 Prozent und 2007 noch 7,2 Prozent. Da ein Ende dieser Entwicklung nicht absehbar ist, wird man sich daran gewöhnen müssen, dass die Aktienmärkte in absurden Höhen losgelöst von der Realwirtschaft operieren.

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