Politik

Neue globale Verantwortung: Deutschlands Marine muss die Freiheit der Seewege schützen

Was bedeutet der Abzug von 9.500 amerikanischen Soldaten aus Deutschland? Wie soll unser Land in Zukunft sicherheitspolitisch agieren? Sollen deutsche Soldaten weltweit präsent sein? Diesen und vielen weiteren Fragen von DWN-Chefredakteur Hauke Rudolph stellt sich Fritz Felgentreu, SPD-Bundestagsabgeordneter, Obmann im Verteidigungsausschuss und ausgewiesener Sicherheits-Experte.
04.07.2020 06:50
Aktualisiert: 04.07.2020 06:50
Lesezeit: 4 min
Neue globale Verantwortung: Deutschlands Marine muss die Freiheit der Seewege schützen
Deutschland wird seinen Teil zur weltweiten Sicherheit beitragen müssen. (Foto: dpa)

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie beurteilen Sie den geplanten Abzug der US-Truppen aus Deutschland?

Fritz Felgentreu: Die Aktion ist ausschließlich politisch, nicht geostrategisch motiviert. Der US-Präsident will im Wahlkampf damit punkten, die Boys heimgeholt zu haben. Und zwar aus einem Land, das er im Laufe seiner Präsidentschaft zunehmend als Gegner der USA stilisiert hat. „Ich zeig´s den Deutschen“: Das ist die Botschaft, die Trump seinen Anhängern und den noch unentschlossenen Wählern vermitteln will.

In der vergangenen Sonntags-Ausgabe des einflussreichen „Wall Street Journal“ hat Trumps Nationaler Sicherheitsberater Robert C. O´Brien eine ausführliche strategische Begründung für den Truppenabzug veröffentlicht. Doch das ist nicht mehr als politische Nachsorge – die Entscheidung hatte ausschließlich wahltaktische Gründe.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was bedeutet der Truppenabzug konkret für unser Land?

Fritz Felgentreu: Deutschlands Sicherheit tangiert er eher wenig – die Truppen spielen beziehungsweise spielten für die Verteidigung der Bundesrepublik eine untergeordnete Rolle. Wichtig waren sie als Basis für internationale militärische Aktivitäten der US-Streitkräfte in Nordafrika, im Mittleren Osten, in Asien. Die hat Trump durch seine Entscheidung erschwert.

Aber natürlich hat der Abzug einen psychologischen Effekt – schließlich sind die USA das mit Abstand größte Nato-Mitglied. Auf die Länder an der Ostflanke des Bündnisses wie die Baltenrepubliken, Polen, Ungarn, Rumänien, wirkt es beunruhigend, wenn die Amerikaner ihr europäisches Engagement verringern. Ich bin mir sicher, dass Trumps Entscheidung in den osteuropäischen Hauptstädten mit Sorge zur Kenntnis genommen worden ist.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wenn die Entscheidung nur aus wahltaktischen Gründen getroffen wurde, könnte sie nach der Wahl doch wieder rückgängig gemacht werden?

Fritz Felgentreu: Das glaube ich nicht. Sehen Sie, Trump wird unterschätzt. So einfach ist es nicht, ins Amt des Präsidenten der USA gewählt zu werden – da bedarf es schon einer ganzen Reihe von Fähigkeiten. Das heißt, Trump redet nicht einfach so daher. Er hat immer wieder betont, dass ihm die transatlantischen Beziehungen egal sind, dass ihm die Nato egal ist. Wenn er das regelmäßig wiederholt, sollte man ihm das dann auch glauben. Das heißt, er ist sich schon im Klaren darüber, was die Abzugs-Entscheidung bedeutet. Und er hat sie nun mal getroffen und wird sie nicht wieder zurücknehmen.

Nun finden allerdings im November die Präsidentschaftswahlen statt. Sollte Joe Biden gewinnen, ist es gut möglich, dass er die Entscheidung revidieren wird.

Was Biden dagegen nicht revidieren wird, nicht revidieren kann, ist Amerikas abnehmendes Interesse an Europa und seine Hinwendung zum Pazifik. Die hat bereits unter Bill Clinton begonnen und stellt einen langfristigen Trend dar, der sich in den nächsten Jahren noch verstärken wird. Wobei man betonen muss, dass es sich dabei nicht um eine

Entscheidung handelt, bei der Amerika wirklich eine Wahl hätte. Es ist nun einmal so, dass China sich zum größten Konkurrenten der USA und des Westens emporgeschwungen hat. Darauf muss Washington reagieren – ob es will oder nicht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und was bedeutet das für Deutschland?

Fritz Felgentreu: Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, sollten wir uns darüber klar werden, was für ein Verhältnis Deutschland zu den USA anstreben sollte.

Die USA sind weiterhin wirtschaftlich und militärisch die größte westliche Macht. Unstrittig ist, dass die beiden Länder ein ähnliches Gesellschafts-, Wirtschafts- und Rechtssystem haben – die Beziehungen zwischen ihnen sind daher die einer natürlichen Allianz. Darüber, dass es im deutschen Interesse liegt, die Westbindung aufrechtzuerhalten, kann es vor diesem Hintergrund überhaupt keinen Zweifel geben.

Aber auch für die Vereinigten Staaten ist eine weitere enge Anbindung an Europa und damit auch an Deutschland von großer Bedeutung. Sie benötigen Europa als Ausgangspunkt für ihre Aktivitäten in Weltregionen wie Afrika und Asien. Man darf auch nicht vergessen, dass ihre globale Dominanz im Schwinden begriffen ist, weshalb es in ihrem Interesse liegt, Verbündete zu haben. Und zwar nicht nur in militärischer, sondern auch und gerade in politischer Hinsicht.

Das heißt, die beiden Seiten müssen sich zusammenraufen. Für Deutschland bedeutet das unter anderem, anzuerkennen, dass die USA nicht mehr bereit sind und wohl auch nicht mehr fähig, den Weltpolizisten zu spielen. Wir müssen die Amerikaner daher weltweit unterstützen – zum Beispiel ist die Freiheit der Seewege für unseren Export von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig benötigen wir, benötigt Europa die USA als Verbündeten für die Verteidigung des Kontinents. Tatsache ist, dass die Aufgabenverteilung innerhalb der Nato immer wieder aufs Neue ausgehandelt wird. Das wird auch in Zukunft so sein – auf beide Seiten wartet viel Arbeit, sowohl bei der Konzeption als auch bei der anschließenden praktischen Umsetzung.

Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen ergibt sich: Deutschland wird dauerhaft einen größeren Beitrag für die Landes- und Bündnisverteidigung leisten müssen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Das heißt, Sie setzen sich für das Zwei-Prozent-Ziel ein?

Fritz Felgentreu: Nein, denn die zwei Prozent sind nur eine Chiffre für eine tragfähige Landesverteidigung. Je nachdem, wie sich das BIP entwickelt, würden wir dann jeweils mehr oder weniger in unsere Streitkräfte investieren.

Darum sage ich: Nicht zwei Prozent müssen das Ziel sein, sondern 100 Prozent. Was ich damit ausdrücken will: Die Bundeswehr ist eine kleine Armee und wird das voraussichtlich auch bleiben. Dafür sollte sie aber hundertprozentig einsatzfähig sein, unabhängig von Konjunkturschwankungen.

Wichtig wird es sein, die Seestreitkräfte zu stärken, da sie voraussichtlich deutlich an Bedeutung gewinnen werden. Ich möchte daran erinnern, dass es für eine Marine häufig schon reicht, Präsenz zu zeigen, das heißt, Entschlossenheit und Kampfkraft zu demonstrieren.

Dann ist da die kritische Infrastruktur, beispielsweise Satelliten. Die müssen einwandfrei funktionieren und dürfen im Konfliktfall nicht leicht ausgeschaltet werden können, weil über sie unter anderem die Luftabwehr organisiert und Teile des Heeres gesteuert werden.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil:

  • Welche 28. Armee aufgestellt werden sollte
  • Warum Deutschland kein Vasall der USA ist - im Gegenteil
  • Wie sich Deutschland gegenüber China behaupten muss

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