Dem Management der russischen NLMK-Stahl-Gruppe – einem der größten Konzerne Russlands – weht derzeit ein eisiger Wind entgegen. Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass das Unternehmen von massiven Rückgängen im zweistelligen Prozentbereich gebeutelt wird, weil die Absatzmärkte weggebrochen sind.
Dies ist sogar für ganz Russland ein Problem, weil die Gruppe aufgrund ihrer Größe der gesamten russischen Wirtschaft ihren Stempel aufdrückt. Sie generiert pro Jahr zehn Milliarden Dollar Umsatz und ist Marktführer in der Stahlbranche – einer Schlüsselindustrie.
Doch setzt nun die Führungsriege um CEO Oleg Bagrin, der seit acht Jahren den Stahl-Giganten führt, auf ein völlig neues Geschäftsfeld, um die Krise zu meistern: So hat das Unternehmen eine besondere Stahlsorte für den russischen Windpark-Betreiber NovaWind (NW) entwickelt, der damit seine Anlagen baut. NW ist eine Tochtergesellschaft des einheimischen Atomkonzerns Rosatom, die bis 2023 Windpark-Projekte im Süden Russlands bauen will. Das geht aus einer offiziellen Erklärung des Konzerns hervor.
Demzufolge hat der Windpark-Betreiber vor, Anlagen zu bauen, die über eine Kapazität von 1.000 Megawatt (MW) verfügen – also etwa so viel, wie ein klassischer Kohlekraftwerks-Block im Jahr produziert. „Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, braucht NW einheimischen Stahl, der über verbesserte Eigenschaften verfügt, die bei der Produktion von Energie-Turbinen notwendig ist – dem Kernstück der Windparks“, sagte Ilya Guschin, der Sprecher von NLMK. „Der Konzern verfügt über alle Kompetenzen, um innovative Formen von Stahl zu entwickeln und herzustellen. Es ist für uns sehr spannend, Teil eines sehr ehrgeizigen grünen Energieprojektes zu sein“, erklärte der Sprecher.
Russland beginnt 2017 mit Windpark-Programm
Hintergrund: Der russische Atomkonzern Rosatom hat bereits vor drei Jahren seine neue Windpark-Tochter NW gegründet, um die Strategie der russischen Regierung für die Erzeugung von Grüner Energie umzusetzen. NW hat nun mit dem Bau der Anlagen in Marchenkowskaja (Region Rostow) und in Karmalinovskaya (Region Stawropol) begonnen – an der ukrainischen Grenze beziehungsweise nördlich von Georgien.
Der Park in der Nähe von Rostow soll eine Gesamtkapazität von 120 MW erreichen. An diesem Standort werden 48 Turbinen mit jeweils 2,5 MW errichtet. Das Investitionsvolumen: 16 Milliarden Rubel oder 184 Millionen Euro.
In der Region Stawropol hat bereits Ende Juli 2020 der Bau eines weiteren Windparks in der Gegend begonnen. Die Leistung, die hier gebaut werden soll, beträgt 60 MW, die Stromerzeugung soll 147 Mio. kWh erreichen. Am Standort werden 24 Windkraftanlagen mit ebenfalls je 2,5 MW installiert.
Nettogewinn des Stahlgiganten bricht um 54 Prozent ein
Vom Bau der Windparkanlagen will auch die NLMK-Gruppe profitieren. Das ist derzeit besonders wichtig, weil der Konzern bis Ende Juni massive Einbrüche hat hinnehmen müssen. So sind die Umsätze im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 18 Prozent auf 4,6 Milliarden Dollar eingebrochen. Ebenso reduzierte sich der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) auf 1,2 Milliarden Dollar. Darüber hinaus verringerte sich der Nettogewinn um 54 Prozent auf 366 Millionen Dollar.
Allerdings muss man das gesamte Windpark-Projekt doch sehr skeptisch sehen, auch wenn sich Konzernsprecher Guschin von der NLMK-Gruppe so freut daran teilzunehmen. Denn die Kapazität, die hier gebaut werden soll, ist mit 1.000 MW nicht sonderlich groß. Sie würde damit nur einen Bruchteil dessen erreichen, was Deutschland bereits gebaut hat.
Zum Vergleich: Die fast 30.000 Windparks, die in Deutschland betrieben werden, hatten bis Ende Juni 2020 eine Kapazität von mehr als 54.000 MW, wie aus Statistiken des Bundesverbandes Windenergie (BWE) hervorgeht. Das Vorhaben ist sehr ambitioniert, dürfte doch es kurzfristig nur wenig wirtschaftliche Effekte bringen, selbst wenn es vollständig umgesetzt wird. Ob der NLMK-Gruppe tatsächlich geschäftlich so viel bringt, steht in den Sternen.