Politik

Wer ein Interesse an der Bargeld-Abschaffung hat

Lesezeit: 8 min
15.08.2020 08:15
Hinter dem Bestreben, Bargeld aus dem Zahlungsverkehr zu verbannen, steht eine durchaus heterogene Gemeinschaft mit Eigeninteressen.
Wer ein Interesse an der Bargeld-Abschaffung hat
Mitglieder der "Better than Cash Alliance" sind auch Regierungen. (Foto: dpa)
Foto: Jim Lo Scalzo

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Weltweit haben Unternehmen, Regierungen, Banken und Organisationen ein Interesse daran, Münzen und Banknoten im Zahlungsverkehr zurückzudrängen oder sogar ganz daraus zu verbannen. Ebenso vielfältig wie diese Interessengruppen selbst sind auch die einzelnen Motive, welche das Engagement gegen Bargeld vorantreiben. Mit dem Internationalen Währungsfonds und der „Better than Cash Alliance“ (BTCA) haben sich in den vergangenen Jahren zwei wichtige Vorreiter der Bewegung positioniert. Doch die Gruppe ist noch weitaus größer und mächtiger als diese beiden Institutionen.

Der IWF legt das theoretische Fundament

Der Internationale Währungsfonds (IWF) leistet seit einiger Zeit theoretische Vorarbeiten für die Zurückdrängung des Bargeldes aus dem Zahlungsverkehr. So hatte der Fonds unter der Führung der heutigen EZB-Präsidentin Christine Lagarde seit 2017 mit zwei entsprechenden Studien zum Thema auf sich aufmerksam gemacht.

So untersuchten die IWF-Ökonomen in einem im April 2019 veröffentlichten Arbeitspapier, ob und wie Negativzinsen auf Bankguthaben erhoben werden könnten, um die wirtschaftliche Aktivität in einer Volkswirtschaft anzufachen. Sparer würden den Überlegungen zufolge also dafür bestraft, dass sie Geld auf ihrem Konto halten, anstatt es auszugeben und würden praktisch per Androhung von Strafzinsen gezwungen, das Geld zu bewegen.

Auf Sparkonten angerechnete Negativzinsen funktionieren jedoch nur, wenn weitreichende Beschränkungen gegen die Verwendung von Bargeld eingeführt werden. Ansonsten könnten die Sparer ihre Guthaben abheben und vor den Strafzinsen unter der sprichwörtlichen Matratze in Sicherheit bringen.

Die IWF-Ökonomen schlagen deshalb einen Mechanismus vor, um Bargeld gegenüber dem auf dem Bankkonto gehaltenen Giralgeld abzuwerten. Es gäbe in diesem Fall also verschiedene Preise für ein und dasselbe Produkt – zahlt man für dieses in bar, ist es teurer als bei elektronischer Zahlung. Selbstverständlich muss die Abwertung höher ausfallen, als die auf das Giralgeld angerechneten Negativzinsen, um die Bürger unter Anwendung von Zwang selbst zu elektronischen Bezahlsystemen greifen zu lassen.

Festzuhalten bleibt, dass eine Realisierung der Gedankenspiele des IWF einen schwerwiegenden Eingriff in die Selbstbestimmung der Bürger und ihrer verfassungsmäßig garantierten Rechte handelt. Allein der Umstand aber, dass der IWF die Idee theoretisch untersuchen lässt, sollte alle Alarmglocken schrillen lassen und ernste Zweifel an der Stabilität des Fiat-Geldsystems wecken.

Wie konkret die Überlegungen des Fonds bezüglich des Kampfes gegen das Bargeld schon sind, wurde bereits aus der früheren Anti-Bargeld-Studie des IWF deutlich. Wie die Frankfurter Rundschau berichtet, empfahlen die Ökonomen in dem 2017 erschienenen Arbeitspapier Methoden, wie Bargeld aus dem öffentlichen Zahlungsverkehr zurückgedrängt werden könnte, ohne dass es zu wütenden Protesten der Bürger kommt. Empfohlen wird den Politikern und Bank-Funktionären beispielsweise, Münzen und Scheine in kleinen, unverdächtig erscheinenden Schritten aus dem Alltag verschwinden zu lassen – allzu abrupte Maßnahmen würden von der überraschten Öffentlichkeit stärker hinterfragt werden. Auch könne sich bei den Menschen ein „Gefühl der Überwachung“ einstellen.

Eine Umsetzung dieser schrittweisen Maßnahmen ist bereits an mehreren Stellen erkennbar. So stellte die EZB die Produktion des 500-Euro-Scheins im April 2019 ein und mehrere EU-Länder haben die Höchstgrenzen für Barzahlungen in den vergangenen Jahren gesenkt. Zuletzt hatte die italienische Regierung die Obergrenze auf nur noch 2.000 Euro gesenkt.

Die „Better than Cash Alliance“ – Plattform für den Anti-Bargeld-Kampf

Eigenen Angaben zufolge hat die im Jahr 2012 gegründete „Better than Cash Alliance“ (BTCA) inzwischen 75 Mitglieder. Dabei handelt es sich sowohl um Regierungen (vornehmlich repräsentieren diese Staaten in Asien, Afrika und Südamerika) als auch um Unternehmen und eine Vielzahl unterschiedlichster Organisationen.

Hauptfinanziers – die sogenannten „Resource Partners“ – sind eigenen Angaben zufolge die Bill and Melinda Gates-Stiftung, das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die US-Kreditkartenkonzerne Mastercard und Visa, der United Nations Capital Development Fund, das US-Hilfswerk USAID sowie die einer breiteren Öffentlichkeit praktisch unbekannten Organisationen Sida, Flourish und Norad&Vipps.

Die Bundesregierung soll die BTCA zwischen 2016 und 2018 mit insgesamt einer halben Million Euro unterstützt haben, wie aus einer Antwort auf eine Anfrage der AfD aus dem Jahr 2018 hervorgeht. Darin schrieb die Bundesregierung damals auch, dass in Zukunft keine weitere Förderung der Organisation vorgesehen sei.

Die an der BTCA beteiligten Regierungen repräsentieren eine Reihe sehr unterschiedlicher Länder. Die wichtigsten darunter sind Indien (welches Ende 2016 überraschend eine Bargeld-Reform mit schwerwiegenden Folgen für die Volkswirtschaft des Landes durchgeführt hatte), Mexiko, Vietnam, die Philippinen und Indonesien. Bei den anderen Ländern handelt es sich typischerweise um Staaten mit geringer Wirtschaftsleistung und mangelhafter Infrastruktur wie beispielsweise Papua-Neuguinea, Bangladesch oder Benin.

Auffallend ist, dass sich nur wenige Konzerne dem Projekt angeschlossen haben. Bei den nur acht Unternehmen, die Teil der BTCA sind, handelt es sich um sehr unterschiedliche Vertreter verschiedener Branchen. Neben Coca Cola (Getränke) sind dies Unilever (Konsumgüter), H&M (Bekleidung), Gap (Bekleidung), Marks &Spencer (Einzelhandel), Inditex (Textilien), The World Cocoa Foundation (Hilfe für Kakao-Bauern) und die mexikanische Grupo Bimbo (Lebensmittel).

Neben den Geldgebern, Unternehmen und Regierungen besteht die Allianz noch aus einer Vielzahl sehr heterogener Organisationen, deren programmatisches Spektrum vom katholischen Hilfswerk über die Clinton Development Initiative bis zu Anti-AIDS-Initiativen reicht.

Die Motive für die Teilnahme an der Allianz dürften von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Klar ist, dass die beiden Kreditkarteninstitute Visa und Mastercard von Hause aus ein gewichtiges Interesse daran haben, Bargeld komplett aus dem Zahlungsverkehr zu verbannen und diesen nur noch elektronisch aufzubauen. Auch die Gates-Stiftung dürfte mit ihrem Engagement vornehmlich eigene Ziele verfolgen. Denn das Grundkapital der Stiftung basiert auf dem IT-Sektor (genauer gesagt: dem dort führenden Microsoft-Konzern), weshalb Gates und sein Firmenimperium ein wirtschaftliches Interesse an einer möglichst weitreichenden Digitalisierung des Alltagslebens und selbstverständlich auch des Zahlungsverkehrs haben.

Das gleiche gilt für den „Resource Partner“ namens Flourish, der zur Unternehmensgruppe des eBay-Gründers Pierre Omidyar und damit ebenfalls ins Reich der Online-Wirtschaft und des bargeldlosen Zahlungsverkehrs gehört. Bei dem Finanzier Vipps handelt es sich um einen norwegischen Anbieter für Online-Zahlungen für Smartphones – dessen Geschäftserfolg direkt mit der Zurückdrängung von Münzen und Scheinen korreliert. Bei Sida und USAID handelt es sich um staatliche Hilfsorganisationen.

Generell bleibt festzuhalten, dass Unternehmen grundsätzlich ein Interesse an einer elektronischen Zahlungsabwicklung haben, weil dadurch Kosten für die Bargeldsicherung und -abwicklung eingespart werden könnten. Die sehr spärliche Repräsentation von Unternehmen und Unternehmensverbänden bei der BTCA spricht aber dafür, dass das Thema derzeit eine untergeordnete Rolle in der Unternehmenswelt einnimmt.

Die teilnehmenden (vornehmlich armen) Staaten dürften vom Wunsch angetrieben sein, dass mithilfe einer kompletten Digitalisierung des Zahlungsverkehrs die von den Hauptakteuren der BTCA versprochene „finanzielle Inklusion“ von Armen in das Weltfinanzsystem ermöglicht werde. Dass aber gerade die Verwendung von Bargeld für ärmere oder benachteiligte Bevölkerungsgruppen in abgelegenen Regionen weltweit die wichtigste Möglichkeit darstellt, am Erwerbsleben teilzunehmen, wurde nicht zuletzt in New York deutlich – dem Stammsitz der BTCA.

Der New Yorker Stadtrat nämlich hatte im Februar des laufenden Jahres ein Gesetz erlassen, welches es Unternehmen verbietet, die Annahme von Bargeld zu verweigern. Besonders peinlich für die BTCA ist die Begründung des Stadtrates: Die Erfahrung mit der wachsenden Zahl an Geschäften, die keine Münzen und Scheine mehr akzeptierten, habe gezeigt, dass die Fokussierung auf elektronische Zahlungssysteme ärmere Bürger benachteilige und faktisch ausschließe.

Bei einigen Unternehmen gab es schon vor Bekanntwerden des neuen Gesetzes ein Umdenken. Dazu gehört beispielsweise die Salatkette Sweetgreen, welche ab 2017 nur noch Kartenzahlungen akzeptierte, diese Geschäftspolitik aber Ende 2019 wieder revidierte. „Die Bargeldlos-Strategie hatte die unvorhergesehene Konsequenz, dass jene, die lieber bar zahlen oder nur bar zahlen können, ausgeschlossen wurden. Während der bargeldlose Zahlungsverkehr sicherlich einige Vorteile hat, haben wir eingesehen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt nicht die richtige Maßnahme war, um unsere Mission zu erfüllen“, heißt es in einer Stellungnahme von Sweetgreen.

Stille Interessenten – Banken, Firmen und Schuldenstaaten

Der Kreis der Interessenten einer Zurückdrängung von Bargeld geht weit über die BTCA oder den IWF hinaus. Praktisch alle Unternehmen, Banken und hochverschuldeten Staaten haben ein grundsätzliches Interesse an der Zurückdrängung oder gar Abschaffung. Der Grund hierfür ist die neuerliche Eskalation der seit mindestens 2008 schwelenden Finanzkrise im Zuge der Corona-Pandemie.

Weil inzwischen alle wichtigen Zentralbanken der Welt die Leitzinsen auf null gesenkt haben, Finanzpapiere wie Staatsanleihen und hypothekenbesicherte Wertpapiere im Umfang von Billionen Dollar aufkaufen und wie im Falle der Europäischen Zentralbank und der Schweizerischen Nationalbank sogar Negativzinsen auf die Einlagen der Geschäftsbanken erheben, ist jeglicher Handlungsspielraum für neue geldpolitische Interventionen extrem begrenzt.

Eine noch expansivere Geldpolitik wäre wie am Beispiels der Gedankenspiele des IWF bereits geschildert nur möglich, wenn man die Ersparnisse der Bürger direkt besteuern könnte beziehungsweise wenn man die Sparer zwingen könnte, zu konsumieren. Hier fungiert Bargeld als Hindernis, weil es den Menschen ermöglicht, ihre in Geldeinheiten vorliegende Kaufkraft aus dem Bankensystem herauszuziehen.

Es ist aus diesen Gründen auch kein Zufall, dass die hochverschuldete italienische Regierung die Bargeldobergrenzen schrittweise senkt und den finanziellen Bewegungsraum ihrer Bürger einengt. Auch soll derzeit Medienberichten zufolge innerhalb der EZB diskutiert werden, ob man kleine Münzen abschaffen könne – was zusammen mit der Abschaffung des 500-Euro-Scheins sozusagen eine Einengung der Bewegungsfreiheit von oben und unten darstellen würde.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet hat folglich jeder hochverschuldete Staat, jedes Unternehmen (Einsparung der durch die Bargeld-Handhabung verursachten Kosten) und jede Bank ein prinzipielles Interesse am elektronischen Zahlungsverkehr und an einer Zurückdrängung des Bargeldes. Auch die Bundesregierung – deren Gesamtverschuldung aufgrund der Corona-Gegenmaßnahmen innerhalb weniger Monate von etwa 60 auf rund 80 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung gestiegen ist – lässt die Folgen einer Abschaffung von Münzen und Scheinen deshalb schon seit mehr als einem Jahr von einem speziellen Ausschuss untersuchen.


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