Politik

Mongolen protestieren gegen mehr Unterricht auf Chinesisch

Schulstreiks und Unruhen erschüttern die Innere Mongolei, eine autonome Region in Nordchina. Die Behörden setzen die Ausweitung des Unterrichts auf Chinesisch für mongolische Kinder mit Härte durch.
04.09.2020 10:30
Aktualisiert: 04.09.2020 10:30
Lesezeit: 2 min

Die Ausweitung des Unterrichts auf Chinesisch für mongolische Kinder hat Schulboykotte und die schwersten Proteste seit Jahren in Chinas Innerer Mongolei ausgelöst. Mit harter Hand gehen Behörden gegen Eltern vor, die an Demonstrationen teilgenommen haben. Die Polizei fahndete am Freitag weiter mit Fotos von Überwachungskameras nach ihnen und verspricht Belohnungen. Sicherheitskräfte verstärkten ihre Präsenz auf den Straßen.

Neue Vorschriften zum Schulbeginn diese Woche, wonach mehr Fächer als bisher in chinesischer Sprache unterrichtet werden, seien den Eltern «nicht ausreichend erklärt worden», schrieb die Zeitung «Global Times», die von der Kommunistischen Partei herausgegeben wird. «Und Desinformationen haben die Öffentlichkeit in die Irre geführt - mit einer möglichen Einmischung von Separatisten in Übersee.» Die Vizeparteichefin der Region, Bu Xiaolin, berief sich auf Staats- und Parteichef Xi Jinping und nannte die genaue Umsetzung der neuen Regeln eine «große politische Aufgabe, die wir erfüllen müssen».

Hintergrund der Unruhen sind Sorgen unter den vier Millionen Mongolen in der Inneren Mongolei, dass die Kinder durch Ausbau des Unterrichts auf Chinesisch ihre kulturelle Identität verlieren könnten. Kritiker sehen dahinter den Versuch der kommunistischen Führung, die Mongolen - wie zuvor schon die Tibeter und Uiguren - stärker zu assimilieren. Die Volksgruppe verteilt sich auf die Autonome Region Innere Mongolei in der Volksrepublik und den im Norden angrenzenden demokratischen Staat Mongolei, wo weitere drei Millionen Mongolen leben.

Als Minderheit in China können Mongolen aussuchen, ob sie ihre Kinder auf vornehmlich mongolische oder chinesische Schulen schicken. Die Änderung betrifft die ethnisch mongolischen Schulen, in denen die Fächer Literatur, Politik und Geschichte jetzt nicht mehr auf Mongolisch, sondern auf Chinesisch unterrichtet werden sollen. Aus Protest hatten viele Eltern ihre Kinder zum Schulstart nicht zum Unterricht geschickt und waren zu Tausenden auf die Straße gegangen.

Videos im Internet zeigten Demonstrationen besorgter Eltern, die empört chinesische Schulbücher hochhalten. Schüler riefen: «Mongolisch ist unsere Muttersprache. Wir sind Mongolen bis zum Tode.» Die Behörden reagierten laut Augenzeugenberichten mit verschärften Sicherheitsvorkehrungen, einer stärkeren Polizeipräsenz auf den Straßen, der Errichtung von Kontrollpunkten und ließen teilweise auch Kommunikationsverbindungen kappen.

Teilnehmer der Proteste wurden unter dem Vorwurf gesucht, «Streit angezettelt und Ärger verursacht» zu haben. Es ist eine Beschuldigung, die häufig gegen unliebsame Kritiker des Systems erhoben wird. Fotos von Demonstrationsteilnehmern wurden in der Stadt Tongliao öffentlich verbreitet. Die Gesuchten wurden aufgefordert, sich der Polizei zu stellen. Als Belohnung für Hinweise zu ihrer Ergreifung wurden zudem 1000 Yuan ausgesetzt, umgerechnet 123 Euro.

Das Vorgehen stieß auch in Deutschland auf Kritik. «Dieser Schritt hebelt das Recht der Mongolen als Minderheit, ihre Kinder auf mongolische Schulen zu schicken, quasi durch die Hintertür aus», sagte die Vorsitzende der Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Gyde Jensen (FDP). «Die Kommunistische Partei entriss und entreißt erst den Tibetern, dann den Uiguren und nun ganz offensichtlich auch den Mongolen systematisch Kultur, Identität und Würde.» Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping wolle Kontrolle über alle Lebensbereiche.

«Chinas Regierung sollte ihre neue Politik umkehren», forderte die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch. «Die Behörden sollten auch aufhören, jene zu drangsalieren, die friedlich für die mongolische Sprache demonstriert haben.» Chinas Assimilierungspolitik durch das Bildungssystem widerspreche Konventionen der Vereinten Nationen. Der Pen-Club Amerika meinte, die neue Bildungspolitik drohe die Rechte der Mongolen auf ihre Sprache und kulturelle Identität zu schwächen.

«Eine gemeinsam gesprochene und geschriebene Sprache ist ein Symbol der nationalen Souveränität», entgegnete hingegen Außenamtssprecherin Hua Chunying in Peking. Es sei «das Recht und die Pflicht eines jeden Bürgers», diese Sprache zu benutzen. Das sei nicht nur in China so, sondern auch im Rest der Welt. Die chinesische Regierung fördere den Einsatz von Chinesisch in Gebieten mit ethnischen Minderheiten.

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