Wirtschaft

Hedgefonds-Veteran: Finanzkrise in der Türkei wird nach Europa überschwappen

Die eskalierende Finanzkrise in der Türkei wird an einigen europäischen Banken nicht spurlos vorbeigehen, sagen Spekulanten.
16.09.2020 13:29
Aktualisiert: 16.09.2020 13:29
Lesezeit: 3 min
Hedgefonds-Veteran: Finanzkrise in der Türkei wird nach Europa überschwappen
Istanbul: Junge Türken schauen von der Galatabrücke aus über das Goldene Horn, den Meeresarm des Bosporus in Istanbul. (Foto: dpa) Foto: Oliver Weiken

Die seit einigen Jahren schwelende und zunehmend eskalierende Finanzkrise in der Türkei dürfte Beobachtern zufolge auch nach Europa überschwappen. Insbesondere spanische, französische, niederländische und italienische Banken seien dann von Problemen in Milliardenhöhe betroffen. Wie Bloomberg berichtet, wettet der Hedgefonds-Veteran John Floyd vom Spekulationshaus Record Currency Management deshalb gegen die Kurse italienischer, spanischer und französischer Staatsanleihen – ebenso wie auf Kursrückgänge des Euro.

Floyd zufolge wird der Verfall der türkischen Landeswährung Lira (sie hat seit Jahresbeginn rund 25 Prozent ihres Wertes gegen Dollar und Euro verloren – verglichen mit 2018 belaufen sich die Verluste auf bis zu 90 Prozent) sowie die sich auflösenden Devisenreserven des Landes zu einer Schuldenkrise führen, weil Unternehmen und Bürger die oftmals in Fremdwährung aufgenommenen Kredite bei den Banken nicht mehr bedienen können. Dies wiederum führe zu Abschreibungen bei den betroffenen Institutionen, an denen besonders europäische Banken beteiligt sind.

„Die von der Türkei ausgehenden Risiken für Europa manifestieren sich in den Rückkopplungseffekten, die sich aus den Investitionen europäischer Banken in türkischen Instituten ergeben. Der vom Corona-Stillstand ausgelöste Schock ist viel schwerwiegender, als die Stresstests der EZB es abbilden und deshalb ist das Bankensystem ohnehin angeschlagen“, sagt Floyd.

Die spanische Banco Bilbao Vizcaya Argentaria hält beispielsweise etwa 50 Prozent an der zweitgrößten türkischen Bank, der Turkiye Garanti Bankasi. Ebenfalls stark investiert ist die BBVA in der Türkei. Auch die französische BNP Paribas und die niederländische ING Groep sind in der Türkei hoch investiert – wie auch die italienische UniCredit. Insgesamt halten spanische Banken mit rund 64 Milliarden Euro das größte Exposure in der Türkei, gefolgt von französischen (24 Milliarden Euro) und italienischen (21 Milliarden Euro) Instituten. Danach folgen britische (13 Milliarden Euro - vor allem HSBC), amerikanische (10 Milliarden Euro) und deutsche (9 Milliarden Euro) Geldhäuser.

Moody’s stuft Bonität herab

Die US-amerikanische Ratingagentur Moody’s hatte die Bonität des Landes am vergangenen Freitag herabgestuft und einen negativen Ausblick veröffentlicht. Die Haushaltsdaten könnten sich demnach schneller als erwartet verschlechtern. Zudem seien die Devisenreserven ohne Gold im laufenden Jahr bereits um mehr als 40 Prozent auf 44,9 Milliarden US-Dollar (Stand: 4. September) gesunken. Moody's warnte zudem vor steigenden geopolitischen Risiken für die Türkei – womit höchstwahrscheinlich der schwelende Gasstreit im Mittelmeer mit Griechenland und Frankreich gemeint sein dürfte. „Die externen Schwachstellen der Türkei werden sich zunehmend in einer Zahlungsbilanzkrise herauskristallisieren“, werden Analysten der Agentur von Bloomberg zitiert. „Während die Risiken für das Kreditprofil der Türkei zunehmen, scheinen die Institutionen des Landes nicht bereit oder nicht in der Lage zu sein, diese Herausforderungen effektiv anzugehen.“

Vor einem heißen Herbst?

Tatsächlich deuten zahlreiche Indikatoren auf eine sich noch weiter zuspitzende Krise in dem wichtigen Schwellenland hin. Neben dem Lira-Verfall sind dies insbesondere:

Einbruch des Wirtschaftswachstums: Belief sich im zweiten Quartal verglichen mit 2019 auf rund 10 Prozent. Schätzungen für das Gesamtjahr belaufen sich auf minus 4 bis 5 Prozent.

Kapitalflucht: Diese zeigt sich in einem wachsenden Zahlungsbilanzdefizit, das sich von 4,5 Milliarden Dollar im März auf fast 7 Milliarden Dollar im Juni ausweitete.

Abschmelzen der Devisenreserven: Schätzungen zufolge belaufen sich diese auf nur noch etwa 45 Milliarden Dollar, nachdem sie Anfang 2020 noch bei etwa 80 Milliarden Dollar und zwischen 2013 und 2015 noch bei fast 115 Milliarden Dollar lagen, wie aus Daten von Tradingeconomics hervorgeht.

Flucht in Gold, Euro und Dollar: Trotz von der Zentralbank verhängter Strafgebühren auf Wechselgeschäfte fliehen die Bürger aus der Landeswährung und versuchen, Gold, Dollar und Euro zu kaufen.

Reale Negativzinsen: Aufgrund des Leitzinsniveaus von etwas über 8 Prozent und der offiziell mit rund 12 Prozent angegebenen Inflation verlieren die Bürger, Banken und Unternehmen stetig an Kaufkraft. Der Kaufkraftverlust wiederum ist der größte Treiber für die Flucht in Fremdwährungen.

Hohe verdeckte Arbeitslosigkeit: Rechnet man aus der offiziellen Statistik die von der politischen Führung angewendeten Tricks heraus, ergibt sich eine wahre Arbeitslosigkeit von etwa 28,7 Prozent, berichtet Asia Times. Innerhalb der ersten vier Monate des laufenden Jahres sank die Zahl der offiziell registrierten Arbeitsplätze um etwa 2,6 Millionen.

Akute Exportschwäche schon vor Corona: Ein weiteres Alarmzeichen ist der Umstand, dass die Nachfrage nach türkischen Produkten und Dienstleistungen schon vor der globalen Corona-Pandemie deutlich zurückging, nämlich um 16 Prozent im ersten Quartal 2020 verglichen mit dem selben Quartal 2019.

Hohe Corona-Dunkelziffer: Nicht zuletzt herrscht große Ungewissheit darüber, wie sich die Lage im Land hinsichtlich der Corona-Infektionen darstellt. So wurde das produzierende Gewerbe von dem für andere Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche verpflichtenden Lockdown ausgenommen und touristische Betriebe wiedereröffnet, bevor die Situation unter Kontrolle war. Die Bürgermeister von Ankara und Istanbul hatten der Regierung zuletzt öffentlich die Vertuschung der wahren, weit prekäreren Zustände, vorgeworfen. Wie die Financial Times berichtet, gibt es den Vorständen der beiden größten Städte des Landes zufolge deutliche Ungereimtheiten zwischen den offiziellen Corona-Statistiken des Gesundheitsministeriums und jenen Werten, welche auf lokaler Ebene ermittelt werden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundesbank: Deutsche Exportwirtschaft verliert deutlich an globaler Stärke
14.07.2025

Die deutsche Exportwirtschaft steht laut einer aktuellen Analyse der Bundesbank zunehmend unter Druck. Branchen wie Maschinenbau, Chemie...

DWN
Immobilien
Immobilien Gebäudeenergiegesetz: Milliardenprojekt für 1,4 Billionen Euro – hohe Belastung, unklare Wirkung, politisches Chaos
14.07.2025

Die kommende Gebäudesanierung in Deutschland kostet laut Studie rund 1,4 Billionen Euro. Ziel ist eine Reduktion der CO₂-Emissionen im...

DWN
Politik
Politik EU plant 18. Sanktionspaket gegen Russland: Ölpreisobergrenze im Visier
14.07.2025

Die EU verschärft den Druck auf Moskau – mit einer neuen Preisgrenze für russisches Öl. Doch wirkt die Maßnahme überhaupt? Und was...

DWN
Technologie
Technologie Datenschutzstreit um DeepSeek: Deutschland will China-KI aus App-Stores verbannen
14.07.2025

Die chinesische KI-App DeepSeek steht in Deutschland unter Druck. Wegen schwerwiegender Datenschutzbedenken fordert die...

DWN
Finanzen
Finanzen S&P 500 unter Druck – Sommerkrise nicht ausgeschlossen
14.07.2025

Donald Trump droht mit neuen Zöllen, Analysten warnen vor einer Sommerkrise – und die Prognosen für den S&P 500 könnten nicht...

DWN
Politik
Politik Wenn der Staat lahmt: Warum die Demokratie leidet
14.07.2025

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt eindringlich vor den Folgen staatlicher Handlungsunfähigkeit. Ob kaputte Brücken,...

DWN
Politik
Politik Fluchtgrund Gewalt: Neue Angriffe in Syrien verstärken Ruf nach Schutz
14.07.2025

Trotz Versprechen auf nationale Einheit eskaliert in Syrien erneut die Gewalt. Im Süden des Landes kommt es zu schweren Zusammenstößen...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersarmut nach 45 Beitragsjahren: Jeder Vierte bekommt weniger als 1300 Euro Rente
14.07.2025

Auch wer sein Leben lang gearbeitet hat, kann oft nicht von seiner Rente leben. Dabei gibt es enorme regionale Unterschiede und ein starkes...