Politik

Neue Energie-Architektur in Nahost: Israel reaktiviert strategisch wichtige Pipeline

Lesezeit: 4 min
17.09.2020 12:51  Aktualisiert: 17.09.2020 12:51
Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit mehreren Golf-Emiraten reaktiviert Israel eine strategisch wichtige Pipeline. Die Maßnahme ist im geopolitischen Gesamtkontext der Region als Schritt gegen die Türkei und deren Verbündete zu verstehen.
Neue Energie-Architektur in Nahost: Israel reaktiviert strategisch wichtige Pipeline
Pipelinestränge in der Slowakei. (Foto: dpa)
Foto: Filip Singer

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Israel reaktiviert derzeit eine strategisch wichtige Erdöl-Pipeline. Die in den 1960er Jahren zusammen mit dem damals noch unter der Herrschaft des pro-westlichen Schah stehenden Iran gebaute Eilat-Aschkelon-Pipeline (EAP) verbindet das Rote Meer (Eilat) mit dem Mittelmeer (Aschkelon).

Nach der islamischen Revolution im Jahr 1979 zog sich der Iran von dem Projekt zurück. Im Jahr 2003 schließlich wurde die Pipeline dergestalt angepasst, dass nun auch Öl vom Mittelmeer in das Rote Meer fließen konnte – eine Möglichkeit, von der insbesondere ehemalige Sowjet-Staaten Gebrauch machten, welche ihr Erdöl in Asien verkaufen wollten.

Vor dem Hintergrund der politischen Annäherung zwischen Israel einerseits und den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain andererseits aber plant die Betreibergesellschaft mit Unterstützung der Regierung, die Pipeline zu einer der wichtigsten Energierouten in der Region auszubauen.

Keine Konkurrenz zum Suez-Kanal – aus politischen Gründen

Aufgrund der geografischen Nähe und desselben Verlaufs zwischen Rotem Meer und Mittelmeer stellt die EAP potenziell eine ernstzunehmende Alternative zum ägyptischen Suez-Kanal dar, welcher etwas weiter westlich verläuft. Die Betreibergesellschaft der EAP rechnet damit, dass zwischen 12 und 17 Prozent des gegenwärtig durch den Suez-Kanal laufenden Ölhandels künftig von der EAP abgewickelt werden könnten. Die Vorteile der EAP liegen im Vergleich zum Suez-Kanal in niedrigeren Durchleitungsgebühren und dem Umstand, dass die EAP seit der diplomatischen Annäherung mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain Geschäfte mit diesen Ländern nicht mehr verheimlichen muss – was in der Vergangenheit Medienberichten zufolge ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor gewesen sein soll.

Für Ägypten könnte die Reaktivierung der EAP folgerichtig zu Einnahmeausfällen bei den für den Staatshaushalt extrem wichtigen Kanal-Gebühren führen – inklusive diplomatischer Verstimmungen zwischen den grundsätzlich befreundeten Ländern.

Die israelischen Behörden vermeiden es deshalb bewusst, die EAP als Alternative zum Suez-Kanal zu vermarkten, berichtet die Asia Times unter Verweis auf einen namentlich nicht genannten israelischen Insider. „Obgleich bessere Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderen Golfstaaten wichtig sind, ist unser Frieden mit Ägypten absolut essenziell, um Stabilität in der Region zu garantieren. Ohne den Frieden (mit Ägypten – die Red.) würde sich die Sicherheit unseres Landes drastisch verschlechtern. Deshalb sollten wir uns mit den Ägyptern absprechen, anstatt zu versuchen, ihre Position einseitig zu verletzen.“

Die größte Chance, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, liegt in dem Umstand begründet, dass trotz einer Erweiterung im Jahr 2015 die Tanker der größten Klassen (very large crude carriers - VLCC sowie ultra large crude cariers - ULCC) den Suez-Kanal vollbeladen nicht passieren können. Die nicht vom Suez-Kanal abgefertigten Volumen könnten – die entsprechende Nachfrage sei vorausgesetzt – somit über die EAP ins Mittelmeer und weiter nach Europa transportiert werden.

Der geopolitische Hintergrund: Türkei und Katar gegen die Energie-Allianz

Die geplante Reaktivierung der EAP muss vor dem größeren Bild der geopolitischen Gesamtzusammenhänge im vorderen Orient verstanden werden. Israel kann nach der Verständigung mit den Emiraten und Bahrain nun nicht nur offen deren Öl durch die EAP-Pipeline transportieren, weshalb das diplomatische Tauwetter dem Chef der Betreibergesellschaft zufolge eine „Menge an Türen geöffnet hat und Chancen bietet“, wie er der Zeitung Foreign Policy sagte. Der EAP kommt überdies eine Funktion im derzeit tobenden „Gasstreit“ im östlichen Mittelmeer zu.

Dabei stehen sich seit einiger Zeit zwei zunehmend rivalisierende Lager gegenüber, welche nicht nur primär in Energiefragen zerstritten sind, sondern deren Gegensatz darüber hinaus auch in machtpolitischen und ansatzweise auch religiösen Widersprüchen wurzelt.

Auf der einen Seite steht die Türkei, welche unter Leitung der AKP-Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan in den vergangenen Jahren eine zunehmend aggressive und sich an neo-osmanischen Anklängen bedienende Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt. Ziel der Regierung in Ankara ist es mit Blick auf das Thema Energie, nicht nur als ein strategisch wichtiger Handelsknotenpunkt für Erdöl und Erdgas im Vorderen Orient zwischen Russland, der arabischen Welt und Europa zu fungieren, sondern auch selbst Zugriff auf Erdöl- und Erdgasreserven zu bekommen – weshalb beispielsweise im Mittelmeer und im Schwarzen Meer nach entsprechenden Vorkommen gesucht wird. Unterstützt wird die Türkei maßgeblich vom Golf-Emirat Katar, wobei Medienberichten zufolge die Ideologie der Muslimbruderschaft ein verbindendes Element sein soll.

Auf der anderen Seite steht eine heterogene „Allianz“ von Staaten, deren Interessen sich in sicherheitspolitischer, vor allem aber in energiepolitischer Hinsicht im Bereich des östlichen Mittelmeers überschneiden. Dazu gehören vornehmlich Griechenland, Zypern, Israel, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Frankreich. Die einzelnen Motive dieser Staaten, welche sie in einen Gegensatz zur Türkei bringen, sind dabei:

Ägypten, Frankreich und die Emirate unterstützen beispielsweise im Stellvertreterkrieg in Libyen anderen Kräfte als die Türkei. Griechenland und Zypern wiederum sehen sich aufgrund des Erdgasstreits und einer zwischen Ankara und Libyen Ende 2019 einseitig verkündeten Aufteilung des östlichen Mittelmeers in Interessensphären und Wirtschaftszonen direkt in ihrer Sicherheit und Souveränität bedroht.

Israel hat mehrere Motive, sich der „Allianz“ anzuschließen – als Beispiel sei nur das gemeinsam mit Griechenland und Zypern Anfang 2020 lancierte Pipelineprojekt East Med genannt, das Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer nach Europa transportieren soll und das durch die türkischen Marine-Interventionen in der Region in Frage gestellt wird.

„Alles, was die türkische Position schwächt, liegt in unserem Interesse“

Entsprechend günstig stehen die Chancen für Israel, dass die EAP in der Energie-Architektur des vorderen Orients an Bedeutung gewinnen wird - in welchem Umfang dies geschieht, ist jedoch fraglich. Manchen Beobachtern zufolge könnte die EAP vor allem der Kirkuk-Ceyhan-Pipeline, welche die Öl-Förderbetriebe im Irak an das türkische Pipeline-Netzwerk anschließt, Konkurrenz machen. Realistisch ist dies aber nicht - es bedürfte schon signifikanter, dauerhafter technischer Störungen in der Kirkuk-Ceyhan-Pipeline oder einer politischen Entfremdung zwischen Bagdad und Ankara, damit sich der Umweg durch Saudi-Arabien (etwa mit der dortigen Ost-West-Pipeline) und einer anschließenden Verschiffung des Öls nach Eilat lohnen würde.

Grundlegend bleibt die Stellung der Türkei als Schlüsselknotenpunkt der Energieversorgung Europas unbeeinträchtigt – besonders auf dem Erdgasmarkt. Mit der Transanatolischen Pipeline (welche in der Transadriatischen Pipeline Ende des laufenden Jahres ihre operative Fortsetzung finden soll) verfügt das Land über eine sehr potente Einrichtung, um Erdgas aus Aserbaidschan und anderen Regionen nach Europa zu leiten. Die Pipeline Turkish Stream leitet zudem russisches Gas in die Türkei, von wo es weiter verteilt wird. Seit 2003 fließt darüber hinaus russisches Gas durch die Blue Stream Pipeline in die Türkei.

Das größte ökonomische Potential birgt die EAP als Transportkorridor für Erdöl, dass aus den arabischen Emiraten ins Mittelmeer und nach Europa geliefert werden soll und als Ergänzung zum Suez-Kanal. Die zweite Funktionsdimension ist geopolitischer Natur: hier symbolisiert die Pipeline eine fortschreitende Integration der sehr heterogenen „Energie-Allianz“. So berichtet beispielsweise die Asia Times, dass die Reaktivierung der EAP von „allen Alliierten der anti-türkischen Koalition begrüßt“ werde. „Alles, was die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel näher zusammenbringt und die Rolle der Türkei schwächt, liegt in unserem Interesse. Wir hoffen, dass Israel zu einem Mittler für arabisches Öl wird und dadurch die Türkei und dessen Verbündete ersetzt“, wird ein namentlich nicht genannter Beamter aus dem griechischen Außenministerium von der Zeitung zitiert.


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Fundamentale Aktienanalyse - so bewertet man Wertpapiere richtig
18.03.2024

Die fundamentale Aktienanalyse ist ein unverzichtbares Instrument für jeden Investor, der Wertpapiere nicht nur verstehen, sondern auch...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Umfrage: Sehr viele Deutsche sorgen sich vor weiteren Energiepreissprüngen
18.03.2024

Die Menschen in Deutschland haben einer Umfrage zufolge Sorgen vor weiteren Energiesprüngen und allgemeinen Preissteigerungen - trotz der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Airbus-Jubiläum: 50 Jahre Linienflüge im Airbus - Boeing hat Wettkampf quasi verloren
18.03.2024

Kein Hersteller baut so gute und so viele Flugzeuge wie Airbus. Eine Erfolgsgeschichte, an die sich Frankreich und Deutschland gerade in...

DWN
Finanzen
Finanzen Bankenaufsicht: Mehrzahl der Geldinstitute kann kräftigen Gegenwind überstehen
18.03.2024

In Deutschland und Europa ist das Gros der Geldhäuser gut kapitalisiert. Die Krise an den Märkten für Büro- und Handelsimmobilien...

DWN
Technologie
Technologie Verhandelt Apple mit Google über KI-Technologie?
18.03.2024

Gibt es bald Googles KI auf Apples iPhones? Laut gut informierten Kreisen verhandelt Apple angeblich mit Google über die Integration von...

DWN
Panorama
Panorama ifo-Institut und EconPol Europe: Wirtschaftsforscher fordern mehr Energie-Zusammenarbeit in Europa
18.03.2024

Wirtschaftswissenschaftler appellieren an die EU, im Zusammenhang mit ihrer Energiepolitik aus der aktuellen Energiekrise zu lernen und mit...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeiten ohne Grenzen: Was beim Homeoffice im Ausland zu beachten ist
18.03.2024

Arbeiten über Grenzen hinweg: Ein Trend, der immer beliebter wird - und große Chancen bietet, wenn Sie steuer- und...

DWN
Technologie
Technologie Patentamt: Deutsche Industrie macht Tempo bei KI-Entwicklung
18.03.2024

Vom Patentamt kommen gute Nachrichten: Industrie und Wissenschaft in Deutschland machen in Forschung und Entwicklung deutlich mehr Tempo...