Politik

US-Geopolitiker Friedman: Eine russisch-deutsche Entente würde Europa dominieren

Lesezeit: 3 min
17.09.2020 16:37  Aktualisiert: 17.09.2020 16:37
Im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten sagt der umstrittene US-Geopolitiker George Friedman, dass eine deutsch-russische Allianz Europa dominieren würde. Doch das wäre eine existenzielle Gefahr für die NATO.
US-Geopolitiker Friedman: Eine russisch-deutsche Entente würde Europa dominieren
Der US-amerikanische Geopolitiker George Friedman. (Foto: George Friedman)
Foto: HAJNAL ANDRAS www.hajnalandras.h

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Der Streit zwischen Deutschland und den USA im Zusammenhang mit Nord Stream 2 eskaliert. Die Bundesregierung ist hartnäckig, wenn es um Nord Stream 2 geht. Die USA haben bereits mit Sanktionen gedroht. Was hat Deutschland zu verlieren, wenn es auf dem Nord Stream 2-Projekt besteht? Deutschland bezieht genug Gas von Nord Stream 1 und anderen Pipelines. Nord Stream 2 ist eigentlich ein Luxusprojekt.

Anti-amerikanische Parteien zur Rechten und zur Linken in Deutschland unterstützen die Bundesregierung in der Frage um Nord Stream 2. Was ist also an dieser Pipeline so wichtig?

George Friedman: Die Frage ist, wie hoch die Kosten für Nordstream sein werden und wie hoch der Preis für Erdgas sein wird. Die Kosten für Nordstream müssen im Voraus übernommen werden, während die Einnahmen später einfließen. Parallel dazu haben die USA Erdgas über Polen zu verkaufen. Natürlich kann Deutschland die Finanzierung an den privaten Sektor weitergeben, aber ich wäre überrascht, wenn die Privatbanken im aktuellen Energieumfeld das Projekt finanzieren würden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welchem Risiko ist Deutschland dann ausgesetzt?

George Friedman: Das Risiko für Deutschland besteht also darin, eine Pipeline zu bauen, die zum aktuellen Zeitpunkt finanziert wird. Bei der ersten Konzeption war Nordstream ein hervorragendes Geschäftsangebot. Aber seitdem hat sich die gesamte Umgebung verändert. Ich vermute, dass Deutschland mit dem Druck der USA zufrieden ist, da es eine Entschuldigung dafür bieten kann, einen Deal zurückzuziehen, der nicht mehr funktioniert. Beachten Sie die intensive antirussische Stimmung, die Deutschland über die Vergiftung von Nawalny zum Ausdruck gebracht hat. Das Risiko geht also nicht mehr von den USA, sondern von der radikalen Veränderung des Marktes seit dem Abschluss des Deals aus. Zu diesem Zeitpunkt ist die Hebelwirkung, die die USA durch Russland zu befürchten haben, nicht vorhanden. Erstens gibt es andere Quellen, und am wichtigsten ist, dass Russland dringend Bargeld benötigt. Daher war es für Moskau vor fünf Jahren denkbar, Verkäufe zu blockieren. Doch das kann Russland jetzt nicht mehr machen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Hat Deutschland geheime imperiale Ambitionen?

George Friedman: Die Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, dass Deutschland Russland unbedingt braucht. Deutschland und Russland sind keine Feinde, sondern Freunde. Die USA werden jedoch als Bedrohung angesehen. Was denken Sie? Sind diese Gedankengänge sinnvoll?

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sind die Deutschen anti-amerikanisch eingestellt?

George Friedman: Die deutsche Öffentlichkeit hatte immer einen latenten Antiamerikanismus, an den ich mich in den 1980er Jahren erinnere. Der vernünftige Grund, warum Deutschland Russland braucht, liegt darin, einen Hebel gegenüber den USA zu haben. US-Truppen werden in Polen gegen einen möglichen russischen Schritt eingesetzt, daher wollen die USA Deutschland nicht zu nahe an Russland heranlassen. Ich denke, dass die deutschen politischen Entscheidungsträger dies als wichtigen Verhandlungschip mit den USA nutzen. Die Stimmung in der Öffentlichkeit und die Berechnung der Regierung erreichen also aus sehr unterschiedlichen Gründen den gleichen Punkt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie, Herr Friedman, sind unter den Deutschen besonders unbeliebt, weil Sie vor einigen Jahren gesagt haben, die USA hätten immer versucht, ein Bündnis zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Diese Offenbarung hat viele Deutsche wütend gemacht. Was denken Sie darüber? Haben Sie immer noch die gleiche Meinung? Ist das noch das US-Ziel?

George Friedman: Dies war keine Offenbarung, sondern eine Wiederholung des grundlegenden Zwecks der NATO. Eine russisch-deutsche Entente würde Europa dominieren, die Gründe für die NATO beenden und das genaue Ergebnis erzielen, das die USA sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch im Kalten Krieg verhindern wollten. Es gab eine Zeit, in der Deutschland diese Sichtweise auf Russland teilte. Es wurde also nichts enthüllt, außer der bekannten Absicht sowohl Deutschlands als auch der USA.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Könnten die USA scheitern?

George Friedman: Natürlich können die USA scheitern. Deutschland ist ein souveränes Land, aber in Wahrheit vertrauen die Russen weder den Deutschen noch die Deutschen den Russen. Das hat historische Gründe. Aber wir werden sehen, was Deutschland tut, wenn Russland aggressiver wird, was aktuell der Fall ist. Der wichtige Punkt ist, dass meine Ansicht keine Offenbarung von irgendetwas war, sondern das gemeinsame Verständnis zwischen Deutschland und den USA. Es gibt hier keine Geheimnisse.

Dr. George Friedman ist der Gründer und Vorsitzende von Geopolitical Futures, einer Publikation, die Trends im internationalen System analysiert und prognostiziert.


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Anleihen-Vernichtung bei Credit Suisse trifft vor allem Asien

Anleihen der Credit Suisse, die als zusätzliches Kernkapital galten, sind plötzlich für wertlos erklärt worden. Privatanleger vor allem...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insider: Thyssenkrupp will Stahlsparte verkaufen

Thyssenkrupp unternimmt laut einem Insider-Bericht einen erneuten Versuch, seine Stahlsparte zu verkaufen. Als möglicher Käufer kommt ein...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Deutschland will Halbleiter-Kooperation mit Taiwan ausbauen

Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger spricht sich für eine Ausweitung der Zusammenarbeit mit Taiwan auf dem Gebiet der...

DWN
Deutschland
Deutschland Habeck verspricht Wärmepumpen-Umstieg zum Preis einer Gasheizung

Wirtschaftsminister Habeck steht für seine Pläne, neue Öl- und Gasheizungen ab 2024 zu verbieten, in der Kritik. Nun verspricht Habeck...

DWN
Unternehmen
Unternehmen PCK Raffinerie: Wie Polen Schwedt die kalte Schulter zeigt

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat gerade ein sehr wichtiges Urteil in der Frage der Treuhandverwaltung der PCK Raffinierie...

DWN
Politik
Politik Russland spielt für China die Rolle des Juniorpartners

Der Ukraine-Konflikt hat Russland und China näher zusammengeführt. Die guten Beziehungen sind für China vorteilhaft, für Russland...

DWN
Finanzen
Finanzen Ratingagentur: Topbonität der Schweiz bei schwerer Finanzkrise in Gefahr

Die Rating-Agentur Scope warnt, dass die Schweiz ihre Top-Bonität bei einer schweren Finanzkrise verlieren könnte. Der Zusammenschluss...

DWN
Politik
Politik Verbrennerverbot: EU-Kommission will nun doch E-Fuel-Autos erlauben

Die EU-Kommission unterbreitet Deutschland beim Verbrennerverbot einen Kompromissvorschlag. Demnach sollen Autos, die nur mit E-Fuels...