Politik

EU-Kommission setzt bei neuer Asylreform auf rigorose Abschiebungen

Seit Jahren streiten die EU-Staaten über eine Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik. Die Risse wurden dabei immer tiefer. Nun legt die EU-Kommission einen neuen Reformvorschlag vor. So soll der Kompromiss aussehen.
23.09.2020 17:47
Lesezeit: 3 min
EU-Kommission setzt bei neuer Asylreform auf rigorose Abschiebungen
Fünf Jahre nach dem Flüchtlingssommer 2015 legt die EU einen neuen Reformvorschlag vor. (Foto: dpa) Foto: Sven Hoppe

Mit neuen Vorschlägen für eine rigorose Abschiebung abgelehnter Asylbewerber will die EU-Kommission Bewegung in die seit Jahren blockierten Verhandlungen über eine Asylreform bringen. Der am Mittwoch in Brüssel präsentierte Vorschlag sieht vor, Länder wie Griechenland und Italien vor allem mit einer starken Unterstützung bei der Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht zu entlasten.

Zur Aufnahme von Migranten sollen Staaten wie Ungarn und Polen demnach nur in absoluten Ausnahmefällen verpflichtet werden. Zugleich will die EU-Kommission, dass alle EU-Staaten ihren Beitrag zur gemeinsamen Migrationspolitik leisten. Hilfsorganisationen und vor allem linke und grüne Politiker kritisierten das Paket hingegen als unmenschlich. «Dies ist ein teuflischer Pakt der Entrechtung», sagte etwa Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt.

«Europa muss von Ad-hoc-Lösungen wegkommen und ein berechenbares und verlässliches System für das Management von Migration einführen», sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Die neuen Vorschläge sähen ein «faires und angemessenes Gleichgewicht zwischen Verantwortung und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten» vor. «Gemeinsam müssen wir zeigen, dass Europa Migration menschlich und effektiv managt», sagte von der Leyen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer nannte das Paket eine gute Grundlage für die anstehenden Beratungen im EU-Ministerrat. Die Chance, dass man auf dieser Basis zu einer «politischen Verständigung» kommen werde, sei «sehr hoch», erklärte der CSU-Politiker. Möglicherweise müssten bei dieser schwierigen Materie aber auch die Staats- und Regierungschefs mithelfen.

In den vergangenen Jahren waren alle Bemühungen um eine Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik gescheitert. Knackpunkt war stets die Frage, ob Schutzsuchende in Krisensituationen per Quotenregelung über die Mitgliedstaaten verteilt werden sollten. Die gültigen Dublin-Regeln sehen vor, dass in der Regel jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig ist, auf dessen Boden der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat.

Dies belastet vor allem Länder an den südlichen EU-Außengrenzen wie Griechenland oder Italien. Sie fordern schon lange mehr Unterstützung und eine verpflichtende Verteilung der Migranten auf die anderen Länder. Auf der anderen Seite lehnen Staaten wie Österreich, Ungarn, Tschechien und Polen eine verpflichtende Aufnahme kategorisch ab.

Folgende Vorschläge sollen nun Basis für einen Kompromiss sein:

VERFAHREN AN DER GRENZE

Bevor ein Migrant ins Land kommt, soll der betroffene Staat nach Vorstellung der Kommission künftig an der Grenze eine Vorüberprüfung vornehmen, die deutlich umfangreicher als bisherige Prüfungen ist: Der Migrant wird registriert, Fingerabdrücke werden genommen, Gesundheits- und Sicherheitschecks durchgeführt. Kommt der Asylbewerber aus einem Land mit einer geringer Anerkennungsrate - Tunesien oder Marokko etwa - soll dann ein schnelles Grenzverfahren durchgeführt werden, bei allen anderen ein normales Verfahren. Während der Verfahren schließt die EU-Kommission auch nicht aus, dass Migranten in geschlossenen Lagern festgehalten werden.

«Ich möchte, dass wir schnelle Entscheidungen und schnelle Rückführungen haben», sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Um sogenannte Pushbacks zu vermeiden, bei denen Migranten unter Anwendung von Gewalt nach einem Grenzübertritt zurückgedrängt werden, sollen unabhängige Beobachter an den Grenzen eingesetzt werden.

SCHNELLERE ABSCHIEBUNGEN UND STÄRKERER AUSSENGRENZSCHUTZ

Nach Vorstellung der EU-Kommission soll es in bestimmten Situationen die sogenannten Abschiebe-Patenschaften geben. Dabei übernimmt ein EU-Land die Verantwortung für die Rückführung einer bestimmten Zahl abgelehnter Asylbewerber in einem anderen Land. Bestenfalls sollten die Länder dann ihre guten diplomatischen Beziehungen zu bestimmten Drittstaaten nutzen. Zudem könnte Herkunftsländern, die ihre eigenen Staatsbürger nicht zurücknehmen, gedroht werden, die Visa-Vergabe für normale Reisen einzuschränken. Zudem soll ein «EU-Koordinator für Rückführungen» ernannt werden, der mit Fachleuten der EU-Staaten zusammenarbeitet. Auch der Außengrenzschutz solle verbessert werden. Die EU-Kommission sieht eine stärkere Rolle für die Grenzschutzagentur Frontex vor - auch bei Abschiebungen.

VERPFLICHTENDE SOLIDARITÄT IN AUSNAHMESITUATIONEN

Das Konzept der EU-Kommission, über das nun die EU-Staaten und das Europaparlament verhandeln müssen, sieht ein mehrstufiges Verfahren vor. In normalen Zeiten können die EU-Staaten einander freiwillig helfen. Gerät ein Land unter Druck, kann es jedoch einen sogenannten Mechanismus für verpflichtende Solidarität auslösen. Die EU-Kommission würde dann prüfen, ob beziehungsweise wie viele Menschen dem Land abgenommen werden müssen.

Jedes andere Land müsste dann Hilfe anbieten: Entweder nimmt es Migranten mit Aussicht auf einen Schutzstatus auf. Oder aber es hilft anderweitig, etwa beim Migrationsmanagement oder durch die sogenannten Abschiebe-Patenschaften.

Spitzt sich die Situation weiter zu, und es tritt eine Krise wie 2015 ein, greift ein Krisen-Mechanismus, in dem sich unter anderem Fristen verkürzen. Auch die Auswahl der Hilfsmöglichkeiten wird geringer: Entweder werden Migranten - auch solche ohne Aussicht auf einen Schutzstatus - aufgenommen oder die Abschiebung einer bestimmten Anzahl abgelehnter Asylbewerber wird übernommen. Gelingt die Abschiebung durch die «Paten» nicht, muss das Land sie nach einer bestimmten Frist selbst aufnehmen - und kann sich dann weiter um die Abschiebung bemühen.

Die Anzahl jener Menschen, die ein Land abschieben oder aufnehmen muss, richtet sich nach Bevölkerungsgröße und Bruttoinlandsprodukt des Landes. Für den Fall, dass nicht genügend Aufnahmeangebote gemacht werden, könnte die EU-Kommission Länder zur Aufnahme von Migranten verpflichten.

SEENOTRETTUNG ALS EUROPÄISCHE AUFGABE

Die Rettung von in Seenot geratenen Migranten ist nach Ansicht der EU-Kommission eine Pflicht. Deshalb soll der Solidaritätsmechanismus in ähnlicher Form auch hier angewendet werden.

DUBLIN-REGELN

An den derzeit gültigen Dublin-Regeln hält die EU-Kommission grundsätzlich fest - passt sie aber an. Heute ist meist jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, auf dessen Boden der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Die Kommission will dafür sorgen, dass andere Kriterien ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Wer in einem anderen Staat etwa Geschwister hat, dort früher schon mal studiert oder gearbeitet hat, soll dorthin kommen. Gleiches gilt, wenn ein Asylbewerber zuvor legal mit einem Visum in ein EU-Land gereist ist. Dies soll das Weiterziehen von einem EU-Land in das nächste verhindern. Griechenland und andere Südstaaten hatten allerdings mehrfach die Abkehr vom Dublin-System gefordert.

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