Die EZB muss sich laut Chefin Christine Lagarde darauf vorbereiten, nötigenfalls einen digitalen Euro zur Ergänzung von Banknoten und Münzen auszugeben. Die Europäer nutzten zunehmend digitale Wege beim Geldausgeben, beim Sparen und auch bei ihren Investitionen, teilte die Notenbankchefin am Freitag mit. Die Europäische Zentralbank (EZB) habe die Aufgabe, für Vertrauen in die Währung zu sorgen. "Das bedeutet sicherzustellen, dass der Euro fit ist für das digitale Zeitalter. Wir sollten vorbereitet sein, einen digitalen Euro bereitzustellen, sollte der Bedarf aufkommen."
Technisch würde ein digitaler Euro dem Bitcoin ähneln. Aber im Gegensatz zu der Kryptowährung stünde er unter Aufsicht einer Zentralbank. Digitale Währungen funktionieren auf Basis einer sogenannten Blockchain - also über eine Kette von Datenblöcken, die sich mit jeder Transaktion ausbaut. Ein solcher Euro würde dabei als digitale Einheit existieren und für Online-Geschäfte verfügbar sein.
Die EZB erklärte, eine solche elektronische Form von Zentralbankgeld könnte von der breiten Bevölkerung genutzt werden - genauso wie Bargeld, nur in digitaler Form. Die Währungshüter versicherten, ein digitaler Euro wäre eine Ergänzung zum Bargeld, kein Ersatz: "In jedem Fall wird das Eurosystem auch weiterhin Bargeld ausgeben." Lagarde hatte sich schon in der Vergangenheit kritisch gegenüber Bargeld geäußert, und langfristig die Abschaffung von Scheinen und Münzen ins Gespräch gebracht.
"Die Einführung eines digitalen Euro kann in verschiedenen Szenarien erforderlich sein, etwa wenn die Menschen nicht mehr mit Bargeld zahlen wollen, oder in extremen Situationen wie Naturkatastrophen oder Pandemien, in denen andere herkömmliche Zahlungsdienstleistungen nicht mehr funktionieren", erläuterte EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta in einem am Freitag veröffentlichten Gastbeitrag. Panettas Ausführungen wirken sonderbar. Denn gerade im Falle von Pandemien oder Naturkatastrophen dürfte sich Bargeld als Zahlungsmittel der Stunde erweisen, weil es nicht wie Digitalwährungen oder bargeldose Transaktionen von einer funktionierenden Strom- und Internetversorgung abhängig ist - welche im Katastrophenfall als erste ausfallen dürften.
Bislang hat der EZB-Rat nach Angaben der Notenbank in Frankfurt keinen Beschluss zur Ausgabe eines digitalen Euro gefasst. Geplant ist nun ein Austausch mit Bürgern, Wissenschaftlern, dem Finanzsektor und Behörden, um Vor- und Nachteile eines digitalen Euro abzuwägen. Ein öffentliches Konsultationsverfahren werde am 12. Oktober eingeleitet. Gleichzeitig werde die Testphase beginnen, ungeachtet des finalen Beschlusses, teilte die EZB mit.
Helikoptergeld und Finanz-Sozialismus
Die Pläne der EZB zielen ganz ganz offensichtlich auf eine schleichende Abkopplung vom Bargeld ab. So hatte Ulrich Bindseil, EZB-Generaldirektor für Marktinfrastrukturen, im Januar ein vielbeachtetes Modell vorgestellt. Darin würde jeder Bürger im Währungsraum ein Konto für digitales Zentralbankgeld bei den Notenbanken bekommen können. Bis zu einer bestimmten Summe - etwa 3000 Euro, das durchschnittliche monatliche Netto-Haushaltseinkommen im Euro-Raum - würden dort attraktive Zinsen gezahlt, darüber hinaus aber nicht mehr. So soll vermieden werden, dass die Bürger im Krisenfall die Bankschalter stürmen und ihre Konten abräumen. Einige Experten sehen jedoch die Gefahr, dass dann in Krisenzeiten Bankkunden ihre Ersparnisse fluchtartig von kommerziellen Banken abziehen würden und Notlagen so verstärken.
Die Tatsache, dass bei Bindseils digitalem Eurokonto Zinsen gezahlt werden und bei normalen Konten mit Bargeldabhebung nicht, zeigt, dass es um eine Verschiebung in den digitalen Zahlungsbereich geht. Letztendlich wird damit die Kontrolle über Finanztransaktionen verstärkt und eine Plattform für die Ausgabe digitalen Helikoptergeldes gelegt.
"Bevor wir die Argumente abwägen und Schlüsse daraus ziehen können, benötigen wir zunächst ein umfassendes Verständnis von Digitalgeld. Dabei müssen wir stets einen offenen Ansatz verfolgen", mahnte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann vor Kurzem bei einer Tagung. "Auf jeden Fall ist die Einführung von Digitalgeld sorgfältig abzuwägen."
Auch andere Notenbanken weltweit beschäftigen sich mit digitalem Zentralbankgeld. Vergleichsweise weit vorangeschritten ist in Europa das Projekt "E-Krona" der schwedischen Zentralbank, denn in dem skandinavischen Land wird Bargeld kaum noch genutzt. China arbeitet schon länger an der digitalen Variante seiner Währung Renminbi.