Weltwirtschaft

Renaissance der Kernkraft in Europa: Polen steigt in die Atomenergie ein, Deutschland mit „Energiewende“ isoliert

Lesezeit: 3 min
22.10.2020 11:49  Aktualisiert: 22.10.2020 11:49
Während die Bundesregierung aus „klimapolitischen“ Gründen massiv in die Windkraft investiert, startet unser östlicher Nachbar eine Atom-Offensive in seiner Energiepolitik. Angesichts der stark steigenden Strompreise in Deutschland gibt es inzwischen auch hierzulande erste Stimmen, die eine Rückkehr zur Atomkraft fordern.
Renaissance der Kernkraft in Europa: Polen steigt in die Atomenergie ein, Deutschland mit „Energiewende“ isoliert
Die Sonne geht am 14.03.2014 hinter dem Atomkraftwerk Grafenrheinfeld (Bayern) unter, während der Wasserdampf der beiden Kühltürme in den Abendhimmel steigt. (Foto: dpa)
Foto: David Ebener

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Polen wird in großem Stil in die Atomkraft einsteigen und hat in diesem Zusammenhang den Bau von sechs Atomkraftwerken angekündigt. Das erste AKW soll den Planungen zufolge im Jahr 2033 ans Netz angeschlossen werden.

Wie der englischsprachige Dienst von Reuters berichtet, dürften US-amerikanische Technologiepartner beim Einstieg in die Nuklearenergie eine bedeutende Rolle spielen. Die Warschauer Regierung führt dazu bereits seit einiger Zeit Vorverhandlungen, welche nun zum Abschluss einer vorläufigen Vereinbarung geführt haben. Das amerikanische Investment könnte demnach bis zu 18 Milliarden Dollar umfassen. Beobachter schätzen, dass das gesamte Unterfangen den polnischen Staat etwa 40 Milliarden Dollar kosten werde. Zu den beteiligten Unternehmen aus Übersee gehören Berichten zufolge Westinghouse, Bechtel und Southern Co SO.N sowie die US-Regierung selbst.

Polen sucht geostrategische Autonomie

Der Hauptgrund für den Einstieg in die Nuklearenergie ist das Bestreben der polnischen Regierung, die Abhängigkeit von russischem Erdgas im Energiemix des Landes zu minimieren. Nach 2022 soll demnach überhaupt kein russisches Gas mehr gekauft werden, sondern dieses durch Importe von norwegischem Erdgas sowie Flüssiggas (LNG) aus den USA und anderen Ländern ersetzt werden.

Der polnische Einstieg in die Atomkraft kontrastiert damit stark mit der energiepolitischen Ausrichtung der Bundesregierung, welche schrittweise alle Kernkraftwerke schließt und insbesondere die Windkraft als regenerative Energiequelle ausbaut. Die Politik der sogenannten „Energiewende“ hatte in den vergangenen Jahren zu einem starken Anstieg der Strompreise geführt, weil der Strom aus Windkraft und Sonnenenergie bei Weitem nicht wettbewerbsfähig ist und deshalb über die EEG-Umlage staatlicherseits mit Milliarden Euro subventioniert werden muss.

Hinzu kommt, dass der Ausbau der Windkraftparks an Land auf heftigen Widerstand seitens der Bürger stößt. Den landesweit etwa 1000 Bürgerinitiativen zufolge verschandeln die Windräder nicht nur die Landschaft, sondern schreddern auch Milliarden von Insekten und Vögeln und belasten Anwohner mit einer als störend empfundenen Dauerbeschallung.

Erste zaghafte Stimmen durchbrechen das linksgrüne Energiedogma

Angesichts dieser Schwierigkeiten und mit Blick auf die weitreichenden Vorschriften der EU-Kommission bei Energiefragen und des politischen Feldzuges gegen fossile Energieträger ist es deshalb nicht verwunderlich, dass auch in Deutschland Stimmen laut werden, welche eine Rückkehr zur Atomkraft fordern.

Der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer, hatte Ende 2019 den 2011 nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossenen Atomausstieg in Deutschland in Frage gestellt. Er wäre unter Umständen offen dafür, auch in Zukunft Kernkraftwerke zu betreiben, sagte der CDU-Politiker dem "Spiegel". "An mir und an der Unionsfraktion wird es nicht scheitern."

Er habe es für falsch gehalten, überhaupt aus der Kernkraft auszusteigen, sagte Pfeiffer. "Wenn es jetzt aber darum geht, aus Klimaschutzgründen wieder in die Kernenergie einzusteigen, muss die Initiative von den Grünen und Linken ausgehen." Beide Parteien lehnen dies strikt ab. Kernkraftwerke stoßen im Betrieb im Gegensatz zu Kohle- und Gaskraftwerken kein CO2 aus, welches von der Bundesregierung als "klimaschädlich" eingestuft wird.

Unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel hatte die Bundesregierung 2011 praktisch über Nacht und mit bangem Blick auf die anstehenden Landtagswahlen im CDU-Kernland Baden-Württemberg beschlossen, die Atomkraftwerke gestaffelt abzuschalten. Der Bundestag hatte dem im Konsens zugestimmt - mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen. Danach gehen die drei letzten Anlagen spätestens Ende 2022 vom Netz - das sind Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2.

Auch Erneuerbare sollen ausgebaut werden

Polen will zudem die Umstellung von Kohle auf erneuerbare Energien beschleunigen. Dies geht aus einem neuen Strategiepapier zur Energiepolitik hervor, welches das Klima-Ministerium Mitte September veröffentlicht hatte.

Demnach will unser östlicher Nachbar, der gegenwärtig fast 80 Prozent seiner Energie aus Steinkohle und Braunkohle gewinnt, diesen Anteil bis 2030 auf maximal 56 Prozent zurückfahren. Der Anteil könnte sogar bis auf 37,5 Prozent gesenkt werden, sollte der Preis für die CO2-Emissionszertifikate steigen, heißt es in dem Dokument. In einer früheren Version des Strategiepapiers zur Energiepolitik war noch die Rede davon gewesen, den Anteil der Kohle bis 2030 bei 56 bis 60 Prozent zu belassen.

Nach dem nun veröffentlichten Papier soll der Anteil von Steinkohle und Braunkohle bis 2040 im Energiemix des Landes auf 11 bis 18 Prozent zurückgefahren werden. Erneuerbare Energien sollen bis 2030 einen Anteil von mindestens 32 Prozent erreichen. Dies soll vor allem durch den Bau von Photovoltaik-Anlagen sowie von Offshore- und Onshore-Windparks geschehen. Im vergangenen Jahr lag der Anteil der erneuerbaren Energien in Polen bei etwas über 10 Prozent.

Lesen Sie dazu auch:

Folgen der Energiewende: Bund verhindert drastischen Anstieg der Strompreise mit Steuer-Milliarden

„Kalte Enteignung“: Wie Anwohner unter Windkraft-Parks leiden

Die gefährliche Rückkehr der Psychose in die deutsche Politik

Krisentreffen anberaumt: Widerstand gegen Windräder nimmt an Fahrt auf

Schräge Klimadebatte: Folgen der Digitalisierung werden weitgehend ausgeblendet

Am Vorabend der Weltwirtschaftskrise: Grüne fordern zügige Erhöhung der CO2-Sondersteuer


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit neuem Rekordhoch - geht es jetzt Richtung 100.000 US-Dollar?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag legt die wichtigste Kryptowährung direkt nach. Seit dem Sieg von Donald Trump bei...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...

DWN
Politik
Politik US-Staatsapparat: Tech-Milliardär Elon Musk setzt auf Technologie statt Personal - Unterstützung bekommt er von Trump
21.11.2024

Elon Musk soll dem künftigen US-Präsidenten Trump dabei helfen, Behördenausgaben zu kürzen und Bürokratie abzubauen. Er gibt einen...

DWN
Politik
Politik Droht Deutschland der Bankrott? Bundestag setzt Haushaltswoche aus - trotz nahender Haushaltssperre!
21.11.2024

Die Haushaltskrise eskaliert nach dem Ampel-Aus: Nach der abgesagten Sitzungswoche zur Finanzierung der Haushalte, liegen die Etats für...