Bei sogenannten „curve-steepener-bets“ setzen Spekulanten darauf, dass die langfristigen Zinsen in Zukunft stärker steigen werden als die kurzfristigen – oder einfacher ausgedrückt: Die Spekulanten erwarten für die Zukunft eine steilere Zinsstruktur-Kurve. In der Praxis heißt das, dass (Staats-)Anleihen leerverkauft werden. Wenn der Preis einer Anleihe fällt, steigt umgekehrt deren Verzinsung.
J.P. Morgan zufolge sind diese Wetten in den USA auf dem höchsten Niveau seit zehn Jahren. Einige Hedgefonds und andere (institutionelle) Investoren haben an den Termin-Märkten demnach verstärkt Short-Positionen gezielt in 10- und 30-jährigen US-Staatsanleihen aufgebaut und im Gegenzug entsprechende Long-Positionen zurückgefahren. Andere Akteure verkaufen zunehmend Anleihe-ETFs über Put-Optionen. Das Volumen an offenen Leerverkaufs-Positionen ist im bisherigen Jahresverlauf einmalig.
Andrew Sheets, Anlage-Stratege bei Morgan Stanley, sagte der Financial Times er sei einer der ersten gewesen, die das Gefühl hatten, dass es an der Zeit wäre „gegen die Marktzinsen zu spekulieren“.
„Wenn man sich vor Augen führt, wie weit die Renditen [auf dem gegenwärtig sehr niedrigen Niveau, Anm. d. Red.] noch fallen könnten verglichen damit, wie sehr sie steigen könnten, ist es eine attraktive Wette.“
Die Märkte erwarten eine Wirtschaftserholung – und damit auch eine geringere Unsicherheit an den Märkten – durch die Einführung eines Impfstoffes und/oder einen Wahlsieg Bidens. Das macht sich auch am US-Anleihemarkt bemerkbar. Die Rendite der Zehn-Jahres-Staatspapiere sind im laufenden Monat um 20 Basispunkte von rund 0,66 auf 0,86 Prozent gestiegen.
2020 wurde bis vor kurzem eher auf fallende Renditen (steigende Kurse) gewettet, eine Strategie, mit der einige Makro-Hedgefonds gute Gewinne eingefahren haben. Dieses Verhalten wurde vor allem durch die Anleihekäufe der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) stimuliert.
Ob es so klug ist, gegen die Fed zu wetten?
Signifikant steigende Renditen auf US-(Staats-)Anleihen wären unter den gegenwärtigen Umständen ein ungewöhnliches Markt-Ereignis. Der Trend zeigt seit Jahren nach unten, nur gelegentlich unterbrochen in rezessiven Konjunkturphasen und stets schnell wieder geglättet durch Interventionen und Zins-Senkungen der Fed.
Im Gegensatz zur Europäischen Zentralbank (EZB) fuhr die Fed aber lange Zeit eine weniger extreme Zins-Politik und beließ die Zinsen am kurzen Ende über der Null-Linie. Vor zwei Jahren wurde sogar der Versuch einer schrittweisen Zins-Erhöhung unternommen, was in einen blitzschnellen 25-Prozent Crash an den US-Aktienmärkten mündete. Seitdem sind Zinserhöhungen in Washington wohl endgültig vom Tisch.
Ob es die Fed ein deutlich steigendes Zinsniveau in der über alle Sektoren chronisch überschuldeten US-Wirtschaft überhaupt zulassen wird? Unter diesem Gesichtspunkt könnten die Leerverkäufer durchaus auf die Nase fallen. Steigende Anleihe-Renditen würden perspektivisch die Refinanzierung verteuern. Bei inflationsindexierten Anleihen (die seit einiger Zeit verstärkt zur Absicherung vor Preissteigerungen gekauft werden) schlägt es sogar direkt auf die Zinskosten durch. Außerdem ist die Rendite von längerfristigen US-Staatsanleihen ein Referenz-Zins, an dem sich zahlreiche andere Zinssätze orientieren, unter anderem Hypotheken-Zinsen.
Der Demokraten-Faktor
Eine deutliche Mehrheit der Umfragen sieht Biden (teils deutlich) vor Trump. Aktuelle Umfragen prognostizieren auch einen Machtwechsel im Senat.
Bei einer demokratischen Präsidentschaft inklusive Kontrolle beider Häuser rechnen die Märkte mit großen Ausgabeprogrammen zur Stimulierung der Wirtschaft und Bekämpfung der Armut. Das würde Inflationsdruck aufbauen. Bei steigenden Inflationsraten sinkt der Wert von Anleihen, weil die nominalen Zahlungsströme real entwertet werden. Außerdem könnten Aktien gegenüber Anleihen in einer Wirtschaftserholung attraktiver werden.
Nach Einschätzung von Erik Schiller, head of liquidity bei „PGIM Fixed Income” wäre eine volle Kontrolle der Demokraten ein Bärenszenario für Staatsanleihen und die Renditen könnten dann wieder auf über ein Prozent steigen. Andere Analysten sehen die gegenwärtigen Vorkommnisse als Portfolio-Anpassungen der Asset-Manager: Dieses würden in Erwartung eines temporären Inflations-Schubs die Laufzeit-Struktur ihrer Staatsanleihe-Positionen verkürzen.
Möglicherweise spiegeln die oben geschilderten Leerverkaufs-Aktivitäten nur höhere Inflationserwartungen wider. Eindeutige Umfragen zugunsten der Demokraten gab es schon bei der letzten Wahl, das Ergebnis ist hinreichend bekannt. Und in der letzten TV-Debatte hat sich Biden nicht wirklich gut präsentiert.
Und ob sich die Wirtschaft unter Biden wirklich so toll erholen wird, wie einige Beobachter glauben, ist durchaus fraglich. Bei einem Sieg der Demokraten ist mit Steuererhöhungen und mehr Regulierung zu rechnen. Zudem ist die Pandemie auch in den Vereinigten Staaten außer Kontrolle, was scharfe Eingriffe einer Biden-Administration zur Folge haben könnte. Außerdem könnte Bidens geplanter Green Deal gewaltige Fehl-Investitionen zur Folge haben. Und die einheimische Produktion von Erdöl und Erdgas dürfte durch Frakturierung eingeschränkt werden.
Eine erhöhte Inflation scheint aber nahezu unvermeidbar – auch im Falle einer zweiten Amtszeit von Donald Trump.
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