Politik

Joe Biden und Kamala Harris: Gut für Amerika! Auch gut für die Welt?

Lesezeit: 6 min
08.11.2020 11:44
DWN-Kolumnist Ronald Barazon analysiert die Folgen der amerikanischen Präsidentschaftswahl für Amerika und für die Welt.
Joe Biden und Kamala Harris: Gut für Amerika! Auch gut für die Welt?
Eine Anhängerin von Joe Biden hält während Feierlichkeiten auf den Straßen von Seattle (US-Bundesstaat Washington) ein Bild des neu gewählten US-Präsidenten hoch. (Foto: dpa)

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Der Wahlsieg der Demokraten Joe Biden und Kamala Harris bedeutet für die USA den Anfang einer neuen Ära, in der das unter Donald Trump enorm gespaltene Land wieder zur Normalität finden kann. Wobei Normalität bedeutet, dass Demokraten und Republikaner einander in der politischen Auseinandersetzung nichts schenken, aber letztlich doch gemeinsam für die Interessen und das Wohl ihres Landes arbeiten.

Wenn auch der neue Präsident und die neue Vizepräsidentin feststehen, so ist die Machtverteilung im Parlament noch nicht geklärt: Im Repräsentantenhaus werden die Demokraten die Mehrheit behalten, wenn auch mit weniger Abgeordneten als bisher, im Senat ist momentan eine Pattsituation gegeben. Letztlich entscheidend wird eine Nachwahl im Bundesstaat Georgia sein, die aber erst am 5. Januar stattfindet. Eine Mehrheit der Republikaner im Senat ist wahrscheinlich, und würde eine permanente Behinderung des demokratischen Präsidenten bedeuten. Auch für die Welt bringt der Wechsel in Washington zwar die Rückkehr zur Normalität hinsichtlich des Umgangs miteinander in der internationalen Politik, doch kaum eine Lösung der zahlreichen Krisen auf dem Globus.

Eine nicht-weiße Frau als Vizepräsidentin bedeutet eine Zäsur in der Geschichte der USA

Für das politische Klima in den USA entscheidend ist weniger, dass Joe Biden gewonnen hat. Die Sensation ist vielmehr der Umstand, dass mit Kamala Harris erstmals eine Frau Vizepräsidentin wird; eine Frau, die zudem keine europäischen Vorfahren hat – ihre Mutter stammt aus Indien, der Vater aus Jamaica (wobei sie in den USA geboren wurde). Die studierte Juristin war Oberstaatsanwältin in Kalifornien und bis jetzt Senatorin, die übrigens in den Befragungen zu den Skandalen im Umfeld von Präsident Trump durch besondere Schärfe auffiel. Die 56jährige hat im Wahlkampf mit ihrem gewinnenden Wesen und häufigem Lachen gepunktet. Ihre bisherige Karriere weist sie als zielstrebig und kompetent aus, sodass sie bereits als wahrscheinliche nächste Präsidentschaftskandidatin gilt. Joe Biden ist bei seinem Amtsantritt im Januar 78 Jahre alt. Erstmals um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei hat er sich 1988 beworben, also vor zweiunddreißig Jahren, im Anschluss an die Präsidentschaft Ronald Reagans, und symbolisiert damit die amerikanischen Prinzipien „Niemals aufgeben“ und „Yes, we can!“

Die US-Außenpolitik dürfte auch in Zukunft nicht überzeugen

Man kennt Joe Biden aus seiner Zeit als Vizepräsident unter Barack Obama, in der er entscheidend die Außenpolitik der USA gemeinsam mit Außenminister John Kerry gestaltete. In dieser Periode dominierte Konzilianz. Man bemühte sich, alle Krisenherde zu befrieden, allerdings meist ohne Erfolg. Charakteristisch war 2015 der Abschluss des Atom-Abkommens mit dem Iran, das am Tag der Unterzeichnung vom Obersten Führer Ali Chamenei mit einer wütenden Hassattacke auf die USA quittiert wurde. Donald Trump lieferte in den vergangenen vier Jahren die gegenteilige Politik. Vor allem trat der scheidende Präsident polternd gegen China und den Iran auf und brüskierte sogar den traditionellen Partner Europa. Allerdings geht auch die Ära Trump ohne Ergebnisse zu Ende. Gleichsam als Quittung weist die aktuelle Außenhandels-Statistik der USA wieder einen Rekordüberschuss zugunsten Chinas aus, und die Internationale Atombehörde berichtet, dass der Iran erneut Uran-Anreicherung zur Herstellung von Atomwaffen betreibt. Dass die USA in den kommenden vier Jahren unter einer neuen Führung als Weltmacht mehr zustande bringen werden, ist zu bezweifeln.

Donald Trump kann nicht verlieren und will vor Gericht die verlorene Wahl retten

Ob das Land die Weltmacht Nummer eins bleiben wird, hängt natürlich von seiner außenpolitischen Ausrichtung und dem Geschick seiner Entscheidungsträger ab. Ob aber in Zukunft überhaupt die Voraussetzungen dafür vorliegen, an der Spitze zu stehen, hängt von der Entwicklung ab, die die Vereinigten Staaten innerhalb ihrer eigenen Grenzen nehmen werden. In den nächsten Wochen dürfte Donald Trump mit einer Flut von Klagen versuchen, seine Niederlage mit gerichtlichen Schritten zu korrigieren. Anträge auf Wiederholung der Auszählung in einzelnen Staaten und Anzeigen wegen vermeintlichen Wahlbetrugs stehen auf dem Programm. Die Aktionen hätten allerdings nur einen Sinn bei einem knappen Wahlausgang. Da aber Biden mit fast 76 Millionen Stimmen gegenüber 70 Millionen klar vor Trump liegt, ist das Ergebnis eindeutig. Trumps Hoffnung beruht auf dem US-Wahlsystem, in dem nicht die Gesamtzahl der Stimmen, sondern die Resultate in den einzelnen Staaten entscheiden, und in manchen Staaten kam es tatsächlich zu einem geringen Abstand, der bei einer Neuauszählung korrigiert werden könnte. In diesem Fall käme es zu einer Änderung der Zahl der Wahlmänner, die in Vertretung der Staaten den Präsidenten bestimmen. Nur: Es sieht sehr stark danach aus, als ob Biden 306 Wahlmänner-Stimmen auf sich vereinen wird, Trump nur 232 – da machen Klagen wenig Sinn.

Die Corona-Pandemie wütet und Millionen haben keine Krankenversicherung

Das tatsächliche Problem der USA in den nächsten Wochen wird nicht in den juristischen Kapriolen des scheidenden Präsidenten bestehen. Das Thema Nummer eins ist die Corona-Pandemie, die in den USA bereits 237.000 Tote gefordert hat, wovon 40 Prozent Arme und Angehörige der unteren Mittelschicht waren, die sich keine medizinische Versorgung leisten konnten. Somit zeigt sich eindringlich, dass der von Präsident Obama betriebene Ausbau der sozialen Krankenversicherung eine dringende Notwendigkeit darstellt. Das System befand sich in der Umsetzungsphase, als Trump Präsident wurde, zuerst die Beseitigung versuchte und – als auch einige republikanische Abgeordnete „Obamacare“ verteidigten – die weitere Entwicklung sabotierte. Heute würden die USA die Corona-Krise besser bewältigen, wenn alle Amerikaner eine medizinische Versorgung hätten. 26 Millionen haben jedoch überhaupt keine Krankenversicherung, und viele nur eine, die keine volle Deckung der Kosten sichert. Dieser Umstand hat zusammen mit der ständig von Trump betriebenen Verharmlosung des Virus´ zum Wahlsieg Bidens entscheidend beigetragen.

Trump ist an seinen gebrochenen Wahlversprechen und an Corona gescheitert

Trump wurde in erster Linie abgewählt, weil er persönlich viele Amerikaner enttäuscht hat, und das nicht nur bei der medizinischen Versorgung und durch die Verharmlosung der Pandemie.

  • Von größter Bedeutung ist der Umstand, dass er versprochen hatte, er werde die Arbeitsplätze und den Wohlstand in jene Regionen zurückbringen, die durch die Verlagerung der Produktion nach China und durch die Wanderung der Bevölkerung an die West- und an die Ostküste ihre einstige wirtschaftliche Machtposition verloren haben. Doch weder Arbeitsplätze und Wohlstand haben sich eingestellt.
  • Auch die großzügige Steuersenkung zu Beginn seiner Amtszeit hat den fast 40 Millionen Armen, immerhin 13 Prozent der Bevölkerung, nichts gebracht, sondern vor allem den Reichen und – in geringerem Maße – den Gutverdienern.
  • Allerdings hat die gute Konjunktur 2019 die Zahl der Armen um 4,2 Millionen auf 34 Millionen, also auf 10,5 Prozent der Bevölkerung, sinken lassen, den niedrigsten Prozentsatz seit 1959. Mit diesem Wert hätte Trump sicher bei der Wahl gepunktet, doch löste die Corona-Krise eine Explosion der Arbeitslosigkeit und der Armut in den USA aus und machte den zuvor erzielten Erfolg wieder zunichte.

Die Bevölkerungsstruktur ändert sich und bringt die Republikaner in Bedrängnis

Dass Trump verzweifelt gegen das Wahlergebnis ankämpft, liegt in seinem Wesen. Auch als Immobilien-Unternehmer hat er ständig die Gerichte beschäftigt, oft mit schwer nachvollziehbaren Anliegen. Allerdings geht es nicht nur um Trumps Charakter, sondern um die Lage der republikanischen Partei, der "Grand Old Party“, die in Zukunft nur schwer einen Präsidenten stellen wird. Im Moment profitieren die Demokraten von der demografischen Entwicklung.

  • Traditionell wählen junge, aufstrebende Akademiker, Start-up-Unternehmer und Künstler die Demokraten. Und solche Menschen gibt es immer mehr – Farmer und Handwerker dafür immer weniger.
  • Die Bevölkerung wandert aus der zunehmend abgehängten Mitte des Landes an die West- und an die Ostküste. Die derzeit stattfindende Volkszählung wird bei den kommenden Wahlen diese Küsten-Staaten, die von den Demokraten dominiert werden, stärken, dass heißt, diese Staaten werden mehr Wahlmänner-Stimmen bekommen, die konservativen Staaten der Nicht-Küsten-Regionen werden dagegen Stimmen verlieren.
  • Die nicht-weiße Bevölkerung wächst ständig und nähert sich der 50-Prozent-Marke. Auch diese Gruppe wählt überwiegend die Demokraten. Die traditionell dominierenden WASPs (white-anglo-saxon-protestants) werden zur Minderheit.

Dass man diese Entwicklung allerdings auch nicht überschätzen darf, hat sich bei den Wahlen gezeigt. Zwar hat das Demokraten-Duo Biden/Harris die Präsidentschaftswahl gewonnen; im Parlament, wo die Ergebnisse noch nicht endgültig vorliegen, kam es zu einer jedoch zu differenzierten Entwicklung. Offensichtlich wollen die US-Wähler, unabhängig von der sich stark verändernden Bevölkerungsstruktur, das Prinzip der „Checks and Balances“ (Gewaltenteilung) aufrechterhalten: Keine politische Macht darf zu stark werden, das Machtgefüge muss ausbalanciert sein. Somit werden die Demokraten die Mehrheit im Kongress trotz eines Verlusts von vier Mandaten zwar behalten, im Senat dürften allerdings die Republikaner führend bleiben. Die endgültigen Ergebnisse stehen noch nicht fest, weil Georgia und North Carolina erst im Laufe des heutigen Sonntags die Zählungen abschließen und weil Georgia am 5. Januar Nachwahlen für den Senat abhält. Momentan kann man von 214 Demokraten zu 196 Republikanern im Kongress und einer ganz knappen republikanischen Mehrheit im 100-köpfigen Senat ausgehen (dem auch Unabhängige angehören). Kommt es zu einer Pattsituation, fällt Kamala Harris eine zentrale Rolle zu: Die Vizepräsidentin ist automatisch auch Vorsitzende des Senats (allerdings üblicherweise nur mit einer repräsentativen Funktion), bei Stimmengleichheit entscheidet jedoch ihre Stimme.

Der scheidende Präsident redet nicht mit seinem Nachfolger

Ein zentrales Thema bildet die wirtschaftliche Entwicklung. Die USA stürzten aus einer ausgezeichneten Konjunktur mit geringer Arbeitslosigkeit durch die Corona-Pandemie in eine tiefe Wirtschaftskrise mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf die Rekordmarke von 15 Prozent. Bis Oktober kam es zu einer kräftigen Erholung und die Arbeitslosigkeit ging auf 6,9 Prozent zurück. Durch die aktuelle Welle von Neuinfektionen sind auch die USA zu Maßnahmen gezwungen, die die Wirtschaft belasten müssen und die Arbeitslosenzahlen wieder in die Höhe treiben werden. Joe Biden will bereits ab dem morgigen Montag damit beginnen, ein Programm mit Experten zu entwickeln, hat aber bis zum 20. Januar nächsten Jahres, dem Tag seiner Amtseinführung, keinerlei Regierungsverantwortung. Eine Zusammenarbeit mit Trump zeichnet sich nicht ab, da der scheidende Präsident die Schwere der Pandemie leugnet und Biden nicht einmal zu dem traditionell üblichen Antrittsbesuch im Weißen Haus eingeladen hat.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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