Politik

Gefährliche Lage: Deutschland wird zum „Client State“ der USA

Lesezeit: 6 min
27.11.2020 13:52  Aktualisiert: 27.11.2020 13:52
Die neue US-Regierung wird versuchen, Deutschland im Interesse der USA auf dem geopolitischen Schachbrett der Welt einzusetzen. Deutschland steuert auf sehr angespannte Beziehungen mit China, Russland, Großbritannien und der Türkei zu.
Gefährliche Lage: Deutschland wird zum „Client State“ der USA
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält am Dienstag (03.11.2009) im Kapitol in Washington (USA) eine Rede. (Foto: dpa)
Foto: Rainer Jensen

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die deutsche Außenpolitik schaut hoffnungsvoll auf den Amtsantritt von Joe Biden. Diverse Politiker des Bundeskabinetts haben bisher nur positive Aussagen in Bezug auf den künftigen Präsidenten der USA getätigt. Doch die Bundesregierung sollte aufpassen, nicht in den Sog unilateraler Interessen der USA unter dem vorgegaukelten Banner der „transatlantischen Freundschaft“ gezogen zu werden.

Biden wird sich in erster Linie um innenpolitische Probleme kümmern müssen, die im Zusammenhang mit der Corona-Krise und den wirtschaftlichen Problemen stehen. Seit Jahren ist die US-Außenpolitik darauf ausgerichtet, Verbündete für die außenpolitischen Ziele der USA zu gewinnen, um gleichzeitig zu behaupten, die USA würden ihre Aktivitäten – vor allem die militärischen – einschränken wollen. Dieser Ansatz wurde nicht nur unter Donald Trump, sondern bereits unter Barack Hussein Obama verfolgt.

Daraus abgeleitet erlagen die westlichen Verbündeten dem Trugschluss, dass sich die USA weitgehend zurückziehen werden. Nichts könnte der Wahrheit ferner sein. Die USA werden künftig noch aktiver in die Geschehnisse in der Welt eingreifen, aber eben über die von den Politikmachern in Washington ausgemachten „Client States“. Staaten, die den USA militärisch und politisch untergeordnet sind, sollen in die Strukturen US-amerikanischer Interessen eingebunden werden, um sie vorzuschieben.

Die Staaten, mit denen die USA ihre Beziehungen besonders gezielt ausbauen werden, werden als „Client States“ agieren, die abschätzig auch als „Vasallen-Staaten“ beschrieben werden.

Bidens Kabinett

Bevor bestimmte Szenarien zur deutschen Außenpolitik geschildert werden, lohnt es sich, einen Blick auf das „neue Kabinett“ Bidens zu werfen.

Avril Haines soll erste Direktorin der US-Geheimdienste werden. Sie soll die US-Geheimdienste koordinieren. Haines war Mitautorin von Obamas „Presidential Policy Guidance“, dem berüchtigten Drohnen-Manuskript, das gezielte Drohnen-Attentate auf der ganzen Welt normalisierte. Haines war unter Obama auch als Vize-Direktorin der CIA tätig. Außerdem agierte sie in der Vergangenheit als Beraterin des Technologie-Unternehmens Palantir. Auf der Webseite der „Brookings Institution“, für die sie zuvor als „Senior Fellow“ tätig gewesen ist, wurde ihre Beratertätigkeit für Palantir dokumentiert. Nachdem bekannt wurde, dass sie ins Biden-Team geholtwird, wurden diese und weitere Informationen auf der Webseite der „Brookings Institution“ gelöscht. Doch durch den Einsatz der „Wayback Machine“ können die gelöschten Informationen im Internet abgerufen werden. Palantir unterstützte die NSA auch bei der Entwicklung von Tools zur Erleichterung der weltweiten Spionage.

Anthony Blinken soll Außenminister werden. Blinken war ein Top-Berater von Biden, als der damalige Senator für die Genehmigung der US-Invasion im Irak stimmte, und Blinken half Biden bei der Ausarbeitung eines Vorschlags zur Aufteilung des Irak in drei separate Regionen, basierend auf der ethnischen und religiösen Identität, berichtet The Daily Beast. Staaten, die entlang ethnischer und religiöser Grenzen organisiert werden, sind dazu verdammt, früher oder später in einer Sezession zu enden.

Als stellvertretender nationaler Sicherheitsberater unterstützte Blinken 2011 die militärische Intervention in Libyen und half 2018 bei der Gründung von „WestExec Advisors“, einer „strategischen Beratungsfirma“, die ihre Kunden geheim hält. Jonathan Guyer schreibt im „American Prospect“: „Ich habe erfahren, dass Blinken und Flournoy ihre Netzwerke genutzt haben, um einen großen Kundenstamm an der Schnittstelle von Technologie und Verteidigung aufzubauen.“ Michèle Flournoy war unter dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton als stellvertretende Verteidigungsministerin für Strategie und unter Obama Unterstaatssekretärin im Verteidigungsministerium tätig.

Jake Sullivan soll nationaler Sicherheitsberater werden. Er war zuvor für „Macro Advisory Partners“ tätig. Das Unternehmen wird von ehemaligen britischen Spionagechefs geführt und beschäftigt rund 30 Vollzeitmitarbeiter. Sullivan war auch als Berater für Hillary Clinton und als nationaler Sicherheitsberater von Biden tätig, als dieser das Amt des US-Vizepräsidenten innehatte. Er spielte eine enorm wichtige Rolle bei der Vorbereitung der Libyen-Intervention 2011 und beim „Arabischen Frühling“.

Linda Thomas-Greenfield, die als Botschafterin bei den Vereinten Nationen fungieren soll, war bisher für die „Albright Stonebridge“ Group tätig. Den Vorsitz der Firma, die als „globale Strategiefirma“ agiert, hat die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright inne. Die „Albright Stonebridge Group“ ist umstritten: Es ist nahezu unmöglich, Informationen darüber zu erhalten, wer die Kunden der Firma sind.

Ausgehend von den Biografien und „speziellen Fähigkeiten“ des potenziellen Biden-Kabinetts, kann festgestellt werden, dass der militärische Fokus der künftigen US-Regierung auf Drohnen und versierter technologisch gestützter Spionage liegen wird, was auch die Bedeutung des US-Stützpunkts „Ramstein“ erhöhen wird.

Wenn Biden seinen ersten Staatsbesuch in Deutschland tätigen sollte, sollte jedem Beobachter klar werden, dass Deutschland eine verstärkte Rolle als „Client State“ zukommen wird. Dann dürfte auch damit zu rechnen sein, dass Deutschland wirtschaftlich, politisch und militärisch gegen vier Schlüssel-Staaten positioniert werden soll, während die USA im Hintergrund „Motivationsarbeit“ leisten: Nämlich gegen China, Russland, Großbritannien und die Türkei.

Mit allen vier Staaten hat Deutschland bereits heute Reibungspunkte. Die Probleme im Zusammenhang mit China betreffen 5G, die Neue Seidenstraße und den Handel. Nord Stream 2, die Ukraine, Syrien und Libyen stellen die Spannungsfelder zwischen Deutschland und Russland dar. Mit der Türkei befindet sich Deutschland in Bezug auf das östliche Mittelmeer, die Flüchtlingsfrage, Libyen, Syrien und die EU-Beitrittsverhandlungen im Streit. Im Zusammenhang mit Großbritannien belastet die Brexit-Frage die deutsch-britischen Beziehungen.

Welche Szenarien daraus folgen könnten, soll an dieser Stelle dargestellt werden:

Die USA können aus geopolitischen (vor allem energiepolitischen) Gründen keine guten Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland und der EU wollen. Die Amerikaner sind regelrecht dazu verdammt, europäisch-türkische Spannungen zumindest zu begrüßen, ohne dies offen zu sagen. Während die US-Regierung unter Biden versuchen wird, gute Beziehungen zu Deutschland und der Türkei aufzubauen, wird es diesen Ländern nicht gestattet werden, ebenfalls gute Beziehungen zueinander zu pflegen. Biden wird dazu neigen, Deutschland und die EU hinter verschlossenen gegen die Türkei aufzubringen, um sich selbst als „Freund der Türkei“ ins Spiel zu bringen. Deutschland und die EU werden lediglich als „Druckmittel“ instrumentalisiert werden, damit Washington wichtige Konzessionen von Ankara erzwingen kann. Der US-Geopolitiker George Friedman äußerte sich im Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten mit folgenden Worten zu den Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei: „Die Türken sind verbittert, weil die EU ihr Versprechen im Rahmen des Flüchtlingspakts nicht eingehalten hat. Sie erhielten nicht den gesamten Betrag für die Unterbringung der Flüchtlinge, obwohl ihnen genau dies versprochen wurde. Deutschland spielt eine entscheidende Rolle. Deutschland hält sich niemals an Verträge und Vereinbarungen. Aber genau das fordern die Deutschen seltsamerweise von anderen Ländern (…) Das Beste, was der Türkei je passiert ist, ist nicht in die EU aufgenommen zu werden.“

Die deutsch-russischen Beziehungen werden einen neuen Höhepunkt der Spannungen erleben. Es geht den USA bei dieser Problematik nicht nur um Nord Stream 2, sondern darum, dass sich aus der Kombination dieser Länder ein enormer Machtblock ergeben könnte. Politikmacher in Washington argumentieren, dass Deutschland ein widersprüchliches Verhalten aufweise. Einerseits würden die Deutschen am liebsten ein Bündnis mit den USA wollen, um aber gleichzeitig dafür zu plädieren, dass die USA ihre schützende militärische Hand über Deutschland halten sollen. So denkt auch Biden. Er wird Deutschland dazu drängen, sich zu entscheiden, wobei Berlin keine Wahl gelassen werden soll. Deutschland und die EU sollen Russland als Vorhut gen Osten eindämmen. Dass Argument, wonach die EU abhängig ist von russischen Gaslieferungen, wird das Biden-Team dadurch entkräften, dass aber die Russen eine größere finanzielle Abhängigkeit haben, die sich aus den Gasrechnungen ergeben. Zu Russland und Deutschland sagte Friedman: „Russen und Deutsche haben seit 1871 regelrecht ,geflirtet‘. Es handelt sich dabei um einen Traum, wonach eine Kombination aus russischem Gas und deutscher Technologie gebildet werden soll. Aber eine Seite hat immer die andere Seite verraten. Die Deutschen denken, dass sie alles erreichen können, bis sie erkennen, dass sie es nicht können. Dies ist ein historisches Problem und eine alte Kamelle (…) Die USA und Deutschland unterhalten eine einzige institutionelle Beziehung, nämlich die NATO-Beziehung. Deutschland will seinen Beitrag nicht leisten, aber das Land will in Sicherheit leben. Deutschland unternimmt keine Anstrengungen, um das Ausgabenziel von zwei Prozent des BIP zu erreichen. Die Deutschen glauben, dass sie das Recht haben, den Status Quo der NATO zu schützen.“

Deutschland ist dem britischen Komplettausschluss des chinesischen Netzwerkausrüsters Huawei vom 5G-Mobilfunknetz nicht gefolgt. Die Bundesregierung habe einen Ansatz gewählt, bei dem sie die Sicherheitsanforderungen für die Mobilfunknetzbetreiber an die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen anpasse, sagte ein Regierungssprecher im Juli 2020. Doch mit dieser Lösung wird sich Biden nicht zufrieden stellen lassen. Ein Komplettausschluss von Huawei wird die einzige Möglichkeit sein, um die deutsch-amerikanischen Beziehungen etwas zu verbessern. Biden wird die Bundesregierung dazu drängen, einen Abzug „deutscher Produktionsstandorte“ in China in Richtung Indien oder in andere ausgewählte Länder zu erwirken. Im Zusammenspiel mit der EU wird der Import chinesischer Waren in den EU-Raum gesenkt werden müssen. Es muss zu einer wirtschaftlichen Entflechtung der deutsch-chinesischen Beziehungen kommen.

Die Loslösung Großbritanniens von der EU wird das Land auf dem europäischen Schachbrett zu einem Kontrahenten Frankreichs und Deutschlands machen. Die Briten werden versuchen, ihre Beziehungen mit der Türkei auszubauen, um ein Gegengewicht gegen Kontinentaleuropa aufzubauen. Eine handelspolitische Annäherung zwischen China und Großbritannien ist ebenfalls zu erwarten. Die neue US-Regierung wird die Spannungen zwischen Deutschland und Großbritannien begrüßen. Hier wird Biden die Taktik wählen, die auch im Zusammenhang mit der Türkei zum Einsatz kommen soll, wobei die Briten dieses Spiel aufgrund ihrer besonders fähigen Diplomaten aushebeln könnten. Als sicher gilt aber, dass über den deutsch-britischen Beziehungen sehr dunkle Wolken aufziehen, was wiederum die größte Gefahr für Deutschland stellen würde.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Iranisches Atomprogramm: Teheran will mehr Uran anreichern
22.11.2024

Droht der Iran dem Westen mit neuen Atomwaffen? Die IAEA warnt, Teheran wehrt sich – und eskaliert die Urananreicherung. Jetzt könnten...

DWN
Politik
Politik Dauerbaustelle Autobahn: Sie stehen hier im Stau, weil sich Verkehrsminister Volker Wissing verrechnet hat
22.11.2024

Wenn man im Sommer entspannt durch Frankreich oder Italien über die Autobahnen gleitet, fragt man sich jedesmal aufs Neue: Warum müssen...

DWN
Politik
Politik Krankenhausreform kommt: Lauterbachs Reform passiert den Bundesrat
22.11.2024

Karl Lauterbach freut sich: Der Bundesrat hat das sogenannte "Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz" gebilligt, das Herzensprojekt des...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Rezession droht im Winter, Euro ist im Sinkflug: Was sind die Gründe?
22.11.2024

Stagnation der deutschen Wirtschaft, ein schwächelnder Euro, miese Stimmung in den Unternehmen: Ökonomen befürchten eine...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoins-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch nahe 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
22.11.2024

Ein Bitcoin-Rekordhoch nach dem anderen - am Freitagmorgen kletterte der Bitcoin-Kurs erstmals über 99.000 US-Dollar. Seit dem Sieg von...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Memoiren „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Erinnerungen schönschreibt
22.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Krankenhausreform: Entscheidung über Lauterbachs hoch umstrittenes Projekt heute im Bundesrat
22.11.2024

Krankenhausreform: Kommt sie jetzt doch noch? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht mit seinem hochumstrittenen Projekt vor...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz von HH2E: Rückschlag für Habecks Energiewende - Wasserstoffprojekte in Sachsen in Gefahr
22.11.2024

Der Wasserstoff-Spezialist HH2E hat Insolvenz angemeldet, die Finanzierung durch ein britisches Private-Equity-Unternehmen ist gestoppt....