Finanzen

Das Armutsproblem kann nur die Wirtschaft lösen - nicht der Staat und der Klassenkampf

Lesezeit: 6 min
19.12.2020 09:45
Ronald Barazon hält nichts von Parolen, von mehr Staat und von höheren Belastungen für Unternehmen. In seiner meinungsstarken Kolumne legt er dar, wie den Armen in seinen Augen besser geholfen werden kann.
Das Armutsproblem kann nur die Wirtschaft lösen - nicht der Staat und der Klassenkampf
Mit dieser Parole kann DWN-Kolumnist Roland Barazon überhaupt nichts anfangen. (Foto: dpa)

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Parolen wie „Die Reichen werden immer reicher“, „Die Kluft zwischen arm und reich wird immer größer“ oder „Das weltweite Vermögen befindet sich in der Hand von ganz wenigen“ werden regelmäßig verbreitet – und zwar immer häufiger, immer lauter. Doch dieser moderne Klassenkampf ist nicht viel mehr als billige Inszenierung und Effekthascherei, welche sich nicht nur als wirkungslos erweisen, sondern darüber hinaus noch kontraproduktiv sind. Denn zum einen ist das Problem von Armut und Reichtum viel komplexer, als es die simplen Parolen glauben machen wollen, zum anderen werden die Reichen durch das Geschrei bestimmt nicht dazu animiert, ihren Wohlstand mit den weniger Begüterten zu teilen. Dabei gäbe es eigentlich sehr viel zu tun, um einen besseren, wirksameren Einsatz des Kapitals zu erreichen. Doch da gibt es kein Geschrei, da herrscht lähmende Stille.

Der Protest gegen die Vermögenden ist gleichbedeutend mit dem Ruf nach Staatsunternehmen

Schon am Anfang des modernen Parolen-Klassenkampfs steht ein grundlegender Irrtum: Der Glaube, dass Eigentum an seinem Unternehmen den Inhaber vermögend macht. Doch ist das nicht die Art Vermögen, die ein prall gefülltes Bankkonto darstellt, von dem man Geld abheben kann – einer Fabrik oder einer Maschine kann man schließlich keinen Anteil entnehmen, nach dem Motto: „Ich nehme mir jetzt dieses Fließband oder diesen Motor.“ Natürlich wirft ein gut gehendes Unternehmen ordentliche Gewinne ab, doch sind diese selbstverständlich viel geringer, als es der gesamte Wert des Unternehmens ist – und dieser wird bei der Bewertung des Vermögens eines Reichen stets herangezogen, und führt deshalb zu übertriebenen Vorstellungen.

Wer sich darüber empört, dass vermögende Unternehmer zu reich sind, macht sich darüber hinaus nicht bewusst, was die Alternative wäre: Nämlich die Verstaatlichung ihrer Unternehmen. Dieses Experiment wurde zu unterschiedlichen Zeiten an den verschiedensten Orten immer wieder durchgeführt – fast jedes Mal mit dem Ergebnis, dass die betroffenen Unternehmen in ihrer Leistungsfähigkeit abnahmen, häufig sogar bankrottgingen, weil eben Beamte und politische Günstlinge keine Geschäftsleute sind und nicht in der Lage, ein Unternehmen zu führen.

Noch eines muss bedacht werden: Es existiert bereits ein bewährtes Instrument, das für die breite Streuung von Eigentum zu sorgen in der Lage ist – die Aktie. Allerdings, auch das muss fairerweise gesagt werden, wird nur ein bescheidener Teil der Wirtschaft über Aktien finanziert. Nicht zuletzt um den Anteil der Reichen am Gesamtvermögen und damit auch ihre Macht zu beschränken, wäre eine stärkere Streuung des Kapitals wünschenswert. Nur lauert auch hierbei eine Falle:

Die Fonds-Manager sind keine „demokratischen“ Vertreter der Kleinaktionäre

Kleinaktionäre, die eigenständig agieren, haben aufgrund ihrer minimalen Anteile keine Möglichkeit, Einfluss auf die Unternehmen zu nehmen, an denen sie Aktien halten. Zudem investieren die meisten nicht selbstständig, sondern über Fonds. Die Folge: Die Fondsmanager sind äußert mächtig, weil sie eine gewaltige Zahl von Aktionären vertreten, was dazu führt, dass der einzelne Anleger in der anonymen Masse verschwindet. Zu den mächtigen Eigentümern von Unternehmen treten also die Fondsverwalter – von denen es auch nicht so viele gibt – als weitere Herrscher hinzu. Die Kleinanleger werden zumeist nicht einmal umfassend informiert, mitgeteilt werden ihnen in der Regel nur die größten Positionen des Fondsvermögens. Einfluss haben die einzelnen Kunden also nicht, was ja auch schon angesichts ihrer riesigen Zahl praktisch unmöglich ist.

Die großen Fonds sammeln gigantische Beträge, die sie zu veranlagen haben, und so kommt es nicht selten vor, das ein und derselbe Fonds sogar zwei oder mehrere Gesellschaften dominiert, die schärfste Konkurrenten auf dem Markt sind. Fondsverwalter landen dann in einem ständigen kuriosen Interessenkonflikt: Wer ist stärker – ich oder ich.

Grundsätzlich ist die Fondslösung ein überzeugendes Konzept – ein wirksames Instrument zur effektiven Demokratisierung der Macht über das Kapital ist er allerdings nicht, wie wir gesehen haben. Aber: Der Kleinaktionär kann sich über einen Fonds an Unternehmen beteiligen, zu denen er sonst keinen Zugang hätte. Wenn von Fonds die Rede ist, dann kommt meist prompt der Hinweis auf die USA, wo diese Institutionen eine dominante Rolle spielen. Also ertönt in Europa immer wieder die Forderung, „wir wollen das auch“. Ihre Position haben die amerikanischen Fonds erreicht, weil Millionen von Bürgern einzahlen, und bei der großen Bevölkerung von 330 Millionen und dem hohen Durchschnittseinkommen kommen riesige Summen zustande. In erster Linie sichern die US-Fonds die Renten, das öffentliche Renten-System spielt eine untergeordnete Rolle.

Beides geht nicht: Entweder öffentliches Renten-System oder funktionierender Kapitalmarkt

Womit der Kern des Problems angesprochen ist: Eine Volkswirtschaft kann nicht zwei Renten-Systeme finanzieren. Entweder man hat ein öffentliches Renten-System, dann gibt es keinen kräftigen Kapitalmarkt – oder man hat letzteres, dann ist ersteres nicht möglich. Dieser Zusammenhang geht in der allgemeinen Diskussion in der Regel unter. Dabei ist das Kernproblem leicht erklärt: Die Basis des Kapitalmarkts sind die Unternehmen und ihre Erträge. In Europa müssen die Unternehmen die Sozialversicherung über ihre Beiträge und über Steuern finanzieren. Die Mittel, die man für diesen Zweck aufwendet, kann man nicht noch einmal zur Zahlung von Gewinnausschüttungen verwenden. Gewinnausschüttungen sind jedoch die Basis des Kapitalmarkts, und so fehlt dem Kapitalmarlt in Europa die Basis, und an diesem Punkt scheitern alle Belebungsversuche. Anders formuliert, man verstaatlicht zwar nicht die Unternehmen, aber auf indirekte Weisen einen beachtlichen Teil ihrer Erträge, sodass für Dividenden wenig übrig bleibt.

Deutschland hat versucht, mit der Rentenreform 2002 beide Systeme zu vereinen. Gescheitert ist das Projekt an mehreren Faktoren:

  • Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung verfügt über ein ausreichendes Verständnis für den Kapitalmarkt.
  • Die meisten Unternehmer wollen keine Kleinaktionäre.
  • Die Sozialversicherung wurde nicht abgeschafft, sondern nur in ihrer Bedeutung reduziert, sodass man ein Hybrid schuf, das aus einem teilweise öffentlichen und einem teilweisen privaten System besteht.
  • Dramatisch wurde die Lage zusätzlich, als nach der Finanzkrise die Europäische Zentralbank niedrige Zinsen diktierte und Anleihen uninteressant wurden. Ein Fonds funktioniert aber nur, wenn Anleihen und Aktien kombiniert werden.

Statt „Plündert die Reichen!“ zu rufen, wäre es hilfreicher, die Wirtschaftsleistung zu steigern

Die Dinge sind folglich nicht auf die einfache Formel „Plündert die Reichen!“ zu reduzieren. Und noch etwas funktioniert nicht: Die Einführung von hohen Vermögensteuern – auch wenn ihre Befürworter mit dieser Forderung in der Öffentlichkeit leicht punkten können. Vermögensteuern haben nämlich dramatische Nachteile: Sie verringern die Vermögen, die in der Folge in den Staatshaushalten verschwinden, die sich bekanntlich als Fässer ohne Boden erweisen. Die Vermögen selbst werden Jahr für Jahr kleiner, bis letztendlich nichts mehr übrigbleibt. Der Prozess wird oft noch beschleunigt: Um die Vermögensteuer überhaupt zahlen zu können, müssen nicht selten Unternehmenswerte verkauft werden.

Eine Vermögensteuer ist somit nur zu vertreten, wenn das Vermögen ausreichend Erträge abwirft, um die Vermögensteuer bezahlen zu können. Dann ist aber die Vermögensteuer im Endeffekt nur eine weitere Einkommensteuer, die zu den bereits bestehenden Einkommensteuern hinzukommt.

Will man also die Armen stärker am gesellschaftlichen Gesamtvermögen beteiligen, so sind andere Methoden anzuwenden. Als erstes bietet sich die Erhöhung von Löhnen und Gehältern an. Um an dieser Front große Steigerungen zu erzielen, muss allerdings das Sozialprodukt gesteigert werden, also mehr erwirtschaftet werden, damit mehr verteilt werden kann. Ein stärkeres Wachstum und eine höhere Wirtschaftsleistung pro Kopf kann man allerdings nicht mal so eben im Vorbeigehen schaffen, sondern sie hängen von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Das sieht man besonders jetzt, da ein Virus große Teile der Volkswirtschaft lähmt.

Das soziale Europa ist deutlich weniger sozial als das unsoziale Amerika

Um aber beim Thema „arm und reich“ zu bleiben: Es muss die Frage gestellt werden, inwieweit der Kapitalmarkt als Wachstumsfaktor wirkt. Auf dem Prüfstand steht die bessere Effizienz beim Einsatz der Mittel, die einen höheren Effekt ermöglicht. Und dabei erweist sich das US-amerikanische System dem europäischen weit überlegen. Die Kapitalgeber sehen selbst oder über ihre Fonds sehr deutlich, welche Ergebnisse mit ihren Mitteln erwirtschaftet werden. Sind diese nicht ausreichend, dann kommen die Unternehmen unter Druck. Eine vergleichbare natürliche „Reinigungskraft“ gibt es naturgemäß im anonymen System der Sozialversicherung nicht – die Beiträge sind festgelegt und müssen abgeliefert werden, ob der zahlende Betrieb gut oder schlecht wirtschaftet, spielt keine Rolle.

Das am häufigsten vorgebrachte Argument gegen das amerikanische und für das europäische Modell ist der soziale Faktor: In den USA würden viele in dem harten Wettbewerb auf der Strecke bleiben, in Europa kümmere man sich um alle, auch um die Ärmsten, heißt es regelmäßig. Dass diese These nicht mit der Realität übereinstimmt, wird geflissentlich übersehen. Die Realität: 12,3 Prozent der US-Amerikaner leben an oder unter der Armutsgrenze, in der EU sind es 22,4 Prozent, in Deutschland 15,9 Prozent. Die peinliche Bilanz: Die USA erzielen eine deutlich höhere Wirtschaftsleistung pro Kopf, haben weniger Arme und das durchschnittlich netto verfügbare Monatseinkommen ist auch höher als in Europa.

Die Diskussion über „Reich und Arm“ in Europa ist fehl am Platz. Wichtiger wäre eine Diskussion über die Frage, wie Europa insgesamt reicher werden könnte, wie die Einkommen aller Europäer zu steigern wären und wie das dann verfügbare zusätzliche Geld eingesetzt werden sollte. Doch über solche Fragen macht sich kaum einer mal Gedanken, die langfristigen Strukturprobleme interessieren eben nicht. Vielmehr gibt es laufend neue Ideen, was der Staat und seine Einrichtungen alles an zusätzlichen Wohltaten in der gewohnt ineffizienten Weise leisten könnten – was letztlich nur bedeutet, dass den öffentlichen Haushalten noch mehr Geld zufließen muss. Woher dieses Geld kommen soll? Egal, für solche Überlegungen hat man derzeit keine Muße. Gegenwärtig muss man sich nämlich der Beantwortung einer anderen Frage widmen: Wieviel Corona-Geld kann man sich aus dem staatlichen Füllhorn der Förderungen sichern?

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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