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Die Unendlichkeit und das Nichts

Lesezeit: 6 min
31.01.2021 11:00
Abstrakte Grenzwerte faszinieren die Wissenschaft – und das, obwohl oder gerade weil sie die menschliche Vorstellungskraft übersteigen.
Die Unendlichkeit und das Nichts
Die Unendlichkeit oder auch Endlichkeit des Kosmos ist für den Menschen nicht fassbar. (Foto: Pixabay)

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Beim Blick gen Nachthimmel scheint sich die Unendlichkeit des Raumes zu eröffnen: Sterne, soweit das Auge reicht. Wer sich nun in Gedanken noch viel weiter – über das dem menschlichen Auge sichtbare Licht weit entfernter Sterne und Galaxien hinaus – in die Tiefen des Weltraums begibt, stößt dabei schnell an gewisse kognitive Grenzen. Etwas sehr Ähnliches passiert, wenn man versucht, sich das „Nichts“ vorzustellen.

Die Grenzen unserer Wahrnehmung

Menschen sind nicht in der Lage, solche abstrakten Grenzwerte wie „Unendlichkeit“ und „Nichts“ wahrzunehmen und können sie sich aus diesem Grund auch nicht vorstellen. Die tiefere Ursache hierfür liegt in der Entwicklungsgeschichte des Menschen: Wir können abstrakte Grenzwerte nicht erfassen, weil sich unser Bewusstsein so entwickelt hat, dass wir nur in dreidimensionalen Räumen und in einer linearen sowie konstant weiterlaufenden Zeit denken können. Alles, mit dem wir konfrontiert werden, hat einen Anfang und ein Ende. Alles, was darüber hinausgeht, ist für uns vollkommen paradox und unverständlich.

Unendlichkeit ist etwas nicht Greifbares, das man vielleicht mathematisch mit der umgedrehten Ziffer 8 formalisieren und dann im Rahmen von Konvergenz-Rechnungen verwenden kann. Aber man kann es sich trotzdem nicht vorstellen.

Analog das „Nichts“: Mathematisch wird es mit der Ziffer 0 beschrieben, aber wie macht man das Nichts, die Nichtexistenz von Etwas oder Allem wirklich greifbar? Vor dem inneren Auge visualisiert man sich das „Nichts“ womöglich als einen schwarzen leeren Raum, aber ein leerer Raum ist nicht nichts. „Nichts“ bedeutet, dass es überhaupt keinen Raum gibt.

Singularität

Neben dem unendlichen Raum und dem Nichts gibt es in der theoretischen Physik noch weitere spannende Phänomene, die sich der menschlichen Wahrnehmung entziehen. Ein Beispiel sind schwarze Löcher, die in gewisser Weise die Konzepte der „Unendlichkeit“ und des „Nichts“ vereinigen. Ein schwarzes Loch ist unendlich verdichtete Materie. Die räumliche Vorstellung eines wortwörtlich „schwarzen Lochs“ im Universum ist aber irreführend. Ein schwarzes Loch hat keine räumliche Ausdehnung, sondern ist gewissermaßen ein eindimensionaler Massepunkt mit einem Volumen von annähernd Null, wobei die Masse schwarze Löcher unendlich groß ist. So entsteht also die scheinbare Vereinigung von Unendlichkeit und „Nichts“ in einem – unendlich große Masse gefasst in einem unendlich kleinen Raum.

Je näher man dem schwarzen Loch kommt, umso stärker wird die Gravitationskraft und umso stärker ist die Verzerrung der Raumzeit. In dem alles konzentrierenden Massepunkt ist die Schwerkraft unendlich groß und die Raumzeit nicht definiert. Einen solchen Punkt nennt man auch Singularität.

Ist der Raum wirklich unendlich oder doch endlich?

Ist das Volumen des Raumes endlich oder unendlich? Für Physiker ist dies eines der zentralen Rätsel, welches bis heute noch nicht gelöst werden konnte. Vieles spricht für die Unendlichkeit des Kosmos. Einige Kosmologen denken dagegen, dass das Universum tatsächlich „nur“ eine endliche Ausdehnung hat. Das mag zum Teil an der Bequemlichkeit dieser Vorstellung für den menschliche Geist liegen.

Moderne Arbeiten aus der Quantenkosmologie weisen allerdings darauf hin, dass diese bequeme Vorstellung tatsächlich richtig sein könnte. Theorien, die zu beschreiben versuchen, wie das Universum spontan aus dem Nichts durch sogenannte „Quantenfluktuationen“ entstanden ist, prognostizieren, dass ein Universum mit einer umso höheren Wahrscheinlichkeit entstehen kann, je kleiner das Gesamtvolumen dieses Universums ist. Demnach hätte sich ein unendlicher Kosmos gar nicht bilden können, weil die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis glatt null gewesen wäre. Der Grund dafür ist - vereinfacht gesagt - , dass keine Quantenfluktuation einen unendlichen Energiebetrag hervorbringen könnte, der für ein räumlich unendliches Universum erforderlich wäre.

Hinweise für die Endlichkeit des Universums suchen Physiker unter anderem in der Beschaffenheit der kosmischen Hintergrundstrahlung – bis heute noch ohne Erfolg. Die Unendlichkeit hinterlässt dagegen keine Spuren, weswegen man sie niemals wird beweisen können.

Gleichzeitig muss man sich fragen: Macht es für die menschliche Wahrnehmung wirklich einen Unterschied, ob das Volumen des Raums unvorstellbar groß oder unendlich groß ist? Zumal sich der Raum stetig ausdehnt.

Die heutzutage weitgehend anerkannte Urknalltheorie besagt, dass vor 13,8 Milliarden Jahren Materie, Raum und Zeit aus einer ursprünglichen Singularität – also einem einzigen Punkt heraus – entstanden. Dieser Punkt explodierte, und das Universum expandierte im Bruchteil einer Sekunde von der Größe eines Atoms zur Größe einer Galaxie. Seitdem dehnt es sich immer weiter aus.

Hier wird dem Menschen im Übrigen die Grenzen seiner Vorstellungskraft wieder einmal unmißverständlich aufgezeigt: Wenn das Universum unendlich groß ist, wie kann es sich dann noch ausdehnen – sozusagen über die Unendlichkeit hinaus? Mathematisch ist es sehr wohl möglich, auf eine unendlich große Zahl eine endliche Zahl zu addieren, was in der Gesamtsumme eine unendliche Zahl ergibt, die größer als die ursprüngliche unendliche Zahl ist.

Grenzenlose Endlichkeit aus der Topologie

Einmal angenommen, das Universum ist endlich und eine Reise an den „Rand“ des Universums ist möglich. Eine solche Konstellation wirft eine drängende Frage auf: Was befindet sich hinter dem Rand des Universums? Jede Grenze trennt bekanntlich zwei Seiten. An dieser hypothetischen Grenze stößt auch die Physik selbst an eine Barriere: Ein „Hinter dem Universum“ gibt es definitionsgemäß nicht. Das Weltall umfasst alles. Es gibt nur ein Universum, nur einen Raum. Eine Grenze, hinter der etwas anderes beginnen könnte, ist aus physikalischer Sicht logisch unmöglich! Denn dieses „andere“ würde auch wieder zum Weltall gehören. Raum und Zeit sind nämlich untrennbar mit der kosmischen Materie verbunden.

Lösungsvorschläge für dieses Dilemma kommen aus der Topologie. Wenn wir eines Tages wissen, welche geometrische Form das Universum hat, sind wir der der Antwort auf die Frage nach der (Un-)Endlichkeit ein Stückchen näher gekommen.

Bis heute vorherrschend ist die Vorstellung eines unendlichen euklidischen beziehungsweise unendlichen hyperbolischen Raumes. Ein endlicher Raum hat dagegen meistens das oben erwähnte Randproblem. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Mathematiker aber eine ganze Reihe endlicher Räume ohne Grenze entdeckt. Darauf aufbauend schlug der berühmte deutsche Mathematiker Bernhard Riemann (1826-1866) als Modell für den Kosmos eine Hypersphäre vor – die dreidimensionale Oberfläche einer vierdimensionalen Kugel.

Wie die Oberfläche einer gewöhnlichen Kugel ist die Hypersphäre endlich, aber doch grenzenlos. Mit diesem Modell ist es möglich, das Universum als ein endliches und trotzdem in sich geschlossenes System darzustellen.

Die 4D-Perspektive

Aus rein mathematischer Sicht könnte der Kosmos also durchaus endlich sein und uns seine Unendlichkeit quasi „vortäuschen“. Denn um die Endlichkeit einer Hypersphäre zu erkennen, müsste man sozusagen von außen auf die vierdimensionale Kugel blicken. Menschen sind dazu von vornherein nicht in der Lage, weil wir nicht vierdimensional denken beziehungsweise wahrnehmen können. Und wenn außerhalb der 4D-Kugel nichts existieren würde, dann wäre es selbst in der Theorie nicht möglich, das hypersphärische Universum aus der Makroperspektive zu betrachten.

Außerhalb der 4D-Kugel ist dann wortwörtlich „nichts“. Und um den Bogen zum Anfang zu spannen: Die Visualisierung des „Nichts“ als ein großer unendlich leerer Raum rundherum ist grundfalsch – und doch für uns Menschen der einzige praktikable Weg, um dem theoretischen hypersphärischen Universum in unserem Kopf irgendeine Begrenzung zu geben.

Noch viel komplexer wird es, wenn man die Zeit, also die vierte Dimension der Raumzeit, mitberücksichtigt. Ein (un)endliches Universum impliziert auch eine (un)endliche Zeit. Im Gegensatz zu einer vierten räumlichen Dimension kann man sich eine vierte Zeitdimension ein wenig besser vorstellen – obwohl wir erfahrungsgemäß auch innerhalb unseres linearen Zeitgefühls häufig danebenliegen. Zeitreisen sind dann „Reisen“ zwischen zwei unterschiedlichen Punkten in der 4D-Raumzeit.

Eine gedankliche Reise an die Grenzen unseres Universums – und darüber hinaus

Als der Mensch begriff, dass die Erde eine Kugel ist, änderte sich sein Weltbild radikal. Etwas ähnliches könnten Beweise über die topologische Beschaffenheit des Universums auslösen. Um Beweise für die Endlichkeit des Raumes zu finden, müsste die Menschheit wohl an den mutmaßlichen Rand des Universums reisen. Wenn das Universum endlich ist, dann erreicht man entweder eine Art Rand – egal wie paradox das erscheinen mag – oder aber man müsste in einer Schleife wieder an den Anfangspunkt gelangen, wobei man in diesem Fall nicht merken würde, dass man einen „theoretischen Rand“ überschritten hat.

Für die reale Raumfahrt spielt es indes keine Rolle, ob das Universum nun endlich oder unendlich groß ist. Der Menschheit wird es vermutlich nie gelingen, bis an die potenziellen räumlichen Endpunkte unseres Universums zu reisen. Diese sind schlichtweg viel zu weit entfernt.


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