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Alchemie: Die überlegene Mutter der Wissenschaften

Die Vorstellung von Alchemisten als lediglich fehlgeleitete Forscher, die vergeblich versuchten, Gold herzustellen, ist das Gegenteil der Wahrheit. Tatsächlich ist die Alchemie den modernen Wissenschaften in vieler Hinsicht sogar überlegen.
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21.01.2021 10:16
Lesezeit: 5 min
Alchemie: Die überlegene Mutter der Wissenschaften
Reagenzgläser einer Versuchsreihe zur Herstellung des vermeintlichen "Steins der Weisen" aus dem Labor des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt liegen am 23.11.2016 in einer Vitrine im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt). (Foto: dpa) Foto: Hendrik Schmidt

Die genaue Herkunft des Wortes Alchemie ist unklar. Sicher ist nur, dass es vom mittellateinischen Wort alchymia kommt, das wiederum auf ein arabisches Wort zurückgeht. Das arabische Wort setzt sich zusammen aus dem bestimmten Artikel al- und einem zweiten Bestandteil, dessen Herkunft jedoch umstritten ist.

Einer Theorie zufolge geht der zweite Bestandteil auf koptisch für „schwarze Erde“ zurück, was sich auf den fruchtbaren und goldhaltigen Boden des Niltals bezieht – im Gegensatz zum umgebenden roten Wüstensand. Nach Ansicht des englischen Ägyptologen Wallis Budge bedeutet das arabische Wort al-kīmiya folglich „die ägyptische Lehre“.

In jedem Fall reicht die Alchemie sehr weit in die Vergangenheit zurück. Um das Jahr 3000 vor Christus produzierten die Ägypter bereits viele technologisch versierte Dinge, etwa Keramik, Backstein und vielfältige Gegenstände aus Kupfer. Irgendwann gaben sie dem Kupfer Zinn bei, was den Beginn der Bronzezeit markierte.

Diese guten materiellen, kulturellen und technologischen Voraussetzungen in Ägypten führten zur Entstehung der Alchemie. Etwa zeitgleich gab es ähnliche Entwicklungen in Indien und China. Möglicherweise hat die Alchemie aber nur einen einzigen Ursprung, denn die Kenntnisse könnten sich über die damaligen Handelsrouten verbreitet haben.

Die europäische Zivilisation kam erstmals in der hellenistischen Zeit in sehr intensiven Kontakt mit der Alchemie. Denn die von Alexander dem Großen 331 vor Christus in Ägypten gegründete Stadt Alexandria wurde zu einem bedeutenden Zentrum des alchemistischen Wissens und blieb dies auch nach der Einverleibung ins Römische Reich.

Zunächst vertrug sich die Alchemie dann sogar mit dem aufkommenden Christentum. Viele Christen, darunter der Kirchenvater Laktanz, sahen etwa in dem Alchemisten Hermes Trismegistus einen heidnischen Propheten, der das Christentum vorhergesehen hat. Auch Augustinus vertrat später diese Ansicht, verurteilte jedoch den Götzendienst des Heiden.

Nach dem Fall des Römischen Reiches wurde die frühe islamische Welt das Zentrum der Alchemie. Hier kam es zu der folgenschweren Entdeckung, dass Königswasser, eine Mischung aus Salzsäure und Salpetersäure, Gold auflösen kann. Die meisten frühen alchemistischen Schriften sind nur noch als arabische Übersetzungen erhalten.

Im lateinischen Europa hingegen wurde die Alchemie von den Herrschenden über viele Jahrhunderte unterdrückt und existierte nur im Verborgenen. Erst im Gefolge der Renaissance etwa ab dem 16. Jahrhundert blühte die Alchemie hier wieder auf und in deren Gefolge auch deren Teilbereich, den wir heute Wissenschaften nennen.

Das bekannteste Ziel der Alchemisten bestand bekanntermaßen darin, dass sie aus verschiedenen unedlen Metallen Gold herstellen wollten, wobei sie freilich spektakulär versagten. Doch Alchemie ist weitaus mehr als das. Sonst hätten sich kaum einige der größten Geister der Geschichte ausführlich mit dem Thema befasst.

So widmete etwa Isaac Newton, der große englische Naturwissenschaftler des 17. Jahrhunderts, große Teile seines Werks der Alchemie. Und auch der Schweizer Carl Gustav Jung, der Begründer der analytischen Psychologie, entdeckte im letzten Jahrhundert die Bedeutsamkeit der Alchemie bei der Analyse des Unbewussten.

Die Alchemisten nutzten die Methode „Versuch und Irrtum“, um ihre verschiedenen Theorien zu testen, indem sie systematisch experimentierten und akribische Messungen durchführten. Sie gingen also nach der sogenannten wissenschaftlichen Methode vor, und zwar schon lange bevor dieses induktive Vorgehen so genannt wurde.

Sicherlich würde man vieles, was die Alchemisten praktizierten, heute als versuchte Magie abtun. Doch dabei legt man heutige Maßstäbe an die teils sehr weit entfernte Vergangenheit an, was der Sache sicherlich nicht gerecht wird. Denn das Ziel der Alchemie war es stets, die materielle Welt besser zu verstehen.

Dabei erzielten die Alchemisten auch durchaus bedeutende Erfolge – gerade auch im Vergleich mit den modernen Naturwissenschaften. So entdeckten sie als erste, dass das, was wir als weißes Licht wahrnehmen, sich in Wirklichkeit aus einem ganzen Spektrum verschiedener Farben zusammensetzt, die man mithilfe von Prismen sichtbar machen kann.

Dahinter steckt die alchemistische Idee, dass die Dinge aus verschiedenen anderen Teilen bestehen können. Mit derselben Idee entdeckten die Alchemisten zum Beispiel auch, dass die Luft, von der man zuvor dachte, dass sie eine eigene Substanz ist, sich in Wirklichkeit aus mehreren verschiedenen Gasen zusammensetzt.

Viele der Erkenntnisse, welche die Alchemisten mit Neugier, Fleiß und Genie gefunden hatten, sind in späteren Zeiten und bis heute einfach nicht mehr Alchemie genannt worden, sondern Naturwissenschaften. Allerdings wurde nicht alles von der Alchemie in die Wissenschaften übernommen – das Esoterische und Mystische wurde aussortiert.

Doch es war gerade auch die intensive Beschäftigung mit dieser „dunklen“ Seite der Alchemie, die Isaac Newton zur Entdeckung der Gravitation führte. Es ist ja auch wirklich nahe am Mystischen, dass es da Anziehungskräfte zwischen Körpern geben soll, selbst wenn diese so weit voneinander entfernt sind wie zum Beispiel Sonne und Erde.

In der Schule wird Newton ausschließlich als der Begründer der klassischen Mechanik erwähnt. Doch seine erhaltenen alchemistischen Werke zeichnen ein ganz anderes Bild. Ganz richtig sagte 1942 der englische Ökonom John Maynard Keynes zu Newtons 300. Geburtstag: „Er war nicht der erste im Zeitalter der Aufklärung, er war der letzte der Magier.“

Tatsächlich glaubte Newton zum Beispiel, dass alle Materie lebendig ist und dass die Schwerkraft durch deren Emissionen verursacht wird. Dies mag für uns heutige Menschen äußerst unwissenschaftlich klingen, doch eine bessere Erklärung des Phänomens haben die auf Newton folgenden Naturwissenschaftlicher bis heute nicht gefunden.

Laut seinen eigenen Schriften wollte Newton mithilfe der Alchemie den Stein der Weisen entdecken, der aus einer Substanz bestehen sollte, die unedle Metalle in Gold und Silber verwandeln kann. Zudem wollte er das Elixier des ewigen Lebens finden, das ewige Jugend verleihen und alle Krankheiten heilen sollte.

Einige Praktiken der Alchemie waren zu Newtons Lebzeiten in England verboten. Die englische Krone fürchtete unter anderem die mögliche Entwertung des Goldes durch die Herstellung von alchemistischem Gold. Auch lief ein Alchemist Gefahr, vom Mob als Ketzer getötet zu werden. Daher musste Newton Alchemie im Verborgenen praktizieren.

Abgesehen von ihrer mystischen Seite unterscheidet sich die Alchemie von den modernen Naturwissenschaften vor allem dadurch, dass erstere im Verborgenen und nur von Eingeweihten praktiziert wurde, während die Ergebnisse der letzteren für alle zugänglich sind. Wahrscheinlich sind also auch heute noch Alchemisten im Geheimen tätig.

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