Bereits 2018 gaben die Deutschen zum ersten Mal mehr Geld mit Geldkarten als mit Bargeld aus. Seitdem ist der Anteil kontaktloser Transaktionen weiter gestiegen und im Jahr 2020 wurden 56 Prozent des Umsatzes in deutschen Filialen über kontaktlose Zahlungen getätigt. Bereits im Juni 2020 bot die deutsche Bäckereikette Kamps Kunden, die mit Karte bezahlten, einen „Innovationsrabatt“ von drei Prozent an. Kontaktlose Zahlungen (per Karte oder Smartphone) sollen laut Kamps schneller und hygienischer sein. Doch von Bargeld-Scheinen geht nachweislich keine Corona-Infektionsgefahr aus (HIER). Eine Umfrage der Europäischen Zentralbank (EZB) ergab, dass 40 Prozent der Befragten seit Beginn der Pandemie weniger häufig Banknoten und Münzen verwendet haben und dies auch weiterhin tun würden. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat neben dem Klimawandel die Digitalisierung und das bargeldlose Bezahlen zur obersten Priorität erklärt. Um bargeldloses Bezahlen zu fördern, müssen Kreditkartenunternehmen gemäß einer EU-Verordnung von 2015 die Gebühren senken, die sie Unternehmen berechnen.
Es fällt auf, dass in diversen internationalen Zeitungen die Gegner des Bargelds vor allem die Deutschen ins Visier genommen haben. Den Deutschen wird eine unangemessene, ja irrationale, Liebe zum Bargeld unterstellt.
Der „BBC“ zufolge geht die Liebe der Deutschen zum Bargeld auf das 18. Jahrhundert zurück. Damals wurden die Deutschen sozialisiert, um ein greifbares Ergebnis ihrer Arbeit vor abstrakteren Formen des Austauschs wie Schuldscheinen zu priorisieren. Ein Jahrhundert später, als es immer häufiger zu Konflikten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern kam, wurde das Geldsparen in Form von Bargeld als Ausweg identifiziert, um Ruhe in die Fabriken zu bringen. Das Motto lautete: „Wer hart arbeitet und spart und etwas zu verlieren hat, macht keine Revolution“. Sparsame Werte blieben nach beiden Weltkriegen in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen bestehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lehnten Sparkassen die Einführung von Verbraucherkrediten ab, weil sie befürchteten, dies würde der Sparkultur schaden, so die BBC.
„NPR“ führt aus: „,Cash is King‘ ist ein uraltes Sprichwort. Für einen Großteil Deutschlands ist der Satz jedoch immer noch aktuell. Wenn Sie in Berlin sind, können Sie sich nicht darauf verlassen, dass Sie sich nur mit einer Kreditkarte zurechtfinden. An den Eingangstüren von Geschäften und Restaurants in der ganzen Stadt hängen ,Cash Only‘-Schilder. Dies mag für einige überraschend sein. Deutschland ist schließlich Europas führende Volkswirtschaft und bekannt für technologisches Know-how (…) Bargeld ist schnell und einfach zu benutzen, argumentieren sie. Es bietet ein klares Bild der persönlichen Ausgaben, hält Transaktionen privater und ist im Land weit verbreitet.“
„Für viele Deutsche spielt die Bequemlichkeit des elektronischen Zahlungsverkehrs keine Rolle. Vielmehr ist der Einsatz von Bargeld in überraschendem Maße zu einem Stellvertreter für tiefgreifende Bedenken hinsichtlich des Vertrauens, der Privatsphäre und der Rolle des Staates geworden“, so die Webseite „Cashless Economy“.
„Bloomberg“ warf den Deutschen vor wenigen Jahren vor: „Deutschland ist immer noch von Bargeld besessen“. „In einer Welt, in der sich die meisten von uns unaufhaltsam für fast alles auf elektronische Zahlungen konzentrieren, bleibt Europas größte Volkswirtschaft ein bemerkenswerter Ort, der immer noch von einer seit Jahrtausenden bestehenden Handelsform dominiert wird.“
Die Better than Cash Alliance („Besser als Bargeld-Allianz – BTCA) kämpft weltweit gegen die Verwendung von Bargeld und für einen breitflächigen Einsatz digitaler Bezahlmethoden. Hinter der in New York ansässigen Organisation stehen nicht nur Microsoft-Gründer und Multimilliardär Bill Gates sowie die Clinton Development Initiative, sondern auch die US-Regierung, Großbanken wie die Citibank und mit Mastercard und Visa auch zwei weltweit führende Kreditkartenunternehmen (HIER).
Bargeldlos im Supermarkt oder Restaurant zu bezahlen, hat in der Corona-Krise an Bedeutung geworden. Doch das kann ins Geld gehen, wie Stiftung Warentest in der aktuellen „Finanztest“ berichtet. Bei einer Auswertung von 294 Kontomodellen von 125 Kreditinstituten in Deutschland wurden 55 Modelle gefunden, bei denen für jedes Bezahlen mit der Girocard (EC-Karte) Gebühren fällig werden - teilweise bis zu 0,50 Cent. „Diese Gebühren gab es bereits schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Sie fielen jedoch kaum auf, weil viele Menschen bar bezahlten“, sagt „Finanztest“-Expertin Heike Nicodemus.
Die Corona-Krise hat dem Bezahlen per Karte Studien zufolge einen Schub gegeben. So gaben beispielsweise bei einer Anfang Juli veröffentlichten YouGov-Befragung 35 Prozent der Verbraucher an, zum Schutz vor möglichen Ansteckungen seit Beginn der Pandemie in Geschäften seltener bar zu zahlen. Wegen der Pandemie bieten Handelsketten, Restaurants und Geschäfte verstärkt Kartenzahlungen anstelle von Bargeld an.
„Grundsätzlich stellen wir seit Jahren einen Trend zu mehr und zunehmend höheren Gebühren für Serviceleistungen fest“, sagte Nicodemus. „Der Extra-Service kann teuer werden. Die Banken wollen, dass die Kunden möglichst viel selber machen.“ Die Tester werteten 294 Kontomodelle von 125 Kreditinstituten in Deutschland aus. Darunter alle bundesweiten Finanzhäuser sowie Direkt- und Kirchenbanken, alle Sparda- und PSD-Banken sowie die größten Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbank je Bundesland.