Wirtschaft

Wussten Sie, dass Europa am vergangenen Freitag haarscharf an einem massiven Stromausfall vorbeigeschrammt ist?

Das gesamte europäische Verbundnetz ist am vergangenen Freitag haarscharf an einem massiven Stromausfall vorbeigeschrammt. Als Folge der Energiewende nimmt in Deutschland die Unsicherheit bei der Energieversorgung und das Risiko von Blackouts beträchtlich zu.
12.01.2021 17:40
Aktualisiert: 12.01.2021 17:40
Lesezeit: 3 min

Henrik Paulitz von der Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung zufolge schrammte das europäische Stromverbundnetz am vergangenen Freitag haarscharf an einem massiven Blackout vorbei:

Am vergangenen Freitag, dem 8. Januar 2021, ist das europäische Stromverbundnetz nur knapp an einem großflächigen Zusammenbruch vorbei geschrammt. Gegen 13.04 Uhr kam es zu einem starken Frequenzabfall, der Europa hätte lahmlegen können. Ursache war offenbar ein Stromausfall in Rumänien. Nach Einschätzung des österreichischen Blackout-Experten Herbert Saurugg war es die bislang zweitschwerste Großstörung im europäischen Verbundsystem. Gemäß ENTSO-E Klassifizierung wurde die dritte von vier Warnstufen erreicht (Emergency – Deteriorated situation, including a network split at a large scale. Higher risk for neighbouring systems. Security principles are not fulfilled. Global security is endangered).

Der niederösterreichische Stromversorger EVN sprach von einem "Beinahe-Blackout". Einige Großkunden hätten sich gemeldet, "weil sensible Maschinen die Frequenzabsenkung bereits gespürt haben", so EVN-Sprecher Stefan Zach gegenüber dem Österreichischen Rundfunk ORF. "Wenn die Schwankungen zu hoch sind, schalten sich Maschinen aus Selbstschutz ab." Das könne Zach zufolge auch bei Kraftwerken passieren, "und dann wird es kritisch".

In den österreichischen Medien wird das Ereignis intensiv diskutiert. Zahlreiche Kraftwerke mussten dort sofort Energie zur Netzstabilisierung nachgeliefern. Pumpspeicherkraftwerke und die noch verfügbaren Gaskraftwerke mussten mobilisiert werden. "Letztere werden allerdings von Umweltschützern massiv bekämpft", merkte die Kronen Zeitung spitz an. In Frankreich mussten trotz der Rettungsaktion aus Österreich große Stromkunden vom Netz getrennt werden.

Das Sicherheitsnetz habe gegriffen, "aber solche Feuerwehr-Einsätze sind langfristig kein tragfähiges Geschäftsmodell", warnte Wien-Energie-Geschäftsführer Michael Strebl. "Gott sei Dank ist es noch einmal gut gegangen", so Werner Hengst, Geschäftsführer der Netz Niederösterreich GmbH. "Wir schätzen, dass sich die Situation in den nächsten Jahren verschärfen wird." Grund sei der starke Ausbau der volatilen Erneuerbaren-Stromerzeugung und der Wegfall großer Backup-Kraftwerke in Europa. Die in Europa vom Netz gehende Leistung von 50 Gigawatt entspreche "mehr als zweihundert Donaukraftwerken". Laut Wien Energie seien die Stromnetze immer stärkeren Schwankungen ausgesetzt. So habe sich die Zahl von Noteinsätzen in den letzten Jahren von rund 15 auf bis zu 240 pro Jahr erhöht.

In der österreichischen Strombranche werden nun Forderungen nach einem "Runden Tisch" laut. Bei dem Treffen aller Stakeholder sollten pragmatische Lösungen für eine Blackout-Vorsorge gefunden werden, sagte NÖ-Netz-Geschäftsführer Werner Hengst bei einem Online-Hintergrundgespräch des Forums Versorgungssicherheit. "Wir brauchen stabile Netze, um die Versorgungssicherheit garantieren zu können."

In Deutschland hat der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) mit Sorge auf den europäischen Beinahe-Blackout reagiert. "Der Vorfall vom Freitag ist leider nicht der erste seiner Art, aber er muss uns allen eine Warnung sein, das Thema Netzstabilität und Versorgungssicherheit nicht aus dem Blick zu verlieren. Deutschland kann nicht davon ausgehen, dass wir schon irgendwie aus dem europäischen Ausland versorgt werden, sollte es bei uns nicht ausreichend Strom geben", so VIK-Geschäftsführer Christian Seyfert.

Folgen der Energiewende: Auf dem „Prinzip Hoffnung“ kann keine hochentwickelte Gesellschaft aufgebaut werden

Durch den "Ausstieg aus Kernenergie und Kohlekraft" werde in Deutschland in den kommenden Jahren in erheblichem Umfang gesicherte Leistung "ersatzlos" stillgelegt, so Seyfert. Das führe regional und deutschlandweit zu erheblichen Herausforderungen bei der Versorgungssicherheit, auf die auch politische Antworten gefunden werden müssten. Das "Prinzip Hoffnung" reiche nicht aus. Eine preiswerte, klimafreundliche, aber eben auch sichere Stromversorgung sei gerade für im internationalen Wettbewerb stehende Industrieunternehmen ein entscheidender Standortfaktor. Sei sie zweifelhaft, schade das dem Wirtschaftsstandort Deutschland, so Seyfert.

Der VIK verweist darauf, dass es "gleichzeitig" mit dem Beinahe-Blackout in Frankreich einen Stromengpass gab, weil dort 13 Kernkraftwerksblöcke nicht am Netz sind. "Es sind keine Stromunterbrechungen vorgesehen", versicherte zwar der französiche Übertragungsnetzbetreiber RTE vor Tagen, appellierte aber zugleich an die französische Bevölkerung, Strom zu sparen: Zwischen sieben und 13 Uhr sollen die Lichter aus bleiben, Waschmaschinen möglichst nicht laufen und unbenutzte Internetzugänge gekappt werden. Wer das Haus verlässt, soll die Heizung auf 17 Grad herunterfahren.

Viele französische Medien werfen die Frage auf, ob dem Land bei einer anhaltenden Kälteperiode ein Blackout drohe. "Wir befinden uns doch nicht in der Sowjetunion, oder?", fragte ein Journalist des Fernsehsenders BFM die Umweltministerin Barbara Pompili. Ihre Antwort beruhigte die Zuschauer nur beschränkt: "Wenn wir in den Durchschnittstemperaturen bleiben, sollte es gehen. Sonst müssen wir regulieren."

Als letzte Möglichkeit sieht der französische Stromkonzern EDF lokale Stromunterbrechungen von „maximal zwei Stunden“ vor. Das hätte zwar für die Betroffenen im Moment die gleiche Wirkung wie ein genereller Netz-Kollaps, doch Pompili beteuert laut Frankfurter Rundschau: "Wir dürfen den Franzosen keine Angst machen, es wird keinen Blackout geben." Die Gefahr ist aber noch nicht gebannt: Vor Wochen schon hatte RTE einen "schwierigen Februar" vorhergesagt.

Die Vorgänge zeigen, dass das Thema Versorgungssicherheit nun mit Macht auf die politische Tagesordnung Europas drängt. Nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa droht eine StromMangelWirtschaft, in der Stromabschaltungen immer mehr zur Normalität werden und es jederzeit zum großflächigen Stromausfall kommen kann.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Tesla-Aktie stürzt ab: Miese Tesla-Auslieferungen belasten - was das für den Tesla-Kurs bedeutet
02.04.2025

Die weltweiten Auslieferungen des US-Autobauers Tesla sind im vergangenen Quartal um 13 Prozent auf 336.681 Fahrzeuge zurückgegangen....

DWN
Panorama
Panorama Polizei: Kriminalstatistik 2024 mit dramatischen Zahlen - immer mehr Gewalt- und Sexualdelikte
02.04.2025

Die Kriminalstatistik der Polizei offenbart ein besorgniserregendes Bild: Die Zahl der erfassten Gewalttaten ist 2024 um 1,5 Prozent...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trump-Zölle könnten Preiskarussell, Zinserhöhungen und Insolvenzen anheizen - die EU bereitet sich vor
02.04.2025

Die Regierungen weltweit bereiten sich auf die massive Einführung von Zöllen durch US-Präsident Donald Trump vor, die, so sein Plan, am...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Mercedes-Benz erwägt Ausstieg aus dem Billigsegment in den USA aufgrund von Trump-Zöllen
02.04.2025

Die Mercedes-Benz Group prüft derzeit, ob sie ihre günstigsten Fahrzeugmodelle in den USA aus dem Sortiment nimmt. Hintergrund sind die...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Volatile Märkte vor Trumps Zollerklärung
02.04.2025

Die US-Börsen dürften überwiegend mit Verlusten in den Mittwochshandel starten, vorbörslich stecken die Technologieindizes an der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen DWS-Aktie unter Druck: Deutsche-Bank-Tochter muss Millionenstrafe wegen Greenwashing zahlen
02.04.2025

Die DWS, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bank, wurde in Deutschland zu einer Millionenstrafe wegen "Greenwashing"-Vorwürfen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kurzarbeit auf Rekordhoch: Kritik an Verlängerung des Kurzarbeitergeldes wächst
02.04.2025

Die Wirtschaft steckt fest in einer Strukturkrise: seit 5 Jahren kein Wachstum. Die Folge: Immer mehr Unternehmen bauen Stellen ganz ab...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Wirtschaft: Verbände fordern dringenden Kurswechsel der Koalition
02.04.2025

Bitte kein "Weiter-so"! Mit Unmut blicken deutsche Wirtschafts- und Industrieverbände auf das, was die noch namenlose Koalition aus Union...