Finanzen

Drei Billionen in neun Monaten: Wie hoch kann die Fed-Bilanz noch steigen, bevor das System crasht?

DWN-Gastautor Andreas Kubin analysiert die besorgniserregenden Ereignisse rund um die Federal Reserve. Ausgehend von einem Ereignis, das von der Öffentlichkeit kaum beachtet wurde, zeigt er auf, wie die Bilanz der Notenbank immer rascher immer schwindelerregendere Höhen erklimmt.
17.01.2021 12:31
Lesezeit: 4 min
Drei Billionen in neun Monaten: Wie hoch kann die Fed-Bilanz noch steigen, bevor das System crasht?
Waldbrand in Kalifornien: Ein Löschflugzeug von Typ "747 Global Air-Tanker" fliegt einen Einsatz. Auch die Federal Reserve muss immer mehr Brände löschen - wann versiegen ihre Mittel? (Foto: dpa) Foto: Kent Porter

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, kam es in der Nacht zum 17. September 2019 zu einem „Super-GAU“ auf dem amerikanischen Repo-Markt. Unbemerkt nicht zuletzt auch deshalb, weil der Repo-Markt zwar eine entscheidende Rolle im modernen Finanzsystem spielt, die meisten jedoch nicht wissen, was sich dahinter verbirgt.

Kurzer Exkurs Repo-Markt: Dabei handelt es sich um Rückkaufvereinbarungen oder Refinanzierungsgeschäfte als Bestandteil des Geldmarktes. Diese dienen vorrangig Geschäftsbanken zur Beschaffung von Liquidität bei Zentralbanken sowie im Interbankenhandel, und zwar im Rahmen von Offenmarktgeschäften.

Markanter Anstieg der Repo-Sätze im September 2019

Der Repo-Zinssatz entspricht normalerweise in etwa dem Leitzinssatz der US-Notenbank „Federal Reserve“ (FED). Dieser betrug bis Mittwoch, den 18. September 2019, 2,25 Prozent (an diesem Tag wurde er dann auf 2,0 Prozent reduziert). In der Nacht zuvor, also von Montag auf Dienstag, den 17. September 2019, stieg der Repo-Satz auf 2,3 Prozent an (und lag somit etwas über dem Fed-Referenzzinssatz). Dann, wie aus heiterem Himmel, erhöhte er sich auf einmal und schnellte auf bis zu 10 Prozent empor. Dies war damals der höchste Wert seit dem Jahr 2008, also seit elf Jahren. Ein solch massiver Anstieg indiziert eine hohe Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage und bedeutet im Wesentlichen, dass die kreditgebenden Banken entweder nicht über die nötigen liquiden Mittel verfügten oder nicht gewillt waren, diese bereitzustellen.

In der Folge sah sich die FED gezwungen, einzugreifen, und zeitlich begrenzt Liquidität im Tausch gegen Wertpapiere zur Verfügung stellen. Übrigens zum ersten Mal wieder seit der Finanzkrise 2008.

Heike Buchter hat dies am 1. Oktober 2019 in der Ausgabe Nr. 41/2019 in „DIE ZEIT“ sehr gut analysiert: Sie erkannte, dass ein wichtiger Teil des Weltfinanzsystems kurz vor dem Zusammenbruch stand. Ab dem 17. Sept. 2019 pumpte die FED von New York an vier Tagen hintereinander insgesamt 278 Milliarden Dollar über den Open Market Desk in den Geldmarkt. Expansiv darüber hinaus musste die FED den Banken bis zum 10. Oktober 2019 täglich 75 Milliarden Dollar in Form kurzfristiger Repo-Geschäfte anbieten und drei 14-Tage-Repos über je mindestens 30 Milliarden Dollar offerieren.

Die FED versuchte, die Situation zu beruhigen, indem sie eine fadenscheinige Begründung lieferte, und zwar mit einer temporären, aber offensichtlich falschen Kalkulation hinsichtlich der notwendigen Bankenliquidität, die zu einem allgemeinen Liquiditätsmangel im Bankensektor geführt habe. Des dürfe keinesfalls der Eindruck entstehen, dass die Banken sich gegenseitig nicht mehr trauen, vermerkte die FED.

Norbert Häring schreibt in seinem Blog am 16. 1. 2020:

„Die angebliche Fehlkalkulation der Fed ist offenbar ziemlich hartnäckig. Vier Monate später gibt es die Notfallkredite für die Teilnehmer am Repo-Markt immer noch in ungebremster Höhe und ein Ende ist nicht absehbar. Am 14. Januar 2020 zum Beispiel vergab die Fed über Repo-Geschäfte 82 Milliarden Dollar Liquidität zu 1,6 Prozent... Vielleicht befindet sich der von den Notenbanken befeuerte Finanzmarktboom in der Endphase vor dem Zusammenbruch.“

Die Zentralbanken bewegen sich auf absolutem Neuland oder besser ausgedrückt: Sehr dünnem Eis

Höchstwahrscheinlich wird man einige finanzmarktpolitische Theorien komplett über den Haufen werfen müssen.

Bereits Ende May 2020 veröffentlichte die „Financial Times“ in einer von ihr erhobenen Prognose, dass die Bilanzsumme der FED die neun-Billionen-Dollar-Marke (ziemlich exakt 45 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts) Ende 2020 knacken werde (dazu mehr weiter unter).

Nun wir wissen bereits, dass sich allein zwischen Mitte März 2020 und dem 21. Dezember 2020 (also innerhalb von neun Monaten) die Bilanzsumme der US-Notenbank von 4,2 auf 7,4 Billionen US$ aufblähte. Das heißt, seit der Finanzkrise 2007-2008 stieg die Bilanzsumme der FED beginnend von 870 Milliarden Dollar auf nunmehr 7,4 Billionen Dollar (Stand 21.12.2020).

Auch wenn die FED die von der „Financial Times“ prognostizierte neun-Billionen-Dollar-Marke nicht erreichte, so visualisiert obiger Chart doch sehr deutlich, mit welchem prozentuellen Anteil ihrer Bilanzsumme die FED in das Finanzsystem beziehungsweise in die US-Wirtschaft eingreift. Dieses gigantische Ausmaß der FED-Bilanz liegt beträchtlich über jenem während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren (in den USA wird von dieser Zeit als die „Große Depression“ gesprochen – am 24. Oktober 1929 begann sie mit dem „Schwarzen Donnerstag“ und beeinflusste entscheidend die 1930er Jahre.

Da die FED keine Kreditverluste riskieren darf, stellt das US-Finanzministerium in den meisten Fällen Steuergelder zur Verfügung - oft einen beträchtlichen Teil der elf zusätzlich im März 2020 verabschiedeten Fazilitäten.

Was könnte gemeint sein mit dieser 2019 von der FED zugegebenen, offenkundigen eigenen Fehlkalkulation?

Von Experten wurde ja immer suggeriert, man könne so ein quantitative easing (also die Geldmengenausweitung) mehr oder weniger auf Wunsch jederzeit zurückfahren. Diese Theorie und Lehrmeinung wurde viele Jahrzehnte sozusagen gleichzeitig als Beruhigung verkündet. Diese immer wieder propagierte Wunschvorstellung einer kontrollierten Rückführung der Geldmengenausweitung ist 2019 wie eine Seifenblase geplatzt.

Rückblick: Am 16. Dezember 2013 durchbrach die Bilanz der FED die 4-Billionen-Dollar-Grenze erstmalig in ihrer Geschichte und bewegte sich ein paar Jahre lang auf diesem Niveau. Anfang 2018 begann die FED dann vorsichtig, die Geldmengenausweitung zurückzufahren, was beinahe zwei Jahre lang gut ging, bis eben in jene Nacht zum 17. September 2019. Bedenken sollte man noch – wodurch die Gefährlichkeit des ganzen Szenarios noch offensichtlicher wird – dass dies viele Monate geschah, bevor Corona auf den Plan trat.

Was kann man noch aus den Bilanz-Trends der FED von 2008 bis Ende 2020 ablesen? Ganz einfach dies: Auf jeden Versuch einer Reduzierung der Geldmenge folgte ein deutlicher Anstieg der FED-Bilanzsumme. Definitiv keine beruhigende Entwicklung, wenn sie mich fragen.

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Andreas Kubin

Andreas Kubin lebt in Oberösterreich, hat ein MBA mit Schwerpunkt "Finanzen" und verfügt über drei Jahrzehnte Börsen-Erfahrung. 
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