Panorama

„Berg-Yuppies mit einer Heerschar von Helfern“: Alpinisten-Legende Messner rechnet mit der „Generation Facebook“ ab

Lesezeit: 3 min
14.01.2021 11:56  Aktualisiert: 14.01.2021 11:56
Reinhold Messner rechnet mit den Auswüchsen des modernen Bergsteigens ab.
„Berg-Yuppies mit einer Heerschar von Helfern“: Alpinisten-Legende Messner rechnet mit der „Generation Facebook“ ab
Der höchste Berg der Welt von Nepal aus gesehen. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der frühere Extrembergsteiger Reinhold Messner (76) sieht seine Vorstellung von Alpinismus immer weniger umgesetzt - und spricht beim Hallenklettern von «Rumgehüpfe an der Wand». «Keine frühere Generation von Spitzenbergsteigern, von Skitourengehern und Kletterern war je so fit und so austrainiert wie die heutige. Vor jedem Einzelnen ziehe ich den Hut. Das, was die Mädels und Jungs in den Kletterhallen aber vergessen, ist, dass ihre Kletterei nichts mit traditionellem Alpinismus zu tun hat. Nichts!», sagte der 76-jährige Südtiroler in dem Magazin «Playboy».

«Sie klettern im klimatisierten Raum – großartig wie Äffchen – 15 Meter hoch», sagte er. «Und nicht viel anders ist es heutzutage an den Achttausendern. Für die gut betuchte Klientel wird von 100 Sherpas zuerst eine Piste mit Leitern und Brücken gebaut, damit diese Touristen überhaupt eine Chance haben, sich dort oben zu bewegen.» Schnurstracks gehe es vom Basecamp bis zum Gipfel.

«Unterm Strich ist eine Heerschar von Trägern, Führern, Ärzten, Köchen und weiß Gott noch wer damit beschäftigt, den Berg-Yuppies jeden Morgen in die Schuhe und Steigeisen zu helfen», sagte Messner, der ein neues Buch mit dem Titel «Grenzgang» über «den Alpinismus im Großen und Ganzen» ankündigte.

Er kritisierte auch die Aktivitäten bestimmter Sportler in den sozialen Netzwerken - die am Ende nicht umgesetzt werden. «Sie kündigen dieses und jenes vollmundig über die sozialen Medien an – haben aber gar nicht vor, ihre Expedition zu Ende zu bringen. Noch schlimmer: Sie wissen, dass sie gar keine Chance haben, so eine Mammutaufgabe zu bewältigen. Das wissen allerdings 99,9 Prozent ihrer Instagram- und Facebook-Follower nicht.»

Die höchstgelegene Müllhalde der Welt

Die von Messmer kritisierte Kommerzialisierung des Extrembergsteigens hat dazu geführt, dass Teile des Mount Everests inzwischen wie eine Müllhalde aussehen. Eine geplante Reinigungsaktion auf dem Berg ist wegen der Corona-Epidemie auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Auf dem höchsten Berg der Welt liegen tonnenweise kaputte Zelte, Essensverpackungen, leere Wasserflaschen, Bierdosen und Sauerstoffflaschen, die erschöpfte Kletterer liegen gelassen haben. Außerdem gibt es dort etliche Leichen, die schwer zu bergen sind.

Die nepalesische Regierung hatte im vergangenen Jahr ein Budget für eine Reinigungsaktion in diesem Jahr vorgesehen. Inzwischen sei aber unklar, wann und ob geputzt werden soll, sagte der Chef des nepalesischen Tourismusministeriums, Yogesh Bhattarai, der Deutschen Presse-Agentur.

Aus Angst, dass sich das neuartige Coronavirus auf dem Mount Everest verbreiten könnte, hatte die nepalesische Regierung beschlossen, diesen Frühling keine Besteigungen zuzulassen. Zehntausende jetzt arbeitslose Bergführer und Träger hatten gehofft, in dieser Saison mit dem Müllsammeln etwas Geld zu verdienen. Vergeblich.

Die Bergsteig-Industrie macht’s möglich – 13-Jährige und Blinde auf dem Everest

Die Kommerzialisierung des Extrembergsteigens schlägt sich zudem in den Statistiken wieder: Wer zum ersten Mal den Mount Everest in der Hauptsaison im Frühling besteigen will, hat heutzutage doppelt so hohe Erfolgschancen wie noch vor etwa 20 Jahren. Gleichzeitig blieb die Sterberate nahezu unverändert, wie US-Forscher im Fachjournal «PLOS One» berichten.

Wie aus den Daten des Expeditionsarchivs «Himalayan Database» hervorgeht, schaffte es zwischen 1990 und 2005 knapp ein Drittel der Bergsteiger in der Hauptsaison beim ersten Versuch auf den höchsten Gipfel der Welt. Zwischen 2006 und 2019 waren es dagegen etwa zwei Drittel. Die Todesrate blieb in beiden Zeitperioden ähnlich und lag um etwa ein Prozent.

Mögliche Gründe für die höhere Wahrscheinlichkeit, den Gipfel des 8848 Meter hohen Bergs an der Grenze von Nepal zu China zu erklimmen, sind laut Ko-Autor Raymond Huey von der University of Washington in Seattle unter anderem bessere Wettervorhersagen, die es Bergsteigern erlaubten, gute Zeitfenster für den Gipfelvorstoß zu finden. Zudem nutzten Bergsteiger mehr Sauerstoff aus Flaschen - und zwar auch bereits ab geringerer Höhe. Ferner gebe es auf den gängigen Routen vermehrt verankerte Seile. Den größeren Erfolg erklären könnte demnach auch die größere Erfahrung der Helferteams, die die Alpinisten den Berg hinaufführen und ihr Gepäck tragen.

All dies könnte dazu beitragen, dass die Erfahrung von Bergsteigern an Bedeutung verliere. Der Studie zufolge hatten jene Bergsteiger, die den Gipfel zwischen 2006 und 2019 in Angriff nahmen, tendenziell weniger Erfahrung als die, die es zwischen 1990 und 2005 versuchten. Inzwischen kamen schon ein 80-Jähriger, ein 13-Jähriger und ein Blinder auf den Everest.

Auch das Alter spielt eine Rolle: Generell schaffen es jüngere Bergsteiger zwar eher als ältere auf den Gipfel und wieder zurück. Doch ältere Bergsteiger haben deutlich bessere Chancen als früher: Ein 60-Jähriger etwa hat den Berechnungen der Forscher zufolge heute eine ähnlich hohe Erfolgschance wie ein 40-Jähriger in der früheren Zeitperiode - konkret rund 40 Prozent.

Die große Mehrheit der Everest-Bergsteiger sind Männer. Aber in den vergangen 30 Jahren haben zunehmend auch Frauen den Gipfel erklommen. Zwischen 1990 und 2005 waren es gut 9 Prozent, zwischen 2006 und 2019 rund 15 Prozent. Die Chance, den Gipfel zu erreichen, lag für Frauen sogar noch etwas höher als für Männer: Von den Frauen schafften dies im Zeitraum von 2006 bis 2019 gut 68 Prozent, von den Männern gut 64 Prozent.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft LNG: EU-Sanktionen bedrohen Russlands Energiegeschäfte
07.05.2024

Russland steht vor möglichen schmerzhaften EU-Sanktionen im Zusammenhang mit seinen Geschäften im Bereich Flüssigerdgas (LNG). Die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Freie Lehrstellen erreichen kritisches Niveau: Was Unternehmen jetzt tun müssen
07.05.2024

Der Lehrstellenmangel verschärft sich: Demografischer Wandel und veränderte Berufspräferenzen der Generation Z führen zu einem...

DWN
Politik
Politik Erbschaftssteuer: Droht durch Klage Bayerns ein Wettbewerb der Länder beim Steuersatz?
07.05.2024

In Karlsruhe wird es diesen Sommer mal wieder um den Dauerbrenner Erbschaftssteuer gehen. Schon zweimal hat das Verfassungsgericht von der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Investitionsschreck Deutschland: Internationale Investoren meiden deutsche Projekte
07.05.2024

Ausländische Unternehmen haben im vergangenen Jahr immer weniger in Deutschland investiert. Die Anzahl der Projekte ausländischer...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Nachlassende Nachfrage: Deutsche Industrie verzeichnet erneut weniger Aufträge
07.05.2024

Trotz einer vielversprechenden Entwicklung im März kämpfen Deutschlands Exporteure nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten.

DWN
Finanzen
Finanzen Der DWN-Marktreport: US-Arbeitsmarktdaten lassen erneut Zinssenkungsfantasie aufkommen
07.05.2024

Die internationalen Finanz- und Rohstoffmärkte verbleiben im Spannungsfeld wechselnder Indikatoren hinsichtlich des zukünftigen Zinspfads...

DWN
Politik
Politik Israels Armee nähert sich dem Grenzübergang von Rafah
07.05.2024

Israels Regierung bleibt bei der geplanten umfangreichen Offensive gegen Rafah bestehen, während die Hamas einer Waffenruhe zustimmt -...

DWN
Immobilien
Immobilien Gesundheitsimmobilien: Investmentmarkt stolpert – wie sieht die Pipeline weiter aus?
07.05.2024

Nach robustem Transaktionsvolumen in den vergangenen Jahren herrschte auf dem Investmentmarkt für Pflegeheime, Seniorenimmobilien und...