Marktbericht

2021 wird das „Jahr der Wahrheit“ für Europas Banken

Lesezeit: 6 min
20.01.2021 09:49
Die Corona-Krise dürfte schon seit Jahren vorherrschende negative Trends in der Branche verstärkt und beschleunigt haben.
2021 wird das „Jahr der Wahrheit“ für Europas Banken
Die Frankfurter Skyline. (Foto: dpa)
Foto: Boris Roessler

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Für die deutschen Banken wird 2021 das Jahr der Wahrheit. Bislang haben sie die Folgen der Corona-Pandemie einigermaßen gut weggesteckt. Doch je länger die Krise dauert, desto tiefere Löcher reißen steigende Kreditausfälle in die Bilanzen. Vor allem Sparkassen und Volksbanken müssen sich nach Meinung von Experten auf schwere Einschläge gefasst machen. "2021 könnte sich als der härteste Test für Banken seit der globalen Finanzkrise herausstellen", sagt Analyst Gavin Gunning von der Ratingagentur S&P Global. Finanzaufseher warnen davor, dass nicht alle Banken den Sturm überstehen.

Die Bestände ausfallgefährdeter Kredite in ganz Europa werden sich nach Einschätzung von Christoph Schalast, Professor für Wirtschaftsrecht an der Frankfurt School, nächstes Jahr auf rund 800 Milliarden Euro verdoppeln. Davon werden auch die deutschen Banken nicht verschont bleiben, die im europäischen Vergleich jedoch wenige faule Kredite in ihren Büchern haben. Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling rechnet vor, dass sich die Kreditausfälle der deutschen Banken auf 0,8 Prozent des Kreditbestands vervierfachen und die Belastungen auf rund 13 Milliarden Euro summieren dürften. EZB-Chefbankenaufseher Andrea Enria riet den Geldhäusern daher, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Zudem warnte er vor Schlendrian im Umgang mit faulen Krediten.

„Zombie-Unternehmen“

Mit riesigen Summen stützt die Bundesregierung Unternehmen, die durch die Einschränkungen in Folge der Corona-Pandemie Umsatzeinbußen haben. Rechnet man alle Hilfen zusammen, kommt mehr als eine Billion Euro zusammen. Doch nicht nur Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing warnt vor "Zombie-Unternehmen", die nur künstlich am Leben gehalten werden, weil die Pflicht zum Stellen eines Insolvenzantrags seit März teilweise ausgesetzt ist und vor kurzem bis Ende Januar verlängert wurde.

BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels rechnet für das ganze Jahr mit "einem 20- bis 30-prozentigen Anstieg" der Pleiten. Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei der Auskunftei Creditreform, prognostiziert 24.000 Insolvenzen nach rund 16.000 im Jahr 2020. Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer sieht sich jedes elfte Unternehmen akut von der Zahlungsunfähigkeit bedroht.

Dem Chef der Finanzaufsicht BaFin, Felix Hufeld, treibt das die Sorgenfalten auf die Stirn. Auf Banken werden seiner Ansicht nach mehrere Wellen an Kreditausfällen zurollen. "Das dicke Ende haben wir noch nicht gesehen. Das kommt erst noch." Zwar seien Banken seit der Finanzkrise vor zwölf Jahren generell gesehen besser mit Kapital ausgestattet und das Finanzsystem sei robust. Doch manch ein Institut werde die jetzige Krise trotzdem nicht überleben.

In das gleiche Horn stößt Wuermeling. "Alles in allem erwartet die deutschen Banken 2021 ein hartes Jahr", sagt der Bundesbank-Vorstand. Insgesamt seien die Geldhäuser dank milliardenschwerer Kapitalreserven für den heraufziehenden Sturm zwar gewappnet und in der Lage, Ausfälle aus der Corona-Krise zu verkraften. "Das gilt aber nicht für jedes einzelne Institut."

Einer Studie der Unternehmensberatung Bearingpoint zufolge hat sich die Risikovorsorge der europäischen Banken im ersten Halbjahr auf gut 60 Milliarden Euro verdreifacht, in Deutschland sogar vervierfacht. Im Sommer waren aber die Aussichten noch etwas besser, seither hat sich das wirtschaftliche Klima wieder eingetrübt. "Die zweite Welle wird ein enormer Test für die Finanzwirtschaft sein", sagt Tim Jennison, Partner der Unternehmensberatung BCG. Die Bankenbranche steht ohnehin schon unter Druck durch die seit Jahren niedrigen Zinsen und den harten Wettbewerb.

Kommt die Kreditklemme?

Problematisch ist nach Ansicht von Finanzprofessor Martin Faust von der Frankfurt School nicht nur der Anstieg von faulen Krediten, sondern eine generelle Verschlechterung der Bonität von Unternehmen. Banken müssen Darlehen in einem solchen Fall mit mehr Eigenkapital hinterlegen. "Die Frage ist, wie schlecht es den Firmen wirklich geht und was mit dem ganzen Mittelstand ist. Dadurch besteht die Gefahr, dass Volksbanken und Sparkassen stärker betroffen sind als die großen privaten Institute", sagt Faust. Denn Häuser wie die Deutsche Bank profitieren - zumindest derzeit - von einem florierenden Kapitalmarktgeschäft.

Politiker und Regulierer schauen genau hin, wie sich die Situation für die Banken entwickelt. Die Geldhäuser sollen zwar den Kredithahn für die Unternehmen nicht zudrehen und sind den Banken daher mit einer ganzen Reihe von Erleichterungen entgegen gekommen. Gleichzeitig wollen sie aber verhindern, dass die Institute Firmen weiterhin mit Krediten versorgen, die auf Dauer nicht überlebensfähig sind. "Derzeit sehen wir keine Kreditklemme, aber sie kann sehr gut 2021 drohen", warnt Professor Schalast.

Die Geldhäuser warnen vor Panikmache. Gerhard Hofmann, Vorstandsmitglied beim Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR), sieht die genossenschaftlichen Finanzgruppe gewappnet, um die realwirtschaftliche Krise gut zu überstehen. Sie habe ihr bilanzielles Eigenkapital in den vergangenen zehn Jahren auf 116 Milliarden Euro verdoppelt. "Bei der Unterstützung unserer Kunden mit Krediten sehen wir die Risiken weiterhin als gut beherrschbar an, auch wenn Kreditrisiken regelmäßig überprüft werden müssen," sagt Hofmann.

Erste Vorbeben bei den Banken

Zu Beginn des Jahres zeigen sich bei einigen Instituten bereits erste Erschütterungen.

So erwartet der Vorstand der Aareal Bank statt eines Betriebsgewinns für das abgelaufene Jahr jetzt ein negatives Betriebsergebnis in zweistelliger Millionenhöhe, wie der Immobilienfinanzierer überraschend am Sonntagabend in Wiesbaden mitteilte. Als Ursache nannte das Geldhaus eine erhöhte Risikovorsorge für mögliche Kreditausfälle.

Die Aareal Bank ist stark in der Finanzierung von Gewerbeimmobilien wie Hotels, Büros und Einkaufszentren engagiert. Weil Geschäfte in vielen Ländern wegen der Pandemie über Monate hinweg geschlossen blieben und der Tourismus weggebrochen ist, stehen viele Kreditnehmer aus den Branchen stark unter Druck.

Trotz des Jahresverlusts sollen die Aktionäre für 2020 eine Dividende von 1,50 Euro je Anteil erhalten. Dies steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Aufsichtsbehörden dies erlauben. Für 2019 waren die Aareal-Aktionäre leer ausgegangen, nachdem Aufsichtsbehörden zu einem Dividendenstopp aufgerufen hatten.

Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) will innerhalb der nächsten Jahre Hunderte Arbeitsplätze abbauen. "Wir gehen davon aus, dass wir bis Ende 2024 ungefähr 700 Stellen weniger haben werden als 2019", sagte Vorstandschef Rainer Neske der Börsen-Zeitung. Die nach Bilanzsumme größte deutsche Landesbank beschäftigte Ende 2019 laut Geschäftsbericht 10.005 Mitarbeiter, zur Jahresmitte 2020 waren es dann 10.111.

Neske sagte, dass die LBBW bis 2024 insgesamt 100 Millionen Euro an Kosten einsparen wolle, Ausgangsbasis für dieses Ziel seien Vergleichszahlen aus dem Jahr 2019. Welche Bereiche von den Einsparungen betroffen sein werden, ließ er offen. "Das können wir im Moment noch nicht detailliert sagen, weil diese Ausarbeitung noch läuft und wir erst Gespräche mit dem Personalrat führen."

Mit Blick auf die Bilanz sagte Neske, trotz einiger Probleme sei die LBBW bisher gut durch die Corona-Pandemie gekommen. "Keines unserer Stresstest-Szenarien zeigt an, dass wir in deutliche Schwierigkeiten kommen. Wir erwarten aber schon, dass die Risikokosten über die nächsten Jahre steigen werden." Er erwarte für 2020 ein positives Vorsteuerergebnis im "deutlich" dreistelligen Millionenbereich.

Die LBBW war im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 mächtig in Schieflage geraten und musste damals mit Milliarden gestützt werden. Erst 2017 konnte das Institut dieses wenig ruhmreiche Kapitel abschließen. Größte Träger der LBBW sind der Sparkassenverband Baden-Württemberg, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart.

Eine Milliardenabschreibung und weitere Vorsorge für mögliche Rückschläge in der Corona-Pandemie verhageln der Commerzbank das Krisenjahr 2020 vollends. Im Gesamtjahr 2020 rechnet der Frankfurter MDax-Konzern nun mit einer Risikovorsorge von mindestens 1,7 Milliarden Euro. Im Herbst hatte das Geldhaus noch eine Vorsorge für mögliche Kreditausfälle zwischen 1,3 Milliarden und 1,5 Milliarden Euro für 2020 prognostiziert.

In der nun höheren Summe seien bereits rund 500 Millionen Euro zusätzliche Vorsorge für mögliche Kreditausfälle infolge der Corona-Krise im Jahr 2021 enthalten, teilte die Bank mit. Außerdem würden "mit dem höheren Risikoergebnis auch die derzeit erwarteten Auswirkungen des zweiten Lockdowns" antizipiert.

Belastet wird das Jahresergebnis 2020 zudem dadurch, dass das Institut 1,5 Milliarden Euro abschreibt, weil sich übernommene Geschäfte von Dresdner Bank und der polnischen MBank nicht so gut entwickelten wie seinerzeit erhofft. Die Commerzbank begründete die Abschreibung dieses sogenannten Goodwills mit dem - seit geraumer Zeit extrem niedrigen - Zinsniveau im Euroraum und verschlechterten Bedingungen in Polen.

Die Abschreibung habe keine Auswirkungen auf die Eigenkapitalquote, betonte der Vorstand. Diese werde zum Jahresende 2020 weiterhin bei rund 13 Prozent erwartet. Eigenkapital ist für Banken ein wichtiger Puffer für Krisenzeiten.

Seit Monaten wird bei dem Institut, dessen größter Anteilseigner seit der Finanzkrise 2008/2009 der deutsche Staat ist, um eine Verschärfung des im Herbst 2019 verkündeten Sparkurses gerungen. Erwartet werden angesichts fortschreitender Digitalisierung weitere drastische Einschnitte im Filialnetz sowie erneute Stellenstreichungen. Kurz nach Weihnachten hatten sich Management und Betriebsräte auf den Abbau weiterer 2300 Vollzeitstellen geeinigt. Dafür bildet das Geldhaus Rückstellungen in Höhe von 610 Millionen Euro im Schlussquartal 2020, die das Jahresergebnis ebenfalls belasten.

Der amtierende Vorstandschef Manfred Knof hatte kurz nach seinem Amtsantritt im Intranet der Bank einen tiefgreifenden Konzernumbau angekündigt: "Das wird kein bequemer Weg sein, und ohne Zweifel wird die Transformation, die wir brauchen, auch mit noch mehr harten Entscheidungen und weiteren Restrukturierungsmaßnahmen verbunden sein. Aber sie sind nötig, und je schneller wir damit beginnen, desto besser!"

Auch die Deutsche Bank baut im Privatkundengeschäft weitere Stellen ab. In den Zentralen in Bonn und Frankfurt sollen bis Ende 2022 rund 350 Arbeitsplätze wegfallen. Der Stellenabbau ist Teil der konzernweiten Neuausrichtung, im Rahmen derer weltweit 18.000 Stellen wegfallen.Etwa jeweils die Hälfte entfällt Insidern zufolge auf die Zentralen der Tochter Postbank in Bonn und der Deutschen Bank in Frankfurt.

Die Deutsche Bank sieht bis Ende 2022 zudem den Abbau von 2300 Vollzeitstellen im Bereich Operations vor. Das betrifft administrative Aufgaben der Privatkundensparte wie etwa Kreditsachbearbeitung, Kontoführung und Zahlungsverkehr. Von dem letzten Beschluss sind knapp 1400 Arbeitsplätze betroffen, während die Streichung der übrigen Stellen bereits in älteren Sparprogrammen beschlossen worden war. Im Bereich Operations arbeiteten Ende 2019 noch 6300 Vollzeitkräfte. Die Zahl soll bis Ende 2022 auf rund 4000 Stellen sinken. Zusätzlich wolle die Bank bis 2022 auf 300 Zeitarbeitskräfte verzichten, berichtet City Wire.

Die Bank stellt wegen der Corona-Krise 2020 zudem deutlich mehr Geld für mögliche Kreditausfälle zurück als ein Jahr zuvor. "Die nun für das Gesamtjahr erwartete Risikovorsorge von ungefähr 1,8 Milliarden Euro liegt innerhalb der Bandbreite, die wir schon im April prognostiziert haben", sagte Finanzvorstand James von Moltke der Wochenzeitung Die Zeit. Im Jahr 2019 waren es rund 700 Millionen Euro.

Von Moltke betonte: "Das sind wohlgemerkt Rückstellungen für mögliche Kreditausfälle, keine Abschreibungen auf tatsächliche Ausfälle." Auch im Vergleich zu anderen global tätigen Banken sei das eher wenig. Einige US-Institute hätten zweistellige Milliardenbeträge zurückgestellt. Deutschland sei "wirtschaftlich recht stabil" und die Deutsche Bank habe "wenig Konsumentenkredite vergeben ..., die in so einer Situation als erste ausfallen", erklärte der Finanzchef.

Wie viele Experten rechnet auch von Moltke mit einem Anstieg der Zahl der Firmenpleiten im Jahr 2021. "Die Zahl der Insolvenzen wird zunehmen, das ist richtig." Das liege schon allein am Nachholeffekt, weil die während der Pandemie geschaffene Sonderregelung auslaufe. Firmen, die wegen der Corona-Krise zahlungsunfähig wurden, waren von März bis einschließlich September 2020 nicht verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen. Für Fälle von Überschuldung hat der Gesetzgeber diese Ausnahme bis Ende Januar 2021 verlängert.


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