China hat die USA im vergangenen Jahr als Empfänger der umfangreichsten ausländischen Direktinvestitionen abgelöst. Wie aus einem aktuellen Bericht der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (Unctad) in Genf hervorgeht, sackten die ausländischen Direktinvestitionen in den USA im vergangenen Jahr um 49 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf schätzungsweise 134 Milliarden US-Dollar ab. Hingegen stieg das Volumen in China um vier Prozent auf 163 Milliarden US-Dollar – besonders starke Zufluss-Steigerungen konnten dabei die Hochtechnologie-Branche (plus 11 Prozent) und der Bereich der Firmenübernahmen und Fusionen (Plus 54 Prozent) verzeichnen.
Weltweit fielen die ausländischen Direktinvestitionen 2020 um 42 Prozent auf 859 Milliarden US-Dollar. Der Rückgang konzentrierte sich vor allem auf die entwickelten Staaten, welche ein Minus von 69 Prozent hinnehmen mussten. Die USA standen seit Jahrzehnten auf Platz eins der Statistik. Chinas Aufstieg an die Spitze und ein sich auf rund 2,3 Prozent belaufendes Wirtschaftswachstum im Jahr 2020 demonstrieren die gestärkte Position des Landes.
Seit dem Sommer hatte das bevölkerungsreichste Land der Erde das Coronavirus weitgehend im Griff und musste nur in den vergangenen Wochen wieder verstärkt einzelne lokale Ausbrüche hinnehmen. Das Leben und die Wirtschaftstätigkeit haben sich aber normalisiert.
Unctad rechnet für dieses Jahr mit einem erneuten weltweiten Rückgang der länderübergreifenden Investitionen. Dieser dürfte demnach zwischen fünf und zehn Prozent liegen. „Die Auswirkungen der Pandemie auf die Investitionen werden anhalten“, wird der Chef der Investitionsabteilung der Organisation, James Zhan von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert. „Investoren werden wahrscheinlich weiterhin vorsichtig sein, wenn es darum geht, Kapital in neue produktive Anlagen in Übersee zu investieren.“
Besonders für die Entwicklungsländer schätzt die Organisation die Chancen als schlecht ein. „Für die Entwicklungsländer sind die Aussichten für 2021 eine große Sorge“, sagte Zhan. So seien die Ankündigungen für den Bau neuer Produktionsstätten, sogenannter Greenfield-Investitionen, um 46 Prozent eingebrochen. „Diese Investitionsarten sind entscheidend für die Entwicklung von Produktionskapazitäten und Infrastruktur und damit für die Aussichten für einen nachhaltigen Aufschwung“, erklärte Zhan.
Schwerpunkt der Weltwirtschaft wandert nach Osten
Die Unctad-Erhebung zu den globalen Direktinvestitionen unterfüttert die Theorie einer langsamen Verschiebung der ökonomischen Schwerpunkte nach Osten. Denn zum einen fielen die Rückgänge in den entwickelten Ländern des Westens besonders hoch aus, zum anderen waren die Rückgänge in den Schwellenländern insgesamt mäßig und neben China konnte auch Indien gegen den globalen Trend eine Steigerung um 13 Prozent vorweisen.
Während die USA einen Rückgang von fast 50 Prozent verzeichneten, sanken die Investitionen in Europa um zwei Drittel auf praktisch null, was auch für Großbritannien gilt. Bemerkenswert ist, dass als einziges großes Land der entwickelten Industriestaaten das ostasiatische Japan eine leichte Steigerung (plus 2 Milliarden auf 17 Milliarden Dollar) erreichen konnte, während auch in Australien die Zuflüsse um rund die Hälfte zurückgingen.
Aus dem Bericht geht deutlich hervor, dass Asien – insbesondere Ostasien – trotz der in dieser Weltregion zuerst aufgetretenen Corona-Pandemie vergleichsweise milde Rückgänge zu verzeichnen hatte und damit seine Funktion als Wachstumsregion der Weltwirtschaft gefestigt haben dürfte:
„Obwohl die Zuflüsse von Direktinvestitionen in die Entwicklungsländer insgesamt um 12 Prozent auf 616 Milliarden Dollar zurückgingen, entfielen 72 Prozent aller weltweit getätigten länderübergreifenden Investitionen auf sie – das ist der höchste jemals gemessene Wert. Zwischen den Regionen bestehen große Unterschiede: minus 37 Prozent in Lateinamerika und der Karibik, minus 18 Prozent in Afrika und nur minus 4 Prozent in den Entwicklungsländern Asiens. (…) Während die asiatischen Entwicklungsländer als Gruppe gut abschnitten und 476 Milliarden Dollar im Jahr 2020 anziehen konnten, schrumpften die Zuflüsse in die südostasiatischen Länder (ASEAN-Gruppe) allerdings um 31 Prozent auf 107 Milliarden Dollar.“
Es ist möglich, dass das chinesische Jahrhundertprojekt der „Neuen Seidenstraße“ viele jener Investitionsimpulse setzte, von denen die Länder Asiens profitierten.
Kapitalzufluss spiegelt Öffnung der Finanzmärkte wider
Unterstützt wird der Zufluss ausländischen Kapitals durch Maßnahmen der Regierung, die auf eine Öffnung der Finanzmärkte und der Volkswirtschaft als Ganzes abzielen. Als Folge investierten Ausländer im vergangenen Jahr Rekordbeträge in den Aktien- und Anleihemärkten des Landes (so werden beispielsweise chinesische zehnjährige Staatsanleihen mit rund 3,1 Prozent im internationalen Vergleich hoch verzinst) und chinesische Wertpapiere wurden in den vergangenen beiden Jahren von mehreren renommierten Index-Fondsanbietern in ihr Portfolio aufgenommen.
Attraktiv erscheinen zudem die makroökonomischen Fundamentaldaten des Landes. Neben dem soliden Wirtschaftswachstum im Krisenjahr 2020 und positiven Langfrist-Aussichten für die Großregion Ostasien insgesamt gehört zu den stützenden Faktoren auch der Umstand, dass chinesische Wertpapiere in den Anlageportfolios großer Banken und Vermögensverwalter in Übersee noch immer kaum eine Rolle spielen und daher Potenzial für eine aufholende Nachfrage und davon abgeleitet von Kurssteigerungen besteht.
Bei vielen Finanzanalysten herrscht darüber hinaus die Erwartung vor, dass Peking dem gestiegenen Nachfragedruck nach in der Landeswährung Renminbi (Yuan) notierten Wertpapieren früher oder später mit kontrollierten Aufwertungen des Außenwechselkurses Rechnung tragen muss. Heute getätigte Investitionen in den chinesischen Finanzmärkten würden sich in dem eben beschriebenen Positiv-Szenario für den Yuan in den kommenden Jahren daher in realen Wechselkurs-Wertzuwächsen äußern.
Gleichwohl existieren auch weiterhin Risiken, die ausländische Investoren zur Vorsicht gemahnen. Dazu gehören beispielsweise Unsicherheiten mit Blick auf das Rechtssystem und die darin festgelegten Eigentumsrechte sowie die Alterung der Gesellschaft, welche sich mittelfristig negativ auf Produktivität und Wirtschaftsleistung auswirken wird.
Die Financial Times zitiert einen Analysten mit den Worten, dass „die globale Umwelt künftig deutlich feindlicher“ gegenüber China eingestellt sei, was insbesondere dem 2017 begonnenen und wahrscheinlich auch unter Präsident Joe Biden fortgeführten Wirtschaftskrieg der US-Regierungen geschuldet ist. „Dies erhöht das Risiko, dass China die Spielregeln ohne große Vorwarnungen verändert. Es heißt bis dato Kapital aus aller Welt willkommen, aber das ist nicht in Stein gemeißelt. Besonders, wenn die Spannungen zwischen den USA und China sich weiter aufheizen“, schreibt die FT.