Deutschland

Wo bleibt die Pleitewelle? Experten fürchten böses Erwachen

Lesezeit: 2 min
28.01.2021 09:46  Aktualisiert: 28.01.2021 09:46
Die Pleitewelle ist bisher ausgeblieben, weil die Pflicht zum Insolvenzantrag für bestimmte Firmen ausgesetzt ist. Denn auch viele Firmen, die dies eigentlich nicht dürfen, meiden derzeit den Insolvenzrichter. Es droht ein böses Erwachen.
Wo bleibt die Pleitewelle? Experten fürchten böses Erwachen
Corona wird für Modehändler, Hotels und Reiseveranstalter zu einer riesigen Pleitewelle führen. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Ein Schreckgespenst geht seit Monaten um in Deutschland: Die Corona-Pandemie und ihre Folgen für Modehändler, Hotels und Reiseveranstalter werde zu einer riesigen Pleitewelle führen, warnen Konjunkturforscher und Politiker. Doch bisher ist fast nichts davon zu sehen. Bleibt die große Welle etwa aus? Selbst Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier beschwichtigt: Die Unternehmer hätten einen starken Überlebenswillen, viele hätten eigenes Geld mobilisiert. Die Zahl der Pleiten werde steigen. "Ich erwarte aber keine große, riesengroße Insolvenzwelle."

Der Mittelstand sei widerstandsfähiger als viele glaubten, sagt Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis. Allzu schnell dürften sich die Insolvenzanträge in den Gerichten jedenfalls nicht stapeln: "Ich gehe davon aus, dass wir die Insolvenzwelle nicht vor dem Sommer sehen werden - vielleicht auch erst im Herbst", sagt Lucas F. Flöther, einer der bekanntesten deutschen Insolvenzverwalter und zuletzt beim Ferienflieger Condor aktiv.

Die jüngsten prominenten Pleitefälle wie Adler Mode oder die Steakhauskette Maredo taugen nicht als Menetekel einer Corona-Insolvenzwelle - sie waren schon vor der Krise schwer angeschlagen. Der Lockdown war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Im Dezember hat die Zahl der Insolvenzen gerade einmal Vorjahresniveau erreicht, obwohl zahlungsunfähige Firmen, die ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können, schon seit Oktober wieder Insolvenzantrag hätten stellen müssen.

Dass die Welle bisher ausbleibt, liegt vordergründig daran, dass die Antragspflicht seit Januar wieder - und mindestens bis April - ausgesetzt ist, weil die Bundesregierung mit der Auszahlung der Hilfen für die Umsatzausfälle im November und Dezember nicht nachkommt. "Das betrifft eigentlich nur einen kleinen Anteil der notleidenden Unternehmen - aber das ist den wenigsten bewusst", mahnt Anwalt und Insolvenzverwalter Gerrit Hölzle von der Kölner Sanierer-Kanzlei Görg.

In anderen Worten: Viele Geschäftsführer wissen gar nicht, dass sie längst zum Insolvenzrichter müssten. Denn nur Firmen, die Staatshilfen beantragt haben und die aufgrund der Verzögerungen in Finanznöte kommen, dürfen auf einen Antrag verzichten. Für Adler etwa galt das nicht. Der Vorstand wagte es nicht einmal, den staatlich garantierten Hilfskredit ganz in Anspruch zu nehmen.

HILFT DER "DORNRÖSCHENSCHLAF"?

Flöther spricht von einem "Verwirrspiel". Er weiß aus vielen Anfragen: "Selbst bei großen Unternehmen herrscht Unsicherheit, was jetzt eigentlich Sache ist." Viele Manager riskierten damit, strafrechtlich wegen Insolvenzverschleppung belangt zu werden, wenn sie die Anmeldung versäumen, warnt er. Auch die Aussetzung der Anmeldepflicht an sich sehen viele Praktiker kritisch: "Im Einzelhandel bringt die Verlängerung gar nichts - dort ist bald kein Geld mehr in der Kasse", sagt Hölzle. Die Hilfen reichten nicht aus. "Zuletzt hat man einfach nicht so genau hingeschaut - aber die Hoffnung schwindet immer mehr." Doch das systematische Weggucken sorgt für Verunsicherung in der Wirtschaft: Wer will noch mit einem Geschäftspartner handeln, von dem er nicht weiß, ob er am Ende zahlen kann?

Hölzle hat einen Lösungsvorschlag: Unternehmen, denen in der Krise das Geschäft weggebrochen ist, sollten die Möglichkeit bekommen, ihren Geschäftsbetrieb ruhen zu lassen, sich in eine Art "Dornröschenschlaf" zu versetzen. Mieten und andere Verpflichtungen würden so lange gestundet, die Belegschaft werde unbefristet in Kurzarbeit geschickt. Verträge dürften auch nach dem "Aufwachen" nicht sofort gekündigt werden, um das Wiederanfahren des Geschäfts zu erleichtern.

Die Großen seien durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) zumeist geschützt, sagt Frank Grell, der für die Kanzlei Latham & Watkins viele Unternehmenssanierungen begleitet hat: "Mit dieser Liquidität werden viele davor bewahrt, in Insolvenzgefahr zu geraten." Doch gerade das sei oft unsinnig, zumal wenn Branchen wie Autozulieferer oder Einzelhandel nach Corona vor Umbrüchen stehen. "Dadurch werden Hoffnungen geweckt, die sich nicht erfüllen lassen", warnt Flöther. Grell sagt voraus: "Der Staat wird sich darauf einstellen müssen, dass er einen Teil seiner Finanzhilfen abschreiben muss - oder sie in Kapitalbeteiligungen wandelt." Bei der Lufthansa und bei TUI sind nicht umsonst Wandlungsrechte in den Verträgen enthalten.

LANGSAMES ERWACHEN

Die Probleme würden durch den vermeintlichen Schutz vor der Pleite nur in die Zukunft verschoben, mahnt Flöther. Praktiker unken, dass genau das das Ziel der Regierung sein könnte. Denn dann ließen sich viele Insolvenzen vielleicht bis nach der Bundestagswahl verschieben. Auch im Mai, wenn die Antragspflicht wieder für alle gelten soll, sei keine Welle zu erwarten, sagt Flöther. "Es wird ein paar Wochen oder sogar Monate dauern, bis das in den Köpfen ankommt - wie bei einem Patienten, der aus der Narkose aufwacht."


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Finanzen
Finanzen Der komplette Guide zur Bankvollmacht: Sicherheit und Flexibilität im Finanzmanagement
03.05.2024

Eine Bankvollmacht kann entscheidend dafür sein, Sicherheit und Flexibilität in Ihren finanziellen Angelegenheiten zu gewährleisten....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Fleischersatz auf dem Vormarsch: Deutschland erlebt Produktionsboom
03.05.2024

Vegetarische und vegane Fleischersatzprodukte gewinnen in Deutschland an Beliebtheit: Produktion verdoppelt sich seit 2019. Fleischkonsum...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft OWZE-Prognose 2024: Minimales Wirtschaftswachstum für Deutschland erwartet
02.05.2024

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OWZE) geht von einem minimalen Wirtschaftswachstum für Deutschland...

DWN
Finanzen
Finanzen Deutschland im Investitionstief: Rückgang setzt Wirtschaft unter Druck
02.05.2024

Deutschlands Attraktivität für ausländische Investitionen schwindet weiter: 2023 markiert den niedrigsten Stand seit 2013. Manche...

DWN
Politik
Politik 1.-Mai-Demonstrationen: Gewerkschaften fordern dringend Gerechtigkeit
02.05.2024

Am Tag der Arbeit kämpfen Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen. Ihre Spitzenvertreter betonten die Notwendigkeit von...

DWN
Politik
Politik Militärhistoriker Lothar Schröter im DWN-Interview: Die Folgen des Massenmords von Odessa 2014
02.05.2024

Der Militärhistoriker Lothar Schröter ordnet im DWN-Interview den Massenmord in Odessa vom 2. Mai 2014 ein. Dabei geht er auch auf die...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview: Ukraine-Krieg - Zehn Jahre nach dem Massenmord von Odessa
02.05.2024

Am 2. Mai 2014 ist es in der ukrainischen Stadt Odessa zu einem Massenmord gekommen, bei dem fast fünfzig Menschen qualvoll ums Leben...

DWN
Technologie
Technologie Infineon vor herausforderndem Quartal: Augenmerk auf Zukunftsaussichten
02.05.2024

Der Chiphersteller Infineon sieht schwieriges Quartal voraus, mit moderaten Rückgängen und angespanntem Automobilmarkt. Wie geht es...