Seit seiner Machtergreifung im Jahr 2013 hat der ägyptische Präsident Abdul Fattah al-Sisi ein Regierungssystem eingesetzt, dessen Brutalität sogar die Regierungszeit des langjährigen Herrschers Hosni Mubarak bei weitem übertrifft. Die Hoffnungen auf einen echten politischen und sozialen Wandel nach dem Arabischen Frühling sind verblasst.
„Amnesty International Mena“ teilt über Twitter mit: „Zehn Jahre seit der Revolution vom 25. Januar in Ägypten befinden sich Dutzende von Aktivisten und Menschenrechts-Verteidigern zu Unrecht in Haft. Die ganze Woche über werden wir ihre Namen teilen, um ihre Freilassung zu fordern. Teilen! Retweeten! Lasst @AlsisiOfficial wissen, dass Ihr Euch darum sorgt.“
Acht Politiker der deutschen Linkspartei haben eine Solidaritätserklärung unterzeichnet, in der die sofortige Freilassung aller politischen Häftlinge gefordert wird. „Seit Abdelfattah Al-Sisi gewaltsam die Macht übernommen hat sind elementare Freiheitsrechte in Ägypten außer Kraft gesetzt worden. Al-Sisi startete einen sog. „Krieg gegen den Terror“ und inhaftierte mehr als 60.000 politische Gefangene. Unter ihnen befinden sich Islamistinnen und Islamisten, Liberale, Linke, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Medienschaffende sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger. Unabhängige Gewerkschaften und Jugendorganisationen wurden zerschlagen. Folter ist in ägyptischen Polizeirevieren an der Tagesordnung. Allein Anfang Dezember 2020 wurden in einer Hinrichtungsserie mindestens 57 Menschen getötet“, heißt es in der Erklärung. Weiterhin wird Kritik an der Bundesregierung geübt: „Der ehemalige ägyptische Botschafter in Berlin erhielt im Oktober 2020 das Bundesverdienstkreuz der Bundesregierung. Ägypten war 2020 Hauptempfängerland deutscher Kriegswaffen-Exporte, allein von Januar bis September umfasste das Exportvolumen 585,9 Millionen Euro. Auch das Sicherheitsabkommen und die polizeiliche Aufbau- und Ausstattungshilfe wurden 2020 weitergeführt – und nur aufgrund der Einschränkungen während der COVID19-Pandemie vorübergehend ausgesetzt.“
Ebenfalls auf der Liste stehen Patrick George Zaki, ein Mitarbeiter der ägyptischen Menschenrechtsorganisation für Persönlichkeitsrechte, der nach seiner Verhaftung Anfang 2020 in Polizeigewahrsam gefoltert wurde, und der prominente linke Menschenrechtsanwalt Mahienour al-Masry. Neben Deutschland ist Frankreich der Hauptunterstützer des ägyptischen Machthabers al-Sisi. „Im vergangenen Jahr verlieh der französische Präsident Emmanuel Macron al-Sisi die höchste Auszeichnung des Landes, die Nationale Ehrenlegion, während die Semperoper in Dresden dem Diktator den Orden des Heiligen Georg für seine Friedensbemühungen in Nordafrika verlieh. Diese Auszeichnungen sind nicht nur schockierend widersprüchlich, sondern auch zutiefst traurig für die Familien der Ägypter, die gestorben sind oder eingesperrt wurden, weil sie sich gegen Menschenrechtsverletzungen ausgesprochen haben“, so der Middle East Monitor (MEM).
„Amnesty International“ hatte zuvor einen offenen Brief an das EU-Außenamt und an alle EU-Mitgliedstaaten gerichtet, in dem gefordert wird, konsequent gegen al-Sisi vorzugehen. Zahlreiche Ärzte, Politiker, Journalisten, Bürger und weitere Menschen seien aufgrund ihrer Kritik an den Zuständen in Ägypten verhaftet worden. Bisher seien Dutzende, wenn nicht Hunderte, von Menschen in den Gefängnissen aufgrund der gängigen Folter verstorben.
Die aktuelle Regierung unter al-Sisi hat offenbar eine lange Liste von Verbrechen vorzuweisen. Die „NZZ“ führt aus: „Dazu gehört unter anderem das ,Rabaa-Massaker‘: die blutige Räumung des Protestcamps der Mursi-Anhänger im August 2013, bei der 600 bis möglicherweise über 1000 Personen getötet wurden. Deshalb könnte einzig massiver internationaler Druck Sisis Verfassungsänderungen noch stoppen.“
Die Tatsache, dass internationale Menschenrechtsorganisationen, vor wenigen Tagen damit begonnen haben, in den sozialen Medien eine Kampagne gegen den ägyptischen Machthaber al-Sisi durchzuführen, ist ein Hinweis dafür, dass es in Ägypten alsbald zu einem erneuten Umsturz kommen könnte. Allerdings könnte Kairo dieser Entwicklung gegensteuern, indem die sozialen Medien gedrosselt werden. Am 23. September 2019 hatten die Deutschen Wirtschaftsnachrichten beobachtet: „In Ägypten fanden am Freitag erstmals seit Jahren wieder größere Proteste gegen die Regierung statt. Diese wurden über die sozialen Medien organisiert. Kairo hat BBC News, Alhurra News und den Facebook-Messenger gesperrt.“
Die Bedingungen für einen Umsturz, der auf den Straßen beginnen würde, ist deshalb gegeben, weil mittlerweile auch die Unterstützer von al-Sisi unter den Bürgern Ägyptens von ihm abrücken. Denn die „eiserne Faust“ der aktuellen Regierung in Kairo spüren nicht mehr nur die Mitglieder der legalistisch-islamistischen Muslimbrüder, sondern auch Linke, Rechte, Mitglieder der LGBT-Community, Demokraten und alle anderen Gruppen im Land.
Im Zusammenhang mit der neuen US-Regierung unter Joe Biden könnte al-Sisi Probleme bekommen. Das „Washington Institute for Near East Policy“ hatte am 18. November 2020 berichtet: „In diesem Juli wurde das ägyptische Establishment von einer Schockwelle heimgesucht, als der damalige Kandidat Biden twitterte: ,Keine Blankoschecks mehr für Trumps Lieblingsdiktator‘ - ein Hinweis auf die Behandlung politischer Gefangener unter al-Sisi. Kairos Bedrohungswahrnehmung in Bezug auf eine demokratische Präsidentschaft verschlechterte sich erst im Oktober, als eine übersetzte Version der freigegebenen E-Mails der ehemaligen Außenministerin Hillary Clinton das Ausmaß der Beziehungen der Obama-Regierung zu Vertretern der Muslimbruderschaft während und nach der kurzen Regierungszeit der Gruppe unter Präsident Mohamed Morsi enthüllte. Solche Bedenken erklären Ägyptens gemischte Reaktionen auf das Wahlergebnis. Als Biden am 7. November seine Siegesrede hielt, veröffentlichte al-Sisis Sprecher eine Glückwunscherklärung auf Facebook und machte Ägypten zum ersten arabischen Staat, der dies tat. Ebenso betonte Außenminister Sameh Shoukry die Bereitschaft seines Landes, weiterhin mit Washington bei der Bekämpfung der regionalen Instabilität zusammenzuarbeiten“. Doch Kairo habe eine große Angst vor der neuen US-Regierung, weil Biden mehrmals gesagt hatte, sich weltweit auch für die Demokratie einsetzen zu wollen. Hinzu kommt die Angst davor, dass es zu einem Wiederaufstieg der islamistischen Muslimbruderschaft kommen könnte.
Die Tage des Generals a.D. Abdul Fattah al-Sisi sind offenbar gezählt.
+++Dieser Artikel wurde erstmals am 30. Januar 2021 veröffentlicht+++