Weltwirtschaft

Bundesregierung einigt sich auf Grundzüge des Lieferketten-Gesetzes

Lesezeit: 3 min
12.02.2021 14:30  Aktualisiert: 12.02.2021 14:30
Die Bundesregierung hat sich auf die Grundzüge des sogenannten Lieferkettengesetzes geeinigt.
Bundesregierung einigt sich auf Grundzüge des Lieferketten-Gesetzes
Kinderarbeit in Bangladesch. (Foto: dpa)

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Deutsche Unternehmen sollen ab 2023 verpflichtet werden, gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltsünden bei ihren ausländischen Zulieferern vorzugehen. Die zuständigen Minister der Bundesregierung stellten dazu am Freitag in Berlin erste Details vor. Bis Mitte März soll ein Gesetzentwurf ins Kabinett kommen. Betroffen werden zunächst nur große Konzerne sein. Bei Verstößen soll es zwar keine milliardenschweren Zivilklagen geben, aber empfindliche Bußgelder. Hier sind die Details noch offen und könnten in der Regierung für Streit sorgen.

Ziel ist es, Zwangs- und Kinderarbeit zu verhindern oder zumindest zu reduzieren, ebenso gegen Hungerlöhne und massive Umweltzerstörungen vorzugehen. "Das Problem liegt außerhalb deutscher Grenzen", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Die Verantwortung der Industrie solle nicht mehr am Werkstor aufhören, sondern sich auf die gesamte Lieferkette erstrecken. "Wir machen es rechtlich verbindlich." Selbstverpflichtungen der Industrie hätten nicht zum Ziel geführt. "Freiwilligkeit allein reicht nicht aus."

Unternehmen müssen künftig bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht mit einem Bußgeld rechnen. Außerdem sollen sie bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Heil sagte, das Justizministerium werde einen Vorschlag zur genauen Höhe der Bußgelder machen. Für ihn sei aber eine Orientierung von bis zu zehn Prozent des Umsatzes denkbar, so könnten die Bußen in die Millionen gehen.

Zunächst soll das Lieferkettengesetz ab 2023 für Konzerne mit mehr als 3000 Mitarbeitern in Deutschland gelten, ab 2024 dann für Unternehmen mit über 1000 Beschäftigten. Damit wären im ersten Schritt mehr als 600 Konzerne betroffen, im zweiten Schritt knapp 2900 Firmen. Teilweise sehen Unternehmen in dem Vorhaben eine Gefahr für den Standort Deutschland. Auf Druck des CDU-geführten Wirtschaftsministeriums ist aber eine umfangreiche zivilrechtliche Haftung für Missstände in der Lieferkette vom Tisch. Darum hatten die zuständigen Minister eineinhalb Jahre gerungen.

Mittelständler (noch) nicht betroffen

Wirtschaftsminister Peter Altmaier sagte, kleinere Mittelständler seien von dem Vorhaben nicht betroffen. Außerdem greife das Gesetz erst nach der Corona-Krise. Und größere Konzerne könnten nur belangt werden, wenn sie Kenntnis von Missständen hätten. Das geplante Gesetz sende zudem ein Signal an andere Länder, hier mitzuziehen. Heil verteidigte das Vorhaben gegen Kritik, nicht scharf genug zu sein: "Das Gesetz hat Zähne. Es ist kein Placebo." Unternehmen könnten sich nicht aus der Verantwortung stehlen, etwa durch Brancheninitiativen für Menschenrechte oder Umweltschutz. Es werde Überprüfungen durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle geben, dieses habe ein robustes Mandat.

"Es ist das stärkste Gesetz in Europa", ergänzte Heil. Es werde helfen, auch in Europa voranzukommen. EU-Justizkommissar Didier Reynders will noch dieses Jahr einen Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz vorlegen. Es sollte im Idealfall noch ambitionierter ausfallen, teilte der TÜV-Verband mit. Mit Blick auf das deutsche Vorhaben sagte TÜV-Experte Joachim Bühler: "Soziale und ökologische Standards müssen klar definiert und deren Einhaltung kontrolliert werden." Unabhängige Prüfungen könnten für das notwendige Vertrauen sorgen. "Immer mehr Menschen wollen wissen, woher ihre Produkte von der Jeans über Lebensmittel bis zur Batterie im Elektroauto stammen, unter welchen Bedingungen sie produziert wurden und welche Nachhaltigkeitskriterien bei der Herstellung berücksichtigt wurden."

Top-Ökonom: Es trifft die Falschen

Es treffe aber die Falschen, kritisierte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr. "Ein Negativlistenansatz wäre besser, der allen Unternehmen in der Welt, denen ein Fehlverhalten nachgewiesen wird, die Beteiligung an deutschen - besser europäischen - Wertschöpfungsketten untersagt. Dass ein solcher Ansatz wirkt, zeigt das Vorbild der USA." In Frankreich habe ein ähnliches Gesetz zudem für viel Unsicherheit gesorgt, weil Begriffe nicht genau definiert worden seien. "Hier sollte der deutsche Gesetzgeber auf Klarheit achten." Außerdem sei durch weltweite Lieferketten, Armut in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern reduziert worden, so Felbermayr.

Große Konzerne haben allerdings sehr viele Zulieferer. Beispiel Volkswagen: Hier sind es weltweit rund 40.000 Lieferanten. "Wir begrüßen, dass mit der heutigen Vorlage eine lange und wichtige Debatte zu einem Ergebnis kommt", teilte der Autobauer mit. VW unterstütze einen verbindlichen Rechtsrahmen, der Unternehmen und ihre Lieferanten auf die Wahrung von Menschenrechten verpflichtet. "Unsere eigene Verantwortung nehmen wir sehr ernst. Zusammen mit unseren Zulieferern arbeiten wir intensiv daran, Risiken in der gesamten Lieferkette zu erkennen, unsere hohen Standards durchzusetzen und ihre Einhaltung zu kontrollieren."

Industrie und Arbeitgeber mit Kritik

Arbeitgeber und Industrie lehnen das geplante Gesetz ab und kritisieren es als nationalen Alleingang. Es sei überflüssig, sagte Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger am Freitag. "Wir brauchen ein Belastungsmoratorium und keine weiteren Steine, die der Wirtschaft in den Weg gelegt werden und so einen Aufschwung erschweren." Der Chemieverband VCI kritisierte, das Vorhaben gehe in die falsche Richtung. Der deutsche Alleingang führe zu einem Flickenteppich. Eine europäische Lösung müsse Vorrang haben. Besser wäre es gewesen, Brancheninitiativen für mehr Nachhaltigkeit einzubeziehen.

Arbeitgeber-Präsident Dulger ergänzte, es sei davon auszugehen, dass die Pflichten an kleine und mittelständische Zulieferer weitergereicht würden. Dadurch entstünden neue bürokratische Lasten. Der Wirtschaftsrat der CDU forderte die Unionsfraktion im Bundestag auf, das Vorhaben zu stoppen. Industrie-Präsident Siegfried Russwurm forderte gleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa. "Die Umsetzung stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen."


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