Finanzen

City of London fürchtet Abzug des billionenschweren Derivategeschäfts in die EU

In der City of London liegen die Nerven blank. Den Verlust kleinerer Märkte an den Kontinent nahm man noch hin, nun droht mit einem möglichen Wegzug der Euro-Derivatehandels ein Genickschlag.
02.03.2021 10:31
Lesezeit: 2 min
City of London fürchtet Abzug des billionenschweren Derivategeschäfts in die EU
Andrew Bailey. (Foto: dpa) Foto: Facundo Arrizabalaga

Der Gouverneur der Bank of England, Andrew Bailey, hat die EU vor einem möglichen Wegzug des billionenschweren Euro-Derivatehandel gewarnt. Sollte die EU einen Abzug erzwingen, bedeutete dies eine „ernsthafte Eskalation“. „Das wäre hochgradig kontrovers und es wäre etwas, dem wir sehr stark entgegenwirken müssten und wollen“, wird Bailey vom EU-Observer zitiert.

Beim Markt von in Euro notierten Derivaten handelt es sich um ein gigantisches Spekulationscasino im Gesamtvolumen von rund 83 Billionen (!) Euro - was in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung der ganzen Welt entspricht. In London werden derzeit noch rund 90 Prozent der entsprechenden Geschäfte getätigt. Die EU jedoch will, dass europäische Banken ihre Abhängigkeit von Großbritannien in dem Markt verringern und einen Großteil der Geschäfte bis Mitte 2022 auf den Kontinent holen. Die Briten schätzen, dass dann etwa ein Viertel des Marktes – also rund 20 Billionen Euro – in die EU abwandern könnte.

Um an die restlichen 75 Prozent zu kommen, müsste die EU extraterritoriales Recht anwenden beziehungsweise internationale Banken unter Druck setzten, sagte Bailey. Das dies passieren könnte, ist nicht unwahrscheinlich. So wurde im Januar der Entwurf eines europäischen Strategiepapieres bekannt, zu dessen Empfehlungen auch ein schrittweisen Abbau der Abhängigkeiten der Eurozone von der City of London gehörte.

City of London in der Defensive

Die City of London – bis zum Zweiten Weltkrieg das wichtigste Finanzzentrum der Welt und auch heute noch ein global systemrelevanter Handelsplatz – muss seit dem Austritt Großbritanniens aus der EU den Wegzug wichtiger Märkte und Handelsplattformen verkraften. Profitiert vom Aderlass haben Finanzzentren auf dem Kontinent wie Paris und Frankfurt, in besonderer Weise aber auch Amsterdam, welches im Januar zum wichtigsten Standort für den Handel mit europäischen Aktien vor London aufgestiegen ist.

Schon einmal hatte sich Bailey mit scharfen Worten in Richtung EU geäußert. „Ich fürchte, eine Welt in der die EU diktiert und bestimmt, welche Regeln und Standards wir in Großbritannien haben werden, wird nicht funktionieren“, sagte Bailey Mitte Februar bei der jährlichen Mansion-House-Rede in der Londoner City mit Blick auf die gegenseitige Anerkennung von Standards. Es sei unwahrscheinlich, dass London entsprechenden Forderungen Brüssels nachgeben werde, so der Zentralbankchef. Sollte die EU versuchen, die britische Finanzindustrie von ihrem Markt auszusperren, wäre das ein Fehler, warnte er.

Befürchtungen, London könne sich zu einem „Singapur an der Themse“, mit starker Deregulierung von Finanzmarktregeln und niedrigen Steuern entwickeln, trat Bailey aber ebenfalls entgegen. „Lassen Sie es mich deutlich sagen: Nichts von alledem bedeutet, dass Großbritannien ein niedrig reguliertes, hochriskantes, Finanzzentrum und -system schaffen sollte oder wird, in dem alles möglich ist“, sagte der Notenbankchef.

Dienstleistungen waren bei den Verhandlungen über einen Brexit-Handelspakt zwischen der EU und Großbritannien außen vor geblieben. Britische Finanzdienstleister haben mit dem Ende der Brexit-Übergangsphase zum Jahreswechsel ihren automatischen Zugang zum EU-Binnenmarkt verloren. Das führte zwar nicht zum befürchteten großen Exodus aus der Londoner City, doch viele Banken und andere Unternehmen gründeten Ableger in Städten wie Paris, Dublin, Amsterdam und Frankfurt. Mit ihnen wanderten etwa 7.000 Arbeitsplätze ab. Bis März wollen sich nun beide Seiten über die gegenseitige Anerkennung von Standards, Äquivalenz genannt, einig werden.

Die Dienstleistungsbranche – insbesondere im Bereich Finanzen – macht rund 80 Prozent der britischen Bruttowertschöpfung aus.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Importstopp russisches Gas: EU einig über Komplettverzicht auf Gas aus Russland
03.12.2025

Die EU will bis spätestens Ende 2027 vollkommen unabhängig von russischem Erdgas sein. Das sieht eine Einigung zwischen Vertretern der...

DWN
Finanzen
Finanzen Wärmewende: Heizen ist teurer geworden - mal wieder
03.12.2025

Wer seine Wohnung schön warm haben wollte, musste in den Jahren 2022 und 2023 besonders tief in die Tasche greifen. Nun haben Experten die...

DWN
Politik
Politik Putin versucht in Europa, was nicht einmal Stalin gelang
03.12.2025

Europa steht vor einer sicherheitspolitischen Zäsur. Neue Enthüllungen über Washingtons Verhandlungen, interne Machtkämpfe in Kiew und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft OECD-Prognose: Zölle bremsen Wachstum bis 2027
03.12.2025

Die OECD sieht für Deutschland ab 2025 einen zögerlichen Aufschwung, der jedoch im internationalen Vergleich blass bleibt. Niedrige...

DWN
Politik
Politik Russland im Fokus: Finnlands Ex-Präsident warnt vor schnellem Ukraine-Frieden
03.12.2025

Finnlands früherer Präsident Sauli Niinistö verfolgt den Krieg in der Ukraine mit wachsender Sorge und warnt vor trügerischen...

DWN
Technologie
Technologie Jeder Sechste sorgt sich wegen KI um eigenen Arbeitsplatz
02.12.2025

Künstliche Intelligenz verändert den Arbeitsmarkt rasant. Jeder sechste Beschäftigte in Deutschland fürchtet, dass sein Job bedroht...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Russische Wirtschaft unter Spannung: Industrie, Konsum und Haushalt schwächeln
02.12.2025

Die wirtschaftliche Lage in Russland wird spürbar fragiler, da strukturelle Schwächen und geopolitische Belastungen zunehmen. Damit...

DWN
Politik
Politik Drohnenabwehreinheit der Bundespolizei in Dienst gestellt
02.12.2025

Die Bundespolizei verstärkt ihre Drohnenabwehr erheblich. Mit 130 Spezialkräften, KI-gestützten Störsystemen und automatischen...