Wirtschaft

Wirtschaft kritisiert Lockdown-Verlängerung: Einzelhandel und Gastgewerbe werden im Regen stehen gelassen

Wirtschaftsverbände kritisieren die neuesten Beschlüsse der Bundesregierung als Nackenschlag für deutsche Firmen - insbesondere für Einzelhandel und Gastgewerbe.
04.03.2021 08:29
Aktualisiert: 04.03.2021 08:29
Lesezeit: 3 min
Wirtschaft kritisiert Lockdown-Verlängerung: Einzelhandel und Gastgewerbe werden im Regen stehen gelassen
In grünes Licht getaucht ist das Restaurant «Pino» in der Frankfurter Innenstadt, in dem statt menschlicher Gäste riesige Pandabären an den eingedeckten Tischen sitzen. Um auf ihre schwierige Situation in der Corona-Krise hinzuweisen, waren zahlreiche Restaurants, Bars und Clubs in Frankfurt in einem grünen Licht erleuchtet. (Foto: dpa) Foto: Arne Dedert

Die Wirtschaft kritisiert die Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern zum Teil sehr scharf. "Die für eine Öffnung der Geschäfte vorgeschriebene stabile Inzidenz von 50 sei nicht flächendeckend in Sichtweite", beklagte der Einzelhandelsverband HDE am Donnerstag. Die damit weitgehend geschlossenen Handelsunternehmen dürften bis Ende März im Vergleich zu 2019 weitere zehn Milliarden Euro Umsatz verlieren. "Die Ergebnisse des Corona-Gipfels sind für den Einzelhandel eine Katastrophe", so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Auch die Möglichkeit für den Einkauf nach vorheriger Terminvergabe sei für die meisten Läden kein Rettungsanker. Denn dabei seien in der Regel die Personal- und Betriebskosten höher als die Umsätze.

Auch Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer sagte, für viele Unternehmen gebe es in nächster Zeit noch keine Öffnungsperspektive. "Um ein Betriebesterben auf breiter Front zu verhindern, muss wirtschaftliches Leben jedoch schnellstens wieder ermöglicht werden, wo immer das epidemiologisch vertretbar ist. Die jetzt getroffenen Beschlüsse werden dem nicht gerecht." Die Politik müsse mehr Tempo beim Impfen machen, Tests dann flankierend hinzukommen. "Zunächst müssen jedoch zahlreiche offene Fragen zu den Testungen geklärt werden."

Bund und Länder hatten am Mittwochabend beschlossen, den Lockdown bis zum 28. März zu verlängern. Gleichzeitig wurden aber weitere Öffnungsschritte in Aussicht gestellt. Nächste Woche sollen zum Beispiel Buch- und Blumenläden sowie Gartencenter unter Hygieneauflagen und Kundenzahlbegrenzungen wieder aufmachen können. Für körpernahe Dienstleistungen sowie Fahr- und Flugschulen gilt dies auch, aber dort werden tagesaktuelle Schnell- oder Selbsttests für Kunden und ein Testkonzept für das Personal vorgeschrieben.

Der HDE kritisierte, die Politik orientiere sich weiterhin zu sehr an Infektionszahlen. Der Handwerksverband sprach von einem Öffnungsplan mit angezogener Handbremse, kritisierte aber ebenso, dass andere Kriterien stärker berücksichtigt werden müssten, etwa die Lage auf den Intensivstationen in den Krankenhäusern sowie Fortschritte beim Testen und Impfen.

Ifo-Institut: Wirtschaftsleistung wird im ersten Quartal deutlich sinken

Trotz der von Bund und Ländern beim Corona-Gipfel beschlossenen Lockdown-Lockerung wird die deutsche Wirtschaft nach Prognose von Ökonomen im ersten Quartal schrumpfen - und zwar deutlich. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte von Januar bis März um 1,8 Prozent zum Vorquartal fallen, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer am Donnerstag. Auch sein Kollege Carsten Brzeski von der ING rechnet mit einem "Einbruch der Konjunktur". Das erhoffte Anziehen der Wirtschaft in den kommenden März-Wochen dürfte ausbleiben. "Industrie und Exporte werden wohl weiter gut laufen", sagte Brzeski. "Der Bau, mit Ausnahme von wetterbedingten Ausfällen im Februar, auch." Der Konsum aber, der schon im Dezember eingebrochen und auch im Januar schlecht gelaufen sei, dürfte hingegen bremsen.

Ifo-Präsident Clemens Fuest sieht die Wirtschaft aktuell in einer "schleppenden Entwicklung, aber nicht in einer Rezession", wie er in der ARD sagte. Derzeit fielen etwa drei Prozent der Wertschöpfung weg. "Das ist doch weniger als die meisten glauben."

Einig sind sich die meisten Experten darin, dass ein kräftiger Frühjahrsaufschwung möglich ist. Die deutsche Wirtschaft habe bereits im vergangenen Sommer gezeigt, wie schnell sie sich erholen könne, wenn die Beschränkungen fallen, sagte Krämer. "Hinzu kommt, dass die Deutschen während des Lockdowns notgedrungen hohe Ersparnisse gebildet haben, die sich auf rund sechs Prozent ihrer jährlich verfügbaren Einkommen belaufen." Der Commerzbank-Chefökonom rechnet deshalb für das zweite Quartal mit einem Wachstum von vier Prozent. Für 2021 insgesamt geht er von 4,5 Prozent aus und ist damit deutlich optimistischer als die Bundesregierung. Diese rechnet nur mit einem Plus von drei Prozent.

Opposition wirft Bundesregierung Versagen vor

FDP-Chef Christian Lindner wirft der Bundesregierung Versagen im Kampf gegen die Corona-Pandemie vor. Zu deren Beginn seien allen Fehler und Fehleinschätzungen unterlaufen, sagt er im Deutschlandfunk. Das müsse unterschieden werden von den "Managementfehlern", die bis heute gemacht würden. "Dass sich jetzt das Problem bei der Bestellung von Masken, bei der Beschaffung von Impfstoffen zu wiederholen scheint bei den Schnell- und den Selbsttests, das ist ein grobes Versagen der Bundesregierung. Da könnten und müssten wir weiter sein."

Auch die beiden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion haben die Ergebnisse des Spitzentreffens scharf kritisiert. "Diese Beschlüsse sind ein Hohn für die Bürger, die zunehmend genug haben von der plan- und nutzlosen Lockdown-Politik der Bundesregierung und der Länder", teilte Alice Weidel am Donnerstag mit. Von einer "Ausstiegsperspektive" kann keine Rede sein angesichts dieser konfusen und undurchschaubaren Anhäufung von willkürlich aus dem Hut gezogenen Regeln, Zahlenwerten und Bedingungen." Für die meisten Betriebe in Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungsgewerbe bedeuteten die Beschlüsse weitere Wochen der Unsicherheit.

Alexander Gauland bezeichnete die abermalige Lockdown-Verlängerung bis Ende März als einen "Willkürakt" und griff die Gesamtstrategie von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an. "Die Bürger sollen dafür büßen, dass die von Merkel vorangetriebene "europäische Lösung" direkt ins Impfstoffdesaster geführt hat. Auch bei der Beschaffung und Bereitstellung von Schnelltests hinkt die Bundesregierung weit hinterher", so Gauland.

Grünen-Chef Robert Habeck zeigt sich enttäuscht von den Bund-Länder-Beschlüssen. "Als Bürger fühlt man sich im Stich gelassen", sagt er im Deutschlandfunk. Aus seiner Sicht sei nicht klug, was gerade getan werde. "Es wird auf Hoffnung gesetzt, das ist aber keine Strategie", kritisiert Habeck. "Wir sind am Beginn einer dritten Welle und reden über Öffnung, statt über Impfen, über Testen, über Nachvollziehbarkeit zu reden." Es müsse erst getestet werden, dann könne es Öffnungen geben. Die Bundesregierung verheddere sich in Bürokratie, anstatt einfach nur zu machen und zum Beispiel Schnelltests kurzerhand zu bestellen.

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