Politik

Wirtschaft der zwei Kreisläufe, strategische Autonomie: China stellt die Weichen für die kommenden fünf Jahre

Die grundlegenden Weichenstellungen auf dem derzeit stattfindenden Volkskongress deuten eine Tendenz zu Selbststärkung und innerer Konsolidierung an.
05.03.2021 09:39
Aktualisiert: 05.03.2021 09:39
Lesezeit: 4 min
Wirtschaft der zwei Kreisläufe, strategische Autonomie: China stellt die Weichen für die kommenden fünf Jahre
Ein Kapellmeister dirigiert am diesjährigen Volkskongress.(Foto: dpa) Foto: Ng Han Guan

Trotz der durch die Corona-Pandemie ausgelösten globalen Rezession will die chinesische Regierung in diesem Jahr ein starkes Wirtschaftswachstum von „mehr als sechs Prozent“ erreichen. Um unabhängiger vom Ausland zu werden, unterstrich Regierungschef Li Keqiang am Freitag zur Eröffnung der Jahrestagung des Volkskongresses in Peking, dass der Entwicklung der heimischen Wirtschaft „Vorrang gegeben“ werden müsse. Auch solle die eigene Innovation viel stärker als früher gefördert werden, um die technologischen Abhängigkeiten zu verringern.

Im Mittelpunkt der Plenarsitzung des chinesischen Parlaments stehen die Wirtschaftsziele und der Haushalt für dieses Jahr, der neue Fünf-Jahres-Plan von 2021 bis 2025 sowie eine umstrittene Wahlreform für Hongkong. Damit will Peking seine Einflussmöglichkeiten in der Sonderverwaltungszone ausweiten. Auf dem Volkskongress wurden Pläne für einen Umbau des Wahlsystems in der ehemaligen britischen Kronkolonie vorgestellt. Im Zuge der Pläne dürften die Wahlen in Hongkong um ein weiteres Jahr auf September 2022 verschoben werden, berichteten mehrere chinesische Medien. Medienberichten zufolge soll in dem Wahlkomitee, das die Führung Hongkongs bestimmt, der Anteil der Peking-treuen Mitglieder aufgestockt werden.

Die Briten – welche den Hongkongern im Laufe ihrer rund 150-jährigen Kolonialherrschaft zu keiner Zeit freie Wahlen erlaubt hatten – installierten vor ihrem Rückzug im Jahr 1997 ein Wahlsystem, bei dem der größte Teil der Stimmen von international tätigen Konzernen (unter anderem der britischen Bank HSBC und dem französischen Versicherungskonzern AXA) sowie Repräsentanten bestimmter Berufsgruppen und der Rest von den Bürgern abgegeben werden können.

Wirtschaft der „zwei Kreisläufe“ soll externe Abhängigkeiten verringern

Das Wachstumsziel von mehr als sechs Prozent für die zweitgrößte Volkswirtschaft war eine Überraschung. Im Vorjahr hatte der Premier wegen der Unsicherheiten durch die Pandemie noch davon abgesehen, wie üblich eine solche Vorgabe zu machen. 2020 waren trotz des Einbruchs der Wirtschaft besonders zum Jahresbeginn aber noch 2,3 Prozent Wachstum erreicht worden. Während die Welt eine Rezession erlebt, war China neben Vietnam die einzige große Volkswirtschaft, die Wachstum verzeichnete.

Mit einem massiven Konjunkturprogramm hat Peking auf die Krise reagiert. So erwartet der Internationale Währungsfonds in diesem Jahr in China sogar 8,1 Prozent Wachstum. Wegen der laufenden Milliardenausgaben kündigte der Premier an, dass der Anteil des Haushaltsdefizit an der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr mit 3,2 Prozent doch wieder über der als kritisch geltenden Marke von drei Prozent liegen wird. Im Vorjahr waren es 3,6 Prozent.

Eine wichtige Neuausrichtung ist das Konzept der „zwei Kreisläufe“, mit der die wirtschaftliche Inlandszirkulation gefördert werden soll. Damit will sich China wegen der Sanktionen der USA und der globalen Krise selbstständiger machen. Im Rahmen des Fünf-Jahres-Plans solle die Strategie verfolgt werden, „die Binnennachfrage auszubauen, die strukturellen Reformen auf der Angebotsseite zu intensivieren und mit innovationsgetriebener Entwicklung und qualitativ hochwertigen Angeboten neue Nachfrage zu generieren“, sagte Li Keqiang.

Innovation bleibe das Herzstück der Modernisierungsoffensive. „Wir werden unsere Wissenschaft und Technologie stärken, um die Entwicklung Chinas strategisch zu unterstützen“, gab Li Keqiang in seinem einstündigen Bericht vor. Auch die Digitalisierung des Landes solle weiter beschleunigt werden. Man werde „schneller daran arbeiten, eine digitale Gesellschaft, eine digitale Regierung und ein gesundes digitales Ökosystem zu entwickeln.“

„Chinas Regierung ist sehr bemüht, Schocks für heimische Firmen durch die globalen Lieferketten zu vermeiden“, sagte der Vorsitzende der europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, im chinesischen Staatsfernsehen zu der neuen Politik. „Gleichzeitig hoffe ich, dass das nicht bedeutet, dass China der Welt den Rücken kehren wird.“

Die Neue Zürcher Zeitung kommentiert:

„Wenn die knapp 3000 Delegierten des Nationalen Volkskongresses in dieser Woche den 14. Fünfjahresplan verabschieden, winken sie ein Papier durch, das weniger akribische Vorgaben macht als vorangegangene Fünfjahrespläne. (...) Unmissverständlich sind die rund 130 Seiten hingegen bei den grundsätzlichen Zielen, die China erreichen will: Stärkung des Binnenkonsums, deutliche Verbesserung der Innovationskraft in allen wichtigen Technologiebereichen, Ausbau der digitalen Wirtschaft und Umweltschutz. Unter dem Strich spiegelt der Plan die Einsicht der Machthaber, dass China sich angesichts der geopolitischen Friktionen und der offenen Opposition, die dem Riesenreich international inzwischen entgegenschlägt, ein Stück weit unabhängiger vom Ausland machen muss. Mehr Autarkie, so lautet das Gebot der Stunde in Peking.“

Hohe Investitionen ins Militär

Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen mit den USA, Indien, Taiwan und im umstrittenen Südchinesischen Meer wird das Land seine Militärausgaben in diesem Jahr um 6,8 Prozent steigern. Damit wachsen die Ausgaben für das Militär wieder schneller als der Gesamthaushalt. Im Vorjahr hatte die Steigerung trotz der Corona-Krise auch schon 6,6 Prozent ausgemacht.

„Wir werden das militärische Training und die Bereitschaft allgemein verstärken sowie Gesamtpläne machen, um auf Sicherheitsrisiken in allen Bereichen und für alle Situationen zu reagieren“, sagte Premier Li Keqiang vor den 3000 Delegierten. „Die strategischen Fähigkeiten des Militärs, die Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen unseres Landes zu schützen, werden ausgebaut.“

Als wichtiger Teil der „großen Erneuerung“ des Landes treibt Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping die Modernisierung der Streitkräfte massiv voran. „Das beinhaltet, ein Führer in der Welt hinsichtlich internationalem Einfluss zu sein und ein erstklassiges Militär zu haben, das Kriege kämpfen und gewinnen kann“, sagte die Expertin Helena Legarda vom China-Institut Merics in Berlin.

Chinas Führung wolle, dass ihre Streitkräfte überall in der Welt eingesetzt werden könnten, wenn es notwendig sei - auch wenn keine globale Präsenz wie bei den USA angestrebt werde. Auch wolle China in der Lage sein, im Wettbewerb mit den USA und anderen Ländern bestehen zu können, sagte Legarda. So sei in den nächsten Jahren ein weiterer Ausbau der Fähigkeiten des chinesischen Militärs zu erwarten.

Wegen der Pandemie hatte die Plenarsitzung im Vorjahr auf Mai verschoben werden müssen. Dass sie wie gewohnt wieder im März stattfindet, demonstriert die Normalisierung in China. Die Abgeordneten in der Große Halle des Volkes sind alle geimpft und trugen Mund- und Nasenschutz, während lediglich die Mitglieder der obersten Führung auf dem Podium ohne Maske auftraten. Das bevölkerungsreichste Land hat das Virus mit Ausgangssperren und Massentest für Millionen sowie Kontaktverfolgung, Quarantäne und strikten Einreisebeschränkungen weitgehend in den Griff bekommen.

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