Die EU und Deutschland wollen ihre Klimaziele unter anderem mit Hilfe von Grünem Wasserstoff erreichen, der durch Strom aus Grünen Energieträgern produziert wird. Folglich gilt der Rohstoff als besonders umweltverträglich. Allerdings sind die Produktionsmöglichkeiten im Westen zu gering, so dass er aus anderen Ländern importiert werden muss. Deswegen hat sich im vergangenen Jahr Russland als möglicher Lieferant angeboten.
Und nun macht das Land gerade einen Schritt, um die Förderung von Grünem Wasserstoff voranzutreiben: So hat die Lukoil-Tochter für Forschung und Entwicklung, RITEK, dafür erste Anstrengungen unternommen. „Wir untersuchen die Gewinnung von Wasserstoff aus den geologischen Schichten“, sagte der stellvertretende Generaldirektor bei RITEK, Viktor Darischtschew, der für die Wissenschaft und Innovation zuständig ist. Dabei werde bei sehr hohen Temperaturen ein Verfahren in Gang gesetzt, bei dem Methan verwendet werde, berichtet das russische Wirtschaftsportal „Ekonomika serwodnjia“.
Damit gehört Russland zu wenigen Ländern weltweit, die bereits solche Untersuchungen begonnen haben. Beispielsweise zählen Australien und Norwegen dazu. Die Wissenschaftler produzieren den Wasserstoff grundsätzlich durch eine besondere chemische Reaktion, die Wasser auf Methan hat. Dieses kann wiederum aus Erdgas oder anderen Kohlenwasserstoffen stammen.
Und für Russland ist RITEK für die Umsetzung der Wasserstoffpläne der Regierung so wichtig, weil sie über immense Kompetenzen verfügt, neue Technologien für die Gewinnung von Energiereserven zu entwickeln und zu testen, die nur schwer zugänglich sind. Deswegen sind die Aussagen des stellvertretenden Generaldirektors Darischtschew von nicht unwichtiger Bedeutung.
Die russischen Wissenschaftler gelten als sehr ambitioniert, um den Markt für Wasserstoff zu entwickeln. Eine große Tradition dafür gibt es zwar nicht, aber immerhin hatte sich die Sowjetunion schon einmal mit dem Thema beschäftigt. So fuhren damals einige Kleinbusse mit einem solchen Antrieb, ohne dass sie flächendeckend eingesetzt worden wären. Darüber hinaus entwickelten die sowjetischen Gelehrten eine Passagiermaschine des berühmten Typs TU-154, die mit Hilfe der Technologie flog.
Jetzt – Jahr 2021 – fahren einige Autos mit Wasserstoff. Die Hersteller für den russischen Markt sind die japanischen und koreanischen Produzenten und einige chinesischen Unternehmen. Die europäischen Autokonzerne haben sich bisher nicht dafür interessiert.
Doch hat sich die russische Regierung höchstpersönlich die Förderung des neuen Energieträgers auf die Fahnen geschrieben. Deswegen hat sie im Juni 2020 in einem gesonderten Strategiepapier einen Fahrplan für die Entwicklung veröffentlicht.
Russland: Im Jahr 2030 Lieferung von 3,5 Millionen Tonnen
In dem Plan steht, dass Russland von 2030 an – also in knapp zehn Jahren – in der Lage sein wird, pro Jahr 3,5 Millionen Tonnen Wasserstoff zu liefern. Das würde einem Anteil am Weltmarkt von 15 Prozent entsprechen. Russland schätzt, dass die Umsätze, die die Hersteller weltweit mit Verkauf des Wasserstoffs erreichen, bis 2035 auf 23,8 Milliarden Euro steigen.
Der strategische Plan der Regierung sieht vor, dass sich die russischen Minister im ersten Quartal zusammensetzen und ein genaueres Konzept ausarbeiten, wie die Produktion von Wasserstoff umgesetzt wird.
Fest steht, dass dies in mehreren Industrieclustern über die Bühne gehen soll, die über das ganze Land verteilt sind. Das Cluster im Osten soll in der Region Sakhalin gegründet werden, das Asien und den Pazifik bedient. Die Einrichtung gilt als Pilotprojekt für das gesamte Vorhaben.
Dann wird Russland im Nordwesten des Landes, in Sankt Petersburg, ein Zentrum einrichten, das an der Ostsee liegt. Zusätzlich wird ein Arktisches Cluster in Yamalo-Nenets in Nordwest-Sibirien eingerichtet.
Und Deutschland könnte für die Russen ein wichtiger Abnehmer des Rohstoffes werden. Das sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier auf einer Webveranstaltung. „Russland kann mit Deutschland bei der Produktion und beim Transport des klimafreundlichen Energieträgers zusammenarbeiten“, erklärte das Regierungsmitglied. „Unser Land ist darauf eingestellt, Investitionen in die Technologie die Priorität einzuräumen“, so Denis Manturow, der russische Industrieminister, auf derselben Veranstaltung.
Hintergrund: Gerade Deutschland setzt auf den Einsatz von Wasserstoff, um seine Klimaziele zu erreichen. Es will langfristig 95 Prozent des Ausstoßes an Kohlendioxid verringern, den es im Jahr 1990 gegeben hat. Bis 2023 sollen zehn Milliarden Euro in die Entwicklung des Grünen Energieträgers fließen.
Dabei sind sieben Milliarden Euro für Vorbereitung des Marktes vorgesehen. Das heißt, diese finanziellen Mittel sind für Rahmenbedingungen und die Stimulierung der Nachfrage vorgesehen. Weitere zwei Milliarden Euro werden für internationale Kooperationen verwendet. Und die restliche Milliarde Euro soll den deutschen Industrieunternehmen helfen, die neue Technologie einzusetzen.
Deutschland gründet Wasserstoff-Rat
Deswegen hat das Land im Juni 2020 sogar einen nationalen Wasserstoff-Rat gegründet, der unter anderem aus Fachleuten besteht und die notwendigen Rahmenbedingungen dafür einleiten soll. Die größte Volkswirtschaft Europas war damit sogar das erste Land in der EU überhaupt, das einen solchen Schritt gemacht hat.
Und als notwendiger Lieferant des Wasserstoffes kommt Russland in Frage, mit dem Deutschland schon immer enge Geschäftsbeziehungen unterhält. „Der Hauptabsatzmarkt für Russland ist Deutschland, das sogar schon eine deutsch-russische Arbeitsgruppe für Energiefragen eingerichtet hat“, berichtet die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Deutschlands GTAI.
Dabei hat die Bundesregierung auch schon einen Transportkanal für den Rohstoff ins Auge gefasst. So könnte die politisch umstrittene Pipeline Nordstream 2, die derzeit durch die Ostsee gebaut wird, einen Teil davon übernehmen. Die GTAI schätzt, dass sieben Prozent der Gesamtvolumina, die aus Russland gekauft werden, über diese Leitung nach Deutschland fließen könnten.
„Für Russland ist es strategisch wichtig, Wasserstoff herzustellen und zu exportieren, der aus kostengünstigem Naturgas stammt“, sagte Florian Willershausen, der deutsche Direktor für Entwicklung beim russischen Finanzkonzern Creon Capital. „Außerdem schützt es sich damit selbst davor, dass sich die Nachfrage nach fossilen Energieträgern einmal verringern könnte“, spielte der Manager darauf an, dass das Land durch die Bekämpfung des Klimawandels auch massiv unter Druck steht.
Denn gerade Russland ist sehr vom Verkauf der klassischen Energieträger abhängig. Wenn die westlichen Industriekunden durch die Umstellung auf grüne Energiequellen kein Öl und Gas mehr kaufen, wird es auch große wirtschaftliche Probleme bekommen.
„Wasserstoff ist hingegen ein Nebenprodukt der Öl-, Gas- und Stahlindustrie, die in Russland sehr gut entwickelt sind“, führte Willershausen weiter aus. „Sie verfügen über die notwendige Infrastruktur sowohl für die Produktion als auch für den Transport in die Märkte in Europa und in Asien“, sagte der Fachmann.