Politik

„Fußballfest auf den Gräbern tausender Arbeitsmigranten“: Fan-Bündnis fordert DFB zum Boykott der WM in Katar auf

In Katar werden ausländische Arbeiter auf den Baustellen zur Fußball-WM verheizt. Nun wird der Druck auf den DFB erhöht - für den Fußballbund heißt es: „Farbe bekennen"
08.03.2021 11:21
Aktualisiert: 08.03.2021 11:21
Lesezeit: 3 min
„Fußballfest auf den Gräbern tausender Arbeitsmigranten“: Fan-Bündnis fordert DFB zum Boykott der WM in Katar auf
Ausländische Arbeiter im Jahr 2013 in Katar. (Foto: dpa) Foto: Str

Die Fan-Organisation «ProFans» hat den Deutschen Fußball-Bund zum Boykott der WM 2022 in Katar aufgefordert. «Wir wissen sehr wohl, dass viele Fußballfreunde den Spielen der deutschen Nationalmannschaft entgegenfiebern. Uns ist ebenso bewusst, dass eine Weltmeisterschaft für die Sportler der Höhepunkt ihrer Laufbahn schlechthin ist. Aber es gibt nichts, was es rechtfertigen könnte, die Menschenrechtsverletzungen in Katar hinzunehmen, ja, gar durch die Teilnahme am Turnier wissentlich, billigend zu unterstützen. Wir fordern den DFB auf, die Teilnahme an der WM in Katar abzusagen», heißt es in einer Mitteilung des Bündnisses vom Montag.

Die britische Zeitung «Guardian» hatte unlängst gemeldet, dass seit der WM-Vergabe im Jahr 2010 in Katar mehr als 6500 Gastarbeiter gestorben seien. Das Blatt berief sich dabei auf Regierungsangaben. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte Katar daraufhin dazu aufgerufen, Todesfälle unter Arbeitsmigranten unabhängig zu untersuchen. Katars Regierung teilte hingegen mit, die Sterberate unter Millionen ausländischer Arbeiter liege in einem zu erwartenden Bereich. Der Zeitungsbericht führe die Öffentlichkeit in die Irre.

Dennoch werden die Stimmen nach einem Boykott lauter. Für ProFans steht fest: «Ein rauschendes Fußballfest auf den Gräbern von Tausenden Arbeitsmigranten – daran teilzuhaben, wäre das Ende von Ethik und Würde.» Der Fußball trage gesellschaftliche und soziale Verantwortung. «Will der DFB noch einen letzten Rest von Glaubwürdigkeit behalten, muss er seine Teilnahme an diesem Turnier absagen, und zwar jetzt!», hieß es in der Mitteilung.

Kafala-System: Moderne Sklaverei in Arabien

Amnesty International zufolge werden einheimische Arbeitgeber bei Verstößen in Katar häufig nicht zur Rechenschaft gezogen, wie es im Bericht vom November 2020 zur Situation in Katar heißt. Dadurch seien Tausende Arbeiter weiter der Gnade skrupelloser Arbeitgeber ausgesetzt, deren Missbräuche straflos blieben.

Amnesty begrüße die Arbeitsmarktreformen grundsätzlich, sagte die Golf-Expertin der Organisation, Regina Spöttl. «Wenn sie richtig umgesetzt würden, dann wären viele problematische Aspekte beseitigt. Bei der Umsetzung hapert es allerdings, sie erfolgt nur halbherzig.» Wenig getan habe sich vor allem beim Hauspersonal.

Das Emirat hatte nach anhaltender internationaler Kritik Reformen beschlossen, die die Lage der Arbeitsmigranten verbessern sollen. So baute Katar das Kafala-System ab. Dieses auch in anderen Ländern der Region verbreitete System bindet ausländische Arbeiter fest an einen einheimischen Bürgen wie einen Arbeitgeber. In Katar können Migranten nun ohne Zustimmung ihres Arbeitgebers ausreisen oder den Job wechseln. Zudem legte das Land einen Mindestlohn fest. Die UN-Arbeitsorganisation ILO sprach von einem «historischen Schritt».

Amnesty führt in dem Bericht allerdings die noch immer bestehenden Missstände auf. Bislang hätten die Reformen ihre Versprechen nicht eingelöst. So lange dies nicht geschehe, bleibe die Realität für die Arbeiter hart.

«Das Kafala-System hat zwar einen anderen Namen bekommen, besteht in seinen Grundfesten aber weiter», kritisiert Spöttl. So müssen Hausangestellte ihre Arbeitgeber 72 Stunden vorab informieren, wenn sie ausreisen wollen, weil sie etwa die Arbeitsbedingungen nicht ertragen. Dadurch hätten Arbeitgeber Zeit, Vergeltung zu üben, klagt Amnesty. Sie könnten Angestellte beschuldigen, sich unerlaubt der Arbeit entzogen oder gestohlen zu haben. Dann liefen die Betroffenen Gefahr, in Haft zu landen. Migranten könnten ihre Aufenthaltsgenehmigung auch nicht allein erneuern. Der Arbeitgeber wiederum könne diese weiterhin widerrufen. Viele Arbeitgeber konfiszierten immer noch die Pässe der Migranten.

Viele Migranten litten weiter darunter, ihre Löhne verspätet oder gar nicht zu erhalten, schreibt Amnesty. Das habe fatale Auswirkungen auf die Betroffenen. So konnte ein Arbeiter die Schulgebühren seines Sohnes nicht mehr bezahlen. Betroffen davon waren Amnesty zufolge in diesem Jahr auch rund 100 Migranten, die auf einer WM-Stadionbaustelle im Einsatz waren. Einige hätten mehrere Monatslöhne noch immer nicht bekommen. Auch der Mindestlohn von 1000 Rial (etwa 230 Euro) sei zu niedrig, monierte Spöttl. «Der Mindestlohn ist an allen Ecken und Enden unzureichend.»

Hausangestellte – geschlagen, vergewaltigt, vergessen

Hier sieht Amnesty den größten Handlungsbedarf. «Bei den Hausangestellten hat sich wenig getan», sagte Spöttl. «Gegen sie werden noch immer eklatante Verbrechen begangen. Sie müssen bis zu 18 Stunden am Tag arbeiten und bekommen keine freien Tage. Sie werden misshandelt, beschimpft und Opfer sexualisierter Gewalt.» Arbeitgeber würden für Verstöße praktisch niemals zur Rechenschaft gezogen.

Insgesamt sieht Amnesty aber positive Auswirkungen der Fußball-WM in Katar, womit auch der Fußball-Weltverband FIFA die Vergabe des Turniers in den reichen Golf-Staat gerechtfertigt hatte. «Ohne die WM hätte sich wahrscheinlich nichts geändert», sagt Spöttl. «Das Land ist auf einem guten Weg, auch wenn noch vieles im Argen liegt.»

In Katar leben laut Amnesty International rund zwei Millionen Arbeitsmigranten. Sie kommen vor allem aus armen Ländern wie Bangladesch, Nepal oder Indien. Katar hatte die Kritik an den Arbeitsbedingungen immer wieder zurückgewiesen und auf Reformen im Vorfeld der WM verwiesen. Das Turnier beginnt am 21. November 2022.

Saudi-Arabien sperrt hunderte Äthiopier ein

In nahezu allen Golfmonarchien werden ausländische Arbeitskräfte wie Tiere behandelt. So wurden Mitte Dezember in einem Deportationszentrum in Saudi-Arabien Human Rights Watch (HRW) zufolge Hunderte Arbeitsmigranten unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten. Aufseher hätten einige von ihnen gefoltert und geschlagen, teilte HRW mit. Die vorwiegend aus Äthiopien stammenden Arbeiter würden in dem Zentrum in Riad in extrem überfüllten Räumen festgehalten. Zwischen Oktober und November sollen mindestens drei Menschen in Obhut der saudischen Behörden gestorben sein.

Mehr als ein Drittel der 34 Millionen Einwohner des Königreichs sind Migranten. Darunter sind laut HRW schätzungsweise zehn Millionen Arbeitsmigranten, die etwa Handarbeit und Bürojobs verrichten. In Saudi-Arabien gilt das Kafala-System, das ausländische Arbeiter fest an einen einheimischen Bürgen wie einen Arbeitgeber bindet. Kritikern zufolge öffnet dieses System auch Missbrauch Tür und Tor.

Die Mehrheit der Migranten im Deportationszentrum in Riad wurden laut HRW festgenommen, weil sie keine gültige Aufenthaltsgenehmigung vorweisen konnten. Sie fürchten vor allem, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, weil sie weder Abstand halten noch ein Mindestmaß an Hygiene einhalten können. In den Räumen gebe es keine Duschen oder Seife, Hunderte teilten sich dort zwei bis fünf Toiletten. Wegen des Platzmangels schlafen die Menschen auf dem Fußboden in Etappen. All das geschieht in einem Land, dass aufgrund des Verkaufs von Rohöl über riesige Finanzreserven verfügt.

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