Deutschland

Wagenknecht: Großkonzerne sparen wegen Kurzarbeit Milliarden, doch Bürgern droht Milliarden-Steuernachzahlung

Die Links-Politikerin Sahra Wagenknecht sagt, dass Großkonzerne durch Kurzarbeit nicht nur Milliarden einsparen, sondern auch üppige Dividenden auszahlen. Währenddessen sollen Beschäftige dem Staat 1,6 Milliarden Euro an Steuern zurückzahlen, obwohl das Kurzarbeitergeld kaum zum Leben reicht.
13.03.2021 15:17
Aktualisiert: 13.03.2021 15:17
Lesezeit: 2 min

Die Links-Politikerin Sahra Wagenknecht teilt über Twitter mit: „Großkonzerne sparen Milliarden durch #Kurzarbeit und schütten üppige #Dividenden aus, aber Beschäftigte sollen dem Staat 1,6 Mrd.€ an #Steuern zurückzahlen, obwohl sie mit dem #Kurzarbeitergeld kaum über die Runden kamen? Das ist ungerecht und pervers.“

Für viele Unternehmen und Millionen Arbeitnehmer ist Kurzarbeit in der Pandemie der rettende Anker. Doch bei der Steuererklärung im Jahr danach droht manchen eine böse Überraschung: Denn obwohl das Kurzarbeitergeld selbst steuerfrei ist, könnten Nachzahlungen auf die Beschäftigten zukommen. Wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag mitteilte, rechnet der Fiskus für das Steuerjahr 2020 mit rund 1,6 Milliarden Euro durch den sogenannten Progressionsvorbehalt beim Kurzarbeitergeld.

Dieser Vorbehalt besagt folgendes: Bei den Steuern soll das gesamte Einkommen eines Bürgers berücksichtigt werden. Deshalb werden zur Ermittlung des Steuersatzes Kurzarbeitergeld und andere staatliche Leistungen zum gewöhnlichen Einkommen addiert. Das ursprünglich steuerfreie Kurzarbeitergeld kann also dafür sorgen, dass der persönliche Steuersatz steigt, mit dem das restliche Einkommen versteuert wird.

Erst bei der Einkommensteuererklärung wird abschließend geprüft, wie viel Steuern ein Arbeitnehmer für seinen Lohn bezahlen muss. Das wird abgeglichen damit, wie viel Steuern er bereits durch den Lohnsteuerabzug beglichen hat. Wurde weniger abgezogen als gefordert, kann es zu einer Steuer-Nachforderung kommen.

In welchen Fällen dies bei Beschäftigten in Kurzarbeit passiert, ist laut Bundesfinanzministerium sehr schwierig pauschal zu sagen. Das könne etwa der Fall sein, wenn man höhere Nebeneinkünfte oder einen Ehepartner mit gutem Einkommen habe. Es hänge aber auch von Zinseinnahmen, Umfang und Länge der Kurzarbeit sowie Höhe des Kurzarbeitergeldes ab. Genauso sind demnach aber auch Rückerstattungen möglich, etwa wenn der Arbeitgeber trotz Kurzarbeit noch die gewohnte, dann zu hohe, Lohnsteuer abgezogen hat. „Wird fast ausschließlich steuerfreies, dem Progressionsvorbehalt unterliegendes Kurzarbeitergeld erhalten, ergibt sich keine festzusetzende Steuer“, erklärte das Ministerium.

Wissenschaftler der Universität Stanford haben errechnet, dass einem alleinstehenden Arbeitnehmer mit 4.000 Euro Bruttolohn und halber Kurzarbeit schon nach zwei Monaten Kurzarbeit Nachzahlungen drohen. Bei voller Kurzarbeit dagegen gebe es Geld vom Staat zurück.

Die Linken-Abgeordnete Sabine Zimmermann geht davon aus, dass Kurzarbeitenden Steuernachforderungen in Höhe von mehreren hundert Euro pro Person drohen. Der Progressionsvorbehalt gilt auch für das Arbeitslosengeld. Zu den damit verbundenen Steuermehreinnahmen konnte die Bundesregierung jedoch keine Auskunft geben.

Zimmermann kritisierte: „Wer Kurzarbeitergeld bezieht, hat schon dadurch erhebliche Einkommenseinbußen erlitten.“ Dass nun auch noch Steuernachforderungen drohen, sei niemandem zu erklären, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Sie forderte, den Progressionsvorbehalt beim Kurzarbeitergeld abzuschaffen.

Im vergangenen Jahr war bereits monatelang darüber diskutiert worden, ob die Regelung zumindest für 2020 ausgesetzt werden soll. Dass dies nicht geschah, wurde in der Koalition mit der Gerechtigkeit anderen Arbeitnehmern gegenüber begründet.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte die Bundesregierung zu einer Steuerbremse auf. „Wer mit dem Kurzarbeitergeld erhebliche Einkommenseinbußen hinzunehmen hat, soll nicht auch noch mit Steuernachzahlungen zu kämpfen haben“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. „Die Koalition muss jetzt endlich handeln, um weitere Härten für die Beschäftigten in Kurzarbeit zu verhindern.“

Gerade für Beschäftigte im Niedriglohnbereich, die keine Aufstockung des Kurzarbeitergelds durch den Arbeitgeber bekommen, drohen laut DGB untragbare Mehrbelastungen. Das gelte beispielsweise für Teile der Gastronomie, für den Einzelhandel, die Hotellerie aber auch andere eher mittelständisch geprägte Branchen.

Allein zwischen dem 1. und dem 24. Februar gingen bei der Bundesagentur Kurzarbeitsanzeigen für 500.000 Personen ein. Im Dezember wurde für 2,39 Millionen Menschen Kurzarbeitergeld gezahlt. Der Höchststand war im April vergangenen Jahres mit knapp sechs Millionen Menschen erreicht worden.

Kurzarbeit dürfte auch an diesem Freitag bei einem gemeinsamen Auftritt von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und dem Vorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, mit im Zentrum stehen. Beide wollen eine arbeitsmarktpolitische Bilanz zu „Ein Jahr Corona“ ziehen. Nach Einschätzung Scheeles sichert die Kurzarbeit in großem Umfang Beschäftigung und verhindert Arbeitslosigkeit.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik DWN-Jahresrückblick 2025: Schulden, Krieg, KI – und Europas Zerreißprobe
24.12.2025

Schulden in Billionenhöhe, neue Kriegsängste, technologische Abhängigkeiten: 2025 hat Gewissheiten zerlegt, die lange als stabil galten....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Globale Mindeststeuer im Fokus: EU stellt US-Sonderregeln infrage
24.12.2025

Die globale Mindestbesteuerung gerät erneut unter Druck, nachdem die USA weitreichende Ausnahmen durchgesetzt haben. Droht Europa nun ein...

DWN
Politik
Politik Putin braucht keinen Weltkrieg: Darum ist eine globale Eskalation nicht Russlands Ziel
24.12.2025

Russlands Kriegspolitik wird häufig als Vorstufe einer globalen Eskalation interpretiert, doch historische Vergleiche zeichnen ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Kryptobörsen im Vergleich: Darauf sollten Anleger bei Auswahl und Sicherheit achten
24.12.2025

Kryptowährungen sind längst im Finanzalltag angekommen, doch der Einstieg beginnt mit der Wahl der passenden Handelsplattform. Worauf...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Vierter Gewinntag in Folge: S&P 500 erreicht neues Rekordhoch
23.12.2025

Die Wall Street verzeichnete den vierten Gewinntag in Folge, in dessen Verlauf der S&P 500 ein neues Allzeithoch markierte.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Mindestlohn: Viele Deutsche halten 13,90 Euro für zu niedrig
23.12.2025

13,90 Euro mehr Wertschätzung für Arbeit? Für viele Beschäftigte klingt das eher nach einem politischen Kompromiss als nach einem...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kakao-Krise eskaliert: Warum Schokolade neu erfunden werden muss
23.12.2025

Schokolade wird teurer, kleiner und zunehmend anders zusammengesetzt. Hinter den Kulissen zwingt die Kakao-Krise Hersteller, Forscher und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen ZF verkauft Fahrerassistenzgeschäft: 3.750 Mitarbeiter wechseln
23.12.2025

ZF zieht die Reißleine. Mit dem Verkauf seines Fahrerassistenzgeschäfts an die Samsung-Tochter Harman trennt sich der angeschlagene...