Politik

Kaiser Wilhelm II. oder Bismarck? Deutschlands Außenpolitik gefangen zwischen den USA und Russland

Der Disput zwischen den USA und Russland wird sich vor allem auf die geopolitische Verortung Deutschlands auswirken. Es stellt sich die Frage, ob sich Deutschland außenpolitisch an Otto von Bismarck oder an Kaiser Wilhelm II. orientieren soll.
18.03.2021 17:35
Aktualisiert: 18.03.2021 17:35
Lesezeit: 2 min
Kaiser Wilhelm II. oder Bismarck? Deutschlands Außenpolitik gefangen zwischen den USA und Russland
Das Gemälde "'Otto von Bismarck" von Anton von Werner aus dem Jahr 1880 liegt in den Räumen des Historischen Museums in Saarbrücken und wird restauriert. (Foto: dpa)

Zwischen den USA und Russland tobt aktuell ein offener Disput. Nachdem Joe Biden gesagt hatte, dass er den russischen Präsidenten Wladimir Putin für einen „Killer“ hält, konterte Putin mit den Worten „Bleiben Sie gesund!“ (HIER und HIER).

Was wie ein Streit zwischen zwei Streithähnen ausschaut, hat jedoch einen stark geopolitischen Hintergrund, der vor allem Deutschland vor eine schwierige Entscheidung stellt: Will Deutschland künftig mit Russland oder den USA paktieren?

Doch wichtiger als der Wille sind die realpolitischen Vorgaben. Deutschland pflegt traditionell solide wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen zu Russland, ohne mit dem Land in einem militärischen oder politischen Pakt zu stehen. Während Russland Deutschland mit dem wirtschaftlichen Lebenselixier Erdgas beliefert, benötigt Russland vor allem deutsche Technologien, um das Potenzial seiner Infrastruktur voll ausschöpfen zu können. Zudem darf nicht vergessen werden, dass ein signifikanter Teil der deutschen Bevölkerung in einigen Bundesländern Russland mehr vertraut als jedem anderen Land. In einigen Gebieten bestehen historische und sogar kulturelle Verbindungen.

Die USA sind hingegen ein militärischer und politischer Bündnispartner für Deutschland. Beide Länder führen enge militärische Beziehungen im Rahmen der NATO, wobei Berlin und Washington D.C. bei der Frage um die Verteidigungsausgaben zerstritten sind – zumindest noch. Auf der politisch-diplomatischen Ebene ist das Auswärtige Amt darauf bedacht, einen Konsens mit dem US-Außenministerium zu schaffen. Da die USA bei der militärischen Verteidigung Deutschlands eine wichtige Rolle zu spielen scheinen, setzen deutsche Top-Diplomaten immer wieder auf eine Politik der Verständigung. Nordamerika ist einer der wichtigsten Absatzmärkte der deutschen Industrie. Auf der anderen Seite zieht es US-Investoren immer wieder nach Deutschland, da hierzulande nicht nur eine Planungssicherheit vorherrscht, sondern deutsche Unternehmen mit Spitzen-Know-How brillieren können. In einigen Bundesländern tendiert ein signifikanter Teil der Bevölkerung in Richtung der USA. Die Sympathien für das Land sind in einigen Regionen grundsätzlich vorhanden, doch in den vergangenen Jahren gab es auch einen Vertrauensverlust. Dieser hängt nicht nur mit der Trump-Ära, sondern vor allem mit der NSA-Affäre und den offen ausgesprochenen wirtschaftlichen und politischen Forderungen der USA gegenüber Deutschland zusammen.

Deutschland befindet sich in einer schwierigen Ausgangslage, weil es aus geopolitischen Gründen nicht nur gute Beziehungen zu Russland und den USA führen muss, sondern gleichzeitig auch als Konkurrent zu beiden Ländern auftreten könnte, wenn es sich von der energiepolitischen Abhängigkeit lösen würde. Zum aktuellen Zeitpunkt ist dieser Schritt jedoch unwahrscheinlich.

Deutsche Top-Diplomaten müssen einen Balanceakt zwischen den USA und Russland wagen, wenn sie verhindern wollen, dass sich die außenpolitischen Risiken auf innenpolitische Ereignisse auswirken. Das Projekt Nord Stream 2 ist ein exemplarisches Beispiel dafür, in welcher brisanten Lage sich Deutschland befindet. An den innen- und außenpolitischen Reaktionen kann auch beobachtet werden, wer zum russischen und wer zum amerikanischen Lager tendiert.

Schlussendlich wird Deutschland auf verschiedenen Ebenen sowohl mit Russland als auch mit den USA kooperieren müssen. Das ist kein Wunschdenken, sondern eine Realität, die den Deutschen durch wirtschaftliche, militärische und politische Faktoren diktiert wird.

Deutschland braucht, so scheint es, mehr „Bismarksche Geschicke“, doch im Notfall auch eine Brise „Wilhelminisches Draufgängertum“.

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