Weltwirtschaft

Brexit-Zwischenstand: Der britische Mittelstand ist der große Verlierer

Lesezeit: 3 min
01.04.2021 15:00
Eine Studie der LBBW untersucht, wer am meisten infolge des Austritts leidet. Dabei zeichnen sich erste Tendenzen ab.

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Seit Jahresbeginn ist das Brexit-Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich in Kraft. Eine erste Zwischenbilanz des LBBW Research zeigt: Die deutsche Wirtschaft hat sich auf den zunehmenden Bedeutungsverlust Großbritanniens gut vorbereitet.

Unter dem Brexit leidet vor allem die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs, auch wenn die Corona-Pandemie die Brexit-Auswirkungen derzeit noch überdeckt, urteilen die Autoren Frank Biller, Per-Ola Hellgren, Stefan Maichl und Katja Müller in ihrer Studie „Brexit – the deal is done, und jetzt?“: Im Januar 2021 schrumpfte das britische Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vormonat um 3 Prozent, die Exporte in die EU brachen im ersten Monat dieses Jahres sogar um 40,7 Prozent ein. Nach aktuellen Berechnungen der EU-Kommission führt der Austritt der Briten beim Bruttoinlandsprodukt der EU bis Ende 2022 zu einem Minus von gerade einmal 0,5 Prozent. Im Vereinigten Königreich sinkt die Wirtschaftskraft dagegen um 2,25 Prozent.

Das Vereinigte Königreich exportierte 2019 noch Waren im Wert von 170 Milliarden Pfund (GBP) in die Europäische Union. Das sind 46 Prozent der UK Exporte. Umgekehrt bezog das Vereinigte Königreich 53 Prozent seiner Importe aus der EU. Das sind Waren im Wert von 270 Milliarden Pfund. Der Austritt der Briten aus der EU sorgt nun für neue Zollverfahren im Handel und damit für einen gewaltigen Bremsklotz. Das macht den Warenhandel komplizierter – in erster Linie für britische Exporteure, urteilten die Autoren der Studie. Britische Exporteure müssen beim Export beispielsweise nachweisen, dass eingeführte Produkte EU-Standards erfüllen und tatsächlich aus dem Vereinigten Königreich stammen. Das bedeutet einen beträchtlichen Mehraufwand.

UK verliert für deutsche Wirtschaft an Bedeutung

Bereits seit dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 haben viele europäische Unternehmen ihre Import-Export-Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich heruntergefahren. Auch für Deutschland verliert das Vereinigte Königreich seit dem Brexit als Handelspartner an Bedeutung. „Gemessen am deutschen Gesamtexport machten Lieferungen nach Großbritannien 2019 knapp 6 Prozent aus. Die Unternehmen aus Baden-Württemberg exportieren sogar noch weniger in das ehemalige EU-Mitgliedsland. Hier sind es lediglich 5,1 Prozent. Zum Vergleich: Nach Frankreich exportiert die deutsche Wirtschaft 2020 7,6 Prozent ihrer Erzeugnisse“, sagt Analystin Katja Müller. Umgekehrt importierte Deutschland 2020 gerade einmal 3,4 Prozent seiner Waren von den britischen Nachbarn. „Alles in allem dürften die Auswirkungen des Brexits auf den deutschen und den baden-württembergischen

Arbeitsmarkt überschaubar bleiben. Die größten Risiken für die Exportunternehmen in Baden-Württemberg sind zusätzliche Zollformalitäten und die Rechtsunsicherheit“, erwartet Analyst Guido Zimmermann.

Automobilindustrie und Maschinenbau sind vorbereitet

Die deutschen Unternehmen sind je nach Branche unterschiedlich stark vom Brexit betroffen. „Für viele exportorientierte Unternehmen in Europa dürfte der mit dem Freihandelsabkommen einhergehende Mehraufwand verkraftbar sein, zumal besonders die deutsche Industrie über Drittland-Erfahrung und die nötige Infrastruktur verfügt“, empfehlen die Autoren. Um die volks- und betriebswirtschaftlichen Schäden möglichst gering zu halten, wären aber weniger bürokratische Zollformalitäten und eine enge Abstimmung von EU und UK bei der Weiterentwicklung der Regulatorik äußerst hilfreich.

Die Automobilindustrie hat sich bereits seit 2016 kontinuierlich auf erschwerte Handels- und Produktionsbedingungen und eine geringere Bedeutung des britischen Marktes eingestellt, urteilt Analyst Frank Biller. Beim Stuttgarter Automobilhersteller Daimler beispielsweise ging der Großbritannien-Anteil am Absatz bereits von 8,5 Prozent im Jahr 2016 auf 5,8 Prozent in 2020 zurück.

Ein Fünftel aller importierten Maschinen sind Made in Germany

Für den Maschinenbau sei es grundsätzlich positiv, dass eine Vereinbarung erzielt wurde. Mit dem Freihandelsabkommen entstünden für den Handel mit Maschinen keine neuen Zölle zwischen der EU und Großbritannien, erklärt Stefan Maichl. Für das Vereinigte Königreich ist Deutschland der wichtigste Maschinenlieferant. 21 Prozent aller nach Großbritannien eingeführten Maschinen stammen aus der Bundesrepublik. Umgekehrt bezieht Deutschland den Großteil seiner importierten Maschinen aus China – Großbritannien spielt hier eine untergeordnete Rolle.

Die Logistikbranche wird durch die Isolation Großbritanniens vergleichsweise wenig belastet. Auch innerhalb der Transportbranche sind es aber die britischen Unternehmen, die ungleich stärker betroffen sind, urteilt Analyst Per-Ola Hellgren. Vor allem kleine Unternehmen litten unter den neuen bürokratischen Hürden, während Großunternehmen wie DHL, Kühne & Nagel oder Schenker vergleichsweise gut damit umgingen. Eine gute Nachricht aus der Luftfracht trübt das Bild für die Gesamtwirtschaft: Angesichts des gesunkenen Angebots haben die Logistiker ihre Luftfrachtraten als Folge des Brexit angehoben.

Britische Umfrage: Ein Viertel der kleinen Exporteure hat Geschäfte gestoppt

Die andauernden Handelsprobleme nach dem Brexit machen kleinen Exporteuren in Großbritannien weiterhin zu schaffen. Einer Umfrage zufolge hat fast jedes vierte Unternehmen (23 Prozent) seine Ausfuhren in die Europäische Union gestoppt, wie der Branchenverband Federation of Small Businesses (FSB) am Montag mitteilte. Vier Prozent hätten ihr EU-Geschäft bereits vollständig aufgegeben, zehn Prozent würden dies erwägen. Einige Exporteure planten, eine Präsenz in einem EU-Staat aufzubauen oder hätten dies bereits getan. Jedes zehnte Unternehmen prüfe den Aufbau von Lagerkapazitäten außerhalb Großbritanniens.

Drei Monate nach dem endgültigen Brexit hätten Exporteure weiterhin Probleme mit „unglaublich anspruchsvollem, ungewohntem Papierkram“, sagte FSB-Chef Mike Cherry. „Was Kinderkrankheiten sein sollten, droht nun, zu dauerhaften, systemischen Problemen zu werden.“ Größere Unternehmen hätten die notwendigen Ressourcen. Aber kleinere Händler müssten überlegen, ob Exporte den Aufwand wert sind.

Großbritannien hatte zum 1. Januar auch den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Trotz eines Handelsvertrages sorgen seitdem Zölle und die Aufbereitung erforderlicher Dokumente für teils lange Verzögerungen. Bei gut einem Drittel (36 Prozent) der Im- oder Exporteure habe der Verzug mehr als zwei Wochen gedauert, ergab die Umfrage.

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Die vollständige LBBW-Studie finden Sie hier.


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