Finanzen

Target2 macht's möglich: Deutsche Netto-Auslandsvermögen in Gefahr

Lesezeit: 3 min
10.04.2021 18:20  Aktualisiert: 10.04.2021 18:20
Die Target-Forderungen Deutschlands innerhalb der EU haben längst astronomische Höhen erreicht. Ökonomen hatten zuvor inständig davor gewarnt, dass bei Forderungen in Höhe von einer Billion Euro mehr als 50 Prozent des deutschen Nettoauslandsvermögens im Risiko stehen würde. Mittlerweile liegen die Forderungen bei 1,082 Billionen Euro.
Target2 macht's möglich: Deutsche Netto-Auslandsvermögen in Gefahr
Die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, und der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, unterhalten sich am 28.05.2015 vor dem sogenannten Familienfoto im Residenzschloss in Dresden (Sachsen). (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Billionen-Forderungen der Bundesbank im Zahlungssystem der Euro-Notenbanken haben zum Ende des erstens Quartals zugenommen. Diese stiegen im März um 38 Milliarden Euro auf 1,082 Billionen Euro. Das geht aus der Webseite der Bundesbank hervor. In der Euro-Zone wird der gesamte grenzüberschreitende Zahlungsverkehr über das elektronische Verrechnungssystem „Target 2“ abgewickelt. Die Salden zeigen die Verbindlichkeiten und Forderungen an, die bei den nationalen Notenbanken dabei entstehen. Die Bundesbank ist der größte Gläubiger in dem System. Die Notenbanken Spaniens und Italiens wiesen zuletzt die höchsten Verbindlichkeiten auf.

Die Bundesbank führt auf ihrer Webseite aus: „Isoliert betrachtet führt die beschriebene Transaktion am Ende des Geschäftstages zu einer Verbindlichkeit der Banque de France und zu einer Forderung der Bundesbank gegenüber der EZB. Diese Forderungen oder Verbindlichkeiten gegenüber der EZB werden allgemein als Target2-Salden bezeichnet.“

Volkswirte beobachten die Daten genau, denn steigende Verbindlichkeiten können ein Indiz für Kapitalabflüsse aus einem Land sein. Dies war beispielsweise während der Euro-Schuldenkrise der Fall. In Deutschland gibt es schon seit Jahren eine Debatte unter Experten über die Risiken der hohen Bundesbank-Forderungen. Manche Ökonomen befürchten, dass die Bundesbank auf ihren Forderungen sitzenbleiben könnte, sollte ein Land aus dem Euro ausscheren oder die Währungsgemeinschaft gar auseinanderbrechen. Die Europäische Zentralbank (EZB) führt die zuletzt hohen Target-2-Bilanzen vor allem auf die umfangreichen Anleihekäufe der Euro-Notenbanken zurück.

Sogar „Tagesschau.de“ gesteht ein: „Solange die Währungsunion besteht, würden diese Target-Salden (…) auch keine Probleme bereiten. Mit einem Risiko wären Target2-Salden der Bundesbank nur dann verbunden, wenn ein Land mit negativem Saldo – zum Beispiel Italien - die Eurozone verlässt. In diesem sehr hypothetischen Fall, bestünde die Forderung der EZB gegenüber der betreffenden Zentralbank Banca d’Italia fort und die anderen Notenbanken müssten anteilig für den verbleibenden Verlust einstehen. Denn Gewinne und Verluste werden jährlich im Rahmen der Bilanz des Eurosystems zusammengefasst und anschließend auf die einzelnen Notenbanken entsprechend deren Anteil am Eigenkapital der EZB verteilt. Auf die Bundesbank entfallen rund 26 Prozent der Gewinne, beziehungsweise Verluste, des Eurosystems. Das heißt für diesen Anteil müssten die deutschen Steuerzahler dann haften.“

Die Ökonomen Clemens Fuest und Hans-Werner Sinn hatten zuvor die Target-Forderungen der Deutschen Bundesbank als Vermögensposition eingestuft. Sie warnten im Jahr 2018 davor, dass bei einem kumulierten Wert von fast 1.000 Milliarden Euro im Jahr 2018 mehr als 50 Prozent des deutschen Nettoauslandsvermögens im Risiko stehen würde. Dieses Risiko betreffe nicht nur die Möglichkeit, dass ein Land aus der Europäischen Währungsunion (EWU) austrete und seine Schulden nicht bezahle, sondern könne sich auch ohne Austritt aus der EWU realisieren. „Diese Warnungen beruhen auf einer ungenauen Analyse der Rechtsnormen und der betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge“, berichtet der „Wirtschaftsdienst“. Dies geht aus dem Papier „Target-Risiken ohne Euro-Austritte“ von Fuest und Sinn hervor.

Interessant ist: Genau dieses Szenario ist längst eingetreten. Somit müsste dieser Argumentation zufolge 50 Prozent des deutschen Nettoauslandsvermögens im Risiko stehen.

Sinn führt in dem Artikel „irreführende Verharmlosung“ aus, dass auch eine große Gefahr für Deutschland bestehen würde, wenn Spanien und Italien in der EU bleiben. Er äußert heftige Kritik an der deutschen Finanzpolitik: „Die Risiken dieser Politik für Deutschland sind erheblich. Sie gibt es sogar, wenn alle Länder im Euroverbund bleiben und die einzelnen Zentralbanken (wie es bei ELA-, ANFA und PSPP-Krediten vorgesehen ist) selbst haften sollen. Es lässt sich zeigen, dass im Falle von Target-Schulden diese Selbsthaftung bei einer Kreditgeldschöpfung im normalen, proportionalen Umfang möglich ist, weil das Land dann so viele Zinsen in den gemeinsamen Topf geben muss, wies es zurück erhält. Wenn es jedoch so viel Kreditgeld in Umlauf gebracht hat, dass dadurch Target-Schulden entstehen konnten, die das (meist nur sehr geringe) Eigenkapital überschreiten, dann kann eine Notenbank im Innenverhältnis des Eurosystems zahlungsunfähig werden.“

Austritte aus der EU würden die mögliche Katastrophe nur noch verschärfen. Sinn wörtlich: „Gefahren drohen aber insbesondere, wenn einzelne oder alle Länder das Eurosystem verlassen. Sollte das Eurosystem insgesamt kollabieren, sitzt der deutsche Teil des Währungsgebietes auf einem Riesenhaufen Zentralbankgeld, der für ihn allein viel zu groß ist und gewaltige Inflationsgefahren birgt. Die Bundesbank müsste dann einen Währungsschnitt machen und/oder das Geld wieder einsammeln und verbrennen, zum Beispiel indem sie Staatspapiere verkauft, die sie vorher vom deutschen Fiskus geschenkt bekommt. Dieses Szenarium ist der Drohpunkt, mit Hilfe dessen Deutschland in den nächsten Jahren in eine Transferunion gedrängt werden könnte. Die Verluste werden sich dann unmittelbar im Staatsbudget zeigen.“

Angesichts dieser Horror-Szenarien macht es durchaus Sinn, dass Mario Draghi in Italien als Premier installiert wurde. Er fungiert offenbar als verlängerter Arm der EZB, damit das finanzielle Kartenhaus nicht in sich zusammenfällt.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Eine Welt ohne Europa?
04.05.2024

Der Krieg in der Ukraine und die Spannungen im Nahen Osten gefährden die Zukunftsfähigkeit der EU. Nun steht sie an einem Scheideweg:...

DWN
Finanzen
Finanzen Platzt die ETF-Blase – was dafür, was dagegen spricht
04.05.2024

Kaum eine Investmentform konnte in den zurückliegenden Jahren die Gunst der Anleger derart erlangen wie dies bei Exchange Traded Funds,...

DWN
Immobilien
Immobilien Streikwelle auf Baustellen droht: Gewerkschaft kündigt Massenstreiks an
04.05.2024

Die Bauindustrie steht vor Massenstreiks: Gewerkschaft kündigt flächendeckende Arbeitsniederlegungen mit rund 930.000 Beschäftigten an.

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Chinas Einfluss in Südostasien: Herausforderung für deutsche Firmen
04.05.2024

Deutsche Unternehmen suchen verstärkt nach Alternativen zum chinesischen Markt und richten ihr Augenmerk auf die aufstrebenden...

DWN
Technologie
Technologie CO2-Speicherung: Vom Nischenthema zum Wachstumsmarkt
04.05.2024

Anreize durch die Politik, eine neue Infrastruktur und sinkende Kosten: CO2-Speicherung entwickelt sich zusehends vom regionalen...

DWN
Politik
Politik Wahljahr-Turbulenzen: Biden im Kreuzfeuer der Gaza-Proteste
04.05.2024

Seit Monaten sind bei fast jedem öffentlichen Auftritt von Präsident Joe Biden propalästinensische Demonstrationen zu sehen, die sich im...

DWN
Politik
Politik Mindestlohn: Neues Streitthema köchelt seit dem Tag der Arbeit
04.05.2024

Im Oktober 2022 wurde das gesetzliche Lohn-Minimum auf zwölf Euro die Stunde erhöht. Seit Jahresanfang liegt es bei 12,41 Euro, die von...

DWN
Technologie
Technologie Deutsches Start-up startet erfolgreich Rakete
04.05.2024

Ein deutsches Start-up hat eine Rakete von zwölf Metern Länge entwickelt, die kürzlich in Australien getestet wurde. Seit Jahrzehnten...