Technologie

Wie dick ein Oberschenkel sein muss: Algorithmen decken letzte Geheimnisse des Sports auf

Lesezeit: 4 min
24.05.2021 12:19
Können Statistiken und Daten lügen? Nein, sagen Sport-Wissenschaftler und viele Vertreter der jungen Trainer-Generation. Tatsache ist: Algorithmen sorgen dafür, dass viele Sportarten sich verändern – teilweise massiv.
Wie dick ein Oberschenkel sein muss: Algorithmen decken letzte Geheimnisse des Sports auf
Die Ukrainerin Elina Switolina in der 3. Runde von Wimbledon im Spiel gegen die Griechin Maria Sakkari. (Foto:dpa)

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Zwei Punkte gibt es beim Basketball für einen erfolgreichen Wurf. Es sei denn, man wirft von außerhalb des großen Halbkreises, der sich rund um den Korb befindet: Dann gibt es für einen erfolgreichen Versuch drei Punkte – schließlich ist der Schütze weiter von seinem Ziel entfernt, und für diesen erhöhten Schwierigkeitsgrad gibt es einen zusätzlichen Zähler.

So weit, so einleuchtend. Doch vor einiger Zeit ermittelten Statistiker mit Hilfe von Computern, die mit der Fähigkeit zu „Maschinellem Lernen“ ausgestattet waren, dass Dreier-Versuche lediglich zu rund einem Drittel weniger erfolgreich sind als Zweier-Würfe, und nicht zu 50 Prozent oder noch weniger. Die auf dieser Erkenntnis basierende Rechnung ist simpel und führt zu einem eindeutigen Ergebnis: Dreier lohnen sich mehr. Und so hat sich der Basketball massiv verändert – statt den Ball möglichst nahe an den Korb zu bringen, um einen sicheren Zweier zu werfen, wird jetzt vermehrt versucht, von außerhalb des Halbkreises aus günstiger Position zum Dreier-Abschluss zu kommen. Ein völlig anderes Spiel ist Basketball dadurch nicht geworden – aber die Taktik hat sich doch erheblich verändert, genau wie die Anforderungen an die Spieler.

Wer entscheidet: Trainer oder Algorithmus?

Auch im Fußball lassen sich mit Hilfe der innovativen Technologie neue Erkenntnisse gewinnen. Diese ist besonders signifikant: Die überwiegende Zahl aller Tore, nämlich 80 Prozent, fallen aus einem klar abgegrenzten, vergleichsweise kleinen Bereich des Spielfelds. Nämlich den, der sich ergibt, wenn man die kurzen Seiten des Fünfmeterraums imaginär bis an den Sechzehner verlängert. Mit anderen Worten: Versuche von außerhalb des Strafraums (und selbst solche aus dem Strafraum, bei denen der Winkel relativ spitz ist), lohnen sich tendenziell nicht, stellen in der Mehrheit nur überflüssige Ballverluste dar.

Und weiter: Rechtsfüßer sollten beim Elfmeter den Ball auf die (von ihnen aus gesehene) linke Seite des Tores schießen, Linksfüßer dagegen auf die rechte. Und der wunderschöne Heber von Joshua Kimmich, der Bayern München im Mai 2020 zum 1:0-Erfolg gegen Borussia Dortmund und damit zur Meisterschaft verhalf, hatte gerade mal eine sechsprozentige Chance, tatsächlich im Tor zu landen.

Wer sich jetzt fragt, ob in Zukunft Statistiker, Mathematiker und IT-Fachleute den Ausgang eines jeden Fußballspiels berechnen, womöglich sogar entscheiden können: Nein, das ist nicht der Fall. Die wissenschaftlichen Experten selbst haben mit ihren Berechnungen dafür gesorgt, dass auch in Zukunft die Trainer noch ein Wörtchen mitzureden haben und dass der Kick mit dem runden Leder spannend bleibt. Denn laut einer von der Uni Augsburg erstellten Statistik sind zwar weniger als die Hälfte, aber immerhin doch 44 Prozent aller Tore Zufallsprodukte – die schönste Nebensache der Welt bleibt also auch in Zukunft ein Spektakel, dessen Ausgang – zumindest bis zu einem gewissen Grad – niemand vorhersagen kann.

Im Fußball spielt eben der „Bolz-Faktor“ immer eine Rolle, auch auf höchstem Niveau. Selbst in einem Spiel Real gegen Bayern schlagen die Verteidiger den Ball in einer Gefahrensituation unkontrolliert aus dem Fünfer oder wird das Leder bei einem Rückstand kurz vor Spielende auf gut Glück weit in die gegnerische Hälfte gedroschen. Bei Sportarten wie Basketball, Handball oder Volleyball gibt es das kaum. Ganz extrem ist es beim American Football, bei dem jeder einzelne Angriff bis ins Detail geplant ist. Das heißt, diese Sportarten dürften durch Maschinelles Lernen in Zukunft besonders stark beeinflusst werden. In der amerikanischen Football-Profiliga NFL ist es jetzt schon üblich, noch während eines Spiels die Taktik aufgrund von Erkenntnissen, die Algorithmen generiert haben, zu ändern. Darüber hinaus kommen Herzfrequenzmesser zum Einsatz, mit Hilfe derer die Coaches erkennen, in welchem physischen Zustand sich die Spieler befinden – eine wichtige Entscheidungshilfe bei Auswechslungen. Im Fußball sind diese medizinischen Hilfsmittel – zumindest noch – nicht erlaubt.

Computer entscheiden über die Zukunft von Sportlern

Noch viel stärker als die Mannschaftssportarten wird der Einsatz von Maschinellem Lernen die Einzelsportarten beeinflussen. So lassen sich beispielsweise aus der datenbasierten Analyse des Laufstils von Usain Bolt, mit 9,58 Sekunden schnellster Mensch aller Zeiten auf der 100-Meter-Bahn, eine Fülle von Erkenntnissen gewinnen. Überhaupt dürften die Konsequenzen des Gebrauchs von Logarithmen für den einzelnen Athleten (Einzel- oder Mannschafts-Sportler) noch weitaus gravierender sein als für die Sportart an sich. Wie dick muss der Oberschenkelmuskel sein, um optimale Ergebnisse zu erzielen – so etwas lässt sich heute errechnen. Und ob ein junger Sportler das Zeug zum Profi hat – das können Scouts mit Hilfe von Algorithmen zwar nicht mit Sicherheit vorhersagen, aber doch präziser bestimmen als früher. Einem Fußballprofi hat die neue Technologie sogar seinen Arbeitsplatz gekostet.

Seinen Verein waren Zweifel gekommen, ob der in die Jahre gekommene Torhüter (zur Wahrung der Anonymität unserer Quelle identifizieren wir weder Club noch Spieler) noch über die notwendige Qualität verfügte. Also beauftragte die sportliche Leitung ein IT-Unternehmen, die Leistungen des Keepers mit Hilfe von Maschinellem Lernen zu analysieren. Ergebnis: Der Schlussmann war leistungsmäßig der zweitschlechteste der Liga. Die Folge: Sein Vertrag wurde nicht verlängert.

Objektiv die richtige Entscheidung, und deshalb sportlich nachzuvollziehen. Aber auch eine Vorstellung, an die man sich erst gewöhnen muss: Eine Maschine entscheidet über die (berufliche) Zukunft eines Menschen.


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