Die Verbraucherpreise in Deutschland sind im April so stark gestiegen wie seit zwei Jahren nicht mehr. Waren und Dienstleistungen kosteten im Schnitt 2,0 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die Energiepreise legten sogar um 7,9 Prozent zu. Ein Grund dafür ist die seit Jahresbeginn geltende CO2-Sondersteuer. Zudem haben die Weltmarktpreise für Öl angesichts der besseren Weltkonjunktur wieder angezogen. Nun sind 2 Prozent Inflation mit Blick auf vergangene Jahrzehnte sicherlich nicht viel. Doch zahlreiche Analysten erwarten derzeit einen starken Anstieg.
Viele Rohstoffpreise sind im letzten Jahr um mehr als 50 Prozent gestiegen, was zuletzt die Ängste vor einer kommenden Inflation geschürt hat. Denn höhere Rohstoffpreise können offensichtlich schnell in einen starken Anstieg der Verbraucherpreise umschlagen. Die Inflationsängste zeigen sich etwa in einer aktuellen Untersuchung der Bank of America, welche die letzten Vorstellungen der Finanzzahlen von S&P-500-Unternehmen untersucht hat. Demnach wurde in diesen Konferenzen neunmal so oft über Inflation gesprochen wie noch ein Jahr zuvor.
Der breit angelegte Rohstoffindex Refinitiv Commodity Total Return notiert derzeit rund 68 Prozent höher als vor einem Jahr. Die 19 Komponenten in dem Index sind Aluminium, Kakao, Kaffee, Kupfer, Mais, Baumwolle, Rohöl, Gold, Heizöl, Schweine, Rinder, Erdgas, Nickel, Orangensaft, Benzin, Silber, Sojabohnen, Zucker und Weizen. Der zuletzt starke Anstieg des Index (über 20 Prozent seit Jahresbeginn) könnte lediglich die Erholung vom Einbruch des Corona-Jahres sein, ähnlich wie nach dem Platzen der Dotcom-Blase und nach der großen Finanzkrise.
Möglicherweise sind die angeschlagenen Lieferketten ein Grund für die hohen Rohstoffpreise, so wie es sich derzeit zum Beispiel in weiten Teilen der Welt beim wichtigen Rohstoff Holz zeigt. Wer in Deutschland Holz kaufen will, dürfte es kaum bekommen, schrieb kürzlich DWN-Analyst Sebastian Becker. Zudem seien die Preise explodiert, und die Lage für die Holzzulieferer wird zunehmend prekär. Doch eine entscheidende Ursache sind wohl auch die extrem verstärkten Eingriffe der Notenbanken seit dem Ausbruch der Corona-Krise.
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Sicher ist, dass die Unternehmen wegen der höheren Rohstoffkosten ihre Preise erhöhen werden. Unklar ist, wie lange diese Phase der Inflation andauern wird. Denn zumindest ein Teil der höheren Rohstoffpreise lässt sich auf die massiven Verwerfungen infolge der Corona-Krise zurückführen. Und auch wenn es wohl noch länger dauert, bis im globalen Handel wieder Normalität einkehrt, so ist das Problem doch lösbar. Sobald die Produktion wieder läuft und die Lieferketten wieder halten, so sind offensichtlich auch wieder mehr Rohstoffe lieferbar - und die Preise fallen.
Tatsächlich scheint es, dass der Preisanstieg bei Rohstoffen derzeit nicht von einer stärkeren Nachfrage getrieben wird. Denn dann hätte der Welthandel weit über sein früheres Niveau hinaus ansteigen müssen. Zwar hat der Welthandel wieder das Niveau von vor Corona erreicht. Doch es gibt weiterhin eine gewisse Flaute. Daher scheint es verfrüht, von dem zuletzt starken Anstieg der Rohstoffpreise auf einen dauerhaften Anstieg der Inflation zu schließen.
Bislang hat der Markt das Risiko einer längerfristigen Inflation gut verkraftet. Eine höhere Inflation sollte die Zinsen nach oben bringen, sodass der Kurs der bestehenden Anleihen fällt. Doch die Notenbank drücken die Zinsen weiter mit aller Macht nach unten, und es ist unwahrscheinlich, dass sie in absehbarer Zukunft zu einer strafferen Geldpolitik zurückkehren werden. Die Verschuldung von Staaten und Unternehmen ist einfach zu hoch, als dass die Zentralbanken einen signifikanten Anstieg der Zinsen riskieren würden.
Viele Analysten berufen sich in ihren Prognosen, es werde eine starke Inflation oder gar eine Hyperinflation geben, auf den beispiellosen Anstieg der Geldmenge im vergangenen Jahr. "Die etwa 25-prozentige Ausweitung der M2-Geldmenge im Jahr 2020 ist in etwa doppelt so stark wie jene Anstiege zu Anfang und in der Mitte der 1970er Jahre (10 bis 13 Prozent), welche rückblickend zu einer Phase hoher Inflation in den USA führten", schrieb kürzlich der DWN-Finanzexperte Nicolas Dvorak.
Auch die M2-Geldmenge an Euro ist im letzten Jahr immerhin um 11 Prozent gestiegen, sodass Analysten auch in der Eurozone eine starke Inflation vorhersagen. Doch tatsächlich zeigen die Daten kaum einen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflationsrate. Der Grund dafür ist, dass das neu geschaffene Geld die Nachfrage nach Konsumgütern kaum erhöht hat, sondern stattdessen die Nachfrage nach Vermögenswerten wie zum Beispiel nach Wertpapieren oder Immobilien, deren Preise in der Folge tatsächlich stark gestiegen sind.
Entscheidend im Hinblick auf eine mögliche stärkere Inflation ist aber auch, über wie viel Geld die Konsumenten verfügen und wie viel davon sie bereit sind auszugeben. Die Sparquoten sind im letzten Jahr weltweit stark gestiegen, vor allem in den USA, aber auch in Europa. Deutschland verzeichnete zuletzt eine "überaus hohe Sparquote" von 16 Prozent, so die GfK-Marktforscher. Dies könnte bedeuten, dass die Konsumenten das Geld in naher oder in ferner Zukunft ausgeben werden, und sie haben nach den Lockdowns möglicherweise einigen Nachholbedarf.
Sobald bei den Verbrauchern das nötige Geld vorhanden ist und die Bereitschaft zum Konsum einsetzt, führt dieser Anstieg der Nachfrage nach verschiedenen Waren und Dienstleistungen offensichtlich zu einem Anstieg der Inflationsrate. Doch selbst wenn die Verbraucher über Geld verfügen, so könnten sie es sparen oder wenn nötig damit ihre Schulden zurückzahlen. Lockdowns, Kontaktsperren, Reiseverbote und Zukunftssorgen zügeln den Konsum und halten daher auch die inflationären Kräfte in Schach, zumindest vorerst.