Technologie

„Operation Paperclip“: Wie 1.600 NS-Wissenschaftler die Rüstungsbranche und Raumfahrt der USA aufbauten

Bis zum Jahr 1990 haben die US-amerikanischen Behörden über 1.600 NS-Wissenschaftler in die USA einwandern lassen. Diese bauten die gesamte US-amerikanische Rüstungs- Chemie- Luftfahrt- und Pharmaindustrie auf. Doch 1.100 Namen werden unter Verschluss gehalten.
20.05.2021 10:07
Aktualisiert: 20.05.2021 10:07
Lesezeit: 2 min
„Operation Paperclip“: Wie 1.600 NS-Wissenschaftler die Rüstungsbranche und Raumfahrt der USA aufbauten
Eine SpaceX Falcon 9 Rakete mit der 26. Charge von etwa 60 Satelliten für Starlink Breitbandnetzwerk hebt von der Rampe 39A im Kennedy Space Center in Cape Canaveral. (Foto: dpa) Foto: John Raoux

In einer verdeckten Angelegenheit, die ursprünglich als „Operation Overcast“ bezeichnet wurde, aber später in „Operation Paperclip“ umbenannt wurde, wurden ungefähr 1.600 deutsche NS-Wissenschaftler (zusammen mit ihren Familien) in die Vereinigten Staaten gebracht, um während des Kalten Krieges für Amerika zu arbeiten. Das Programm wurde von der neu gegründeten Joint Intelligence Objectives Agency (JIOA) durchgeführt, deren Ziel es war, die deutschen intellektuellen Ressourcen für die Entwicklung des amerikanischen Arsenals an Raketen und anderen biologischen und chemischen Waffen zu nutzen und sicherzustellen, dass solche begehrten Informationen nicht in die Hände der Sowjetunion.

Der damalige US-Präsident Harry Truman genehmigte die „Operation Paperclip“, doch gleichzeitig sprach er ein Rekrutierungsverbot von NS-Wissenschaftlern aus. Dennoch haben Beamte der JIOA und des Office of Strategic Services (OSS) – dem Vorläufer der CIA – diese Richtlinie umgangen, indem sie belastende Beweise für mögliche Kriegsverbrechen aus den Aufzeichnungen der Wissenschaftler gestrichen oder weiß getüncht haben.

Die „Bundeszentrale für politische Bildung“ (BpB) wörtlich: „Viele der deutschen Wissenschaftler hatten sich zu den Nationalsozialisten bekannt, saßen in Kriegs- oder Zivilgefangenschaft. Doch die US-Verantwortlichen stellten die fachliche Qualifizierung über die politische Einstellung und etwaige Kriegsverbrechen. Zahlreiche Personalakten wurden gefälscht, Verbrechen vertuscht. Bei der Bearbeitung der Personalakten wurden zur geheimen Markierung der fertigen Dokumente Büroklammern ("Paperclips") verwendet, die Forscher wurden darum später auch “Paperclip Boys“ genannt. Wurden sie anfangs noch streng überwacht, durften die Forscher später zunehmend frei agieren. In den ersten Jahren beschäftigte sich die NASA vor allem mit der Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein Mensch im Weltall überleben kann. Das von 1958 bis 1963 dauernde Mercury-Programm war eine wichtige Grundlage für die spätere Mondlandung.“

Einer der bekanntesten Rekruten war Wernher von Braun, der technische Direktor des Forschungszentrums der Armee Peenemünde in Deutschland, der maßgeblich an der Entwicklung der tödlichen V-2-Rakete beteiligt war, die England während des Krieges verwüstete. Von Braun und andere Raketenwissenschaftler wurden als „Special Department Employees“ des War Department nach Fort Bliss, Texas, und White Sands Proving Grounds, New Mexico, gebracht, um die US-Armee bei Raketenexperimenten zu unterstützen. Von Braun wurde später Direktor des Marshall Space Flight Center der NASA.

„Anfang August 1945 bot Oberst Holger N. Toftoy, Chef der Raketenabteilung in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Army Ordnance, den Raketenwissenschaftlern erste Einjahresverträge an. Nachdem Toftoy zugestimmt hatte, sich um ihre Familien zu kümmern, nahmen 127 Wissenschaftler das Angebot an. Im September 1945 traf die erste Gruppe von sieben Raketenwissenschaftlern aus Deutschland in Fort Strong in den USA ein: Wernher von Braun, Erich W. Neubert, Theodor A. Poppel, August Schulze, Eberhard FM Rees, Wilhelm Jungert und Walter Schwidetzky (…) Das United States Army Signal Corps beschäftigte 24 Spezialisten - darunter die Physiker Dr. Georg Goubau, Gunter Guttwein, Georg Hass, Horst Kedesdy und Kurt Levovec; Physikalische Chemiker Professor Rudolf Brill und Dr. Ernst Baars und Eberhard Both; Geophysiker Dr. Helmut Weickmann; technischer Optiker Dr. Gerhard Schwesinger; und Elektronikingenieure Drs. Eduard Gerber, Richard Günther und Hans Ziegler (…) 1959 gingen vierundneunzig Männer der ,Operation Paperclip‘ in die USA, darunter Friedwardt Winterberg und Friedrich Wigand. Bis 1990 hat die ,Operation Paperclip‘ 1.600 Nazi-Mitarbeiter einwandern lassen“, so die „Jewish Virtual Library“.

Die NS-Wissenschaftler bildeten den Grundstein der gesamten US-amerikanischen hochtechnologischen Rüstungsindustrie, der Raumfahrt, der Bio- und Chemieindustrie und der Pharmaindustrie. Aus der Webseite „Operation Overcast“ (Harry Burnser Report) gehen insgesamt 500 Namen von NS-Wissenschaftlern hervor. Die weiteren 1.100 Namen der NS-Wissenschaftler werden unter Verschluss gehalten.

Die aktuelle Biden-Regierung, die sich weltweit für Demokratie und Menschenrechte einsetzen möchte, sollte zuallererst die Namen aller 1.600 NS-Wissenschaftler in einem zusammengefassten Dokument der Weltöffentlichkeit präsentieren. Die gesamten Hintergründe dieser Personen sind offenzulegen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN-Wochenrückblick

Weniger E-Mails, mehr Substanz: Der DWN-Wochenrückblick liefert 1x/Woche die wichtigsten Themen kompakt und Podcast. Für alle, deren Postfach überläuft.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

DWN
Finanzen
Finanzen Aktien Ukraine-Wiederaufbau: Diese Unternehmen warten auf ein Ende des Krieges
28.12.2025

Die Märkte reagieren überraschend empfindlich auf jede Erwartung eines Waffenstillstands und verschieben Kapital von Rüstungswerten hin...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschland am Wendepunkt: Wie die wirtschaftliche Neuordnung gelingt
28.12.2025

Deutschland steht vor einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Neuordnung, in der Investitionen und geopolitische Risiken zugleich bewältigt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Teamführung 2026: Was Führungskräfte jetzt wirklich brauchen
28.12.2025

Viele Führungskräfte starten 2026 mit neuen Vorsätzen – doch der Alltag frisst schnell jede Veränderung. Welche Self- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Über den Wolken: Sky City 1000 – eine Zukunftsvision gegen Wohnraummangel
28.12.2025

Die japanische Hauptstadt Tokio wächst – schneller als die Stadt es verkraftet. Allein 2024 kamen zehntausende Menschen hinzu, im...

DWN
Technologie
Technologie Batteriespeicher: Warum RWE den Takt für Europas Netze vorgibt
28.12.2025

Ein deutscher Energiekonzern baut in Wales den größten Batteriespeicher Großbritanniens und verschiebt damit die Kräfteverhältnisse in...

DWN
Panorama
Panorama DWN-Wochenrückblick KW 52: Die wichtigsten Analysen der Woche
28.12.2025

Im DWN Wochenrückblick KW 52 fassen wir die zentralen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen der vergangenen Woche zusammen....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Jahreswagen, Vorführwagen, Tageszulassung: So sparen Sie beim Autokauf
28.12.2025

Wer beim Auto kaufen sparen will, muss nicht zwingend zum alten Gebrauchten greifen. Jahreswagen, Vorführwagen und Tageszulassung wirken...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Föderale Modernisierungsagenda: 200-Punkte-Programm für Bürokratieabbau – ist das der große Wurf?
28.12.2025

Bund und Länder haben ein Paket beschlossen, das den Staat schlanker und schneller machen soll. Über 200 Maßnahmen zielen auf Bürger,...