Wirtschaft

Warum das Lohnwachstum dem weltweiten Aufschwung hinterherhinkt

In dem Jahrzehnt nach der weltweiten Finanzkrise 2009 hat das Lohnwachstum in vielen Ländern Mühe, gewohnte Höhen zu erreichen.
26.05.2021 13:04
Aktualisiert: 26.05.2021 13:04
Lesezeit: 3 min
Warum das Lohnwachstum dem weltweiten Aufschwung hinterherhinkt
Die Sonne geht hinter den hochgeklappten Containerbrückenkränen, die normalerweise Schiffe entladen, im Hamburger Hafen unter. (Foto: dpa) Foto: Axel Heimken

Der australische Bundesstaat Queensland sucht händeringend nach Köchen, Barkeepern und Reiseleitern. Um sie zu einem Umzug zu animieren, hat sich die dortige Regierung etwas Besonderes einfallen lassen. Interessenten werden mit einem "Work In Paradise" genannten Programm an die sonnenverwöhnten Strände gelockt. Das sieht eine Einmalzahlung von 1500 australischen Dollar plus einen Reisekostenzuschuss von 250 Dollar vor. Die Unternehmen selbst können angesichts niedriger Gewinnspannen und großen Konkurrenzdrucks keine deutlichen Lohnerhöhungen stemmen. "Die Unternehmen versuchen auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Arbeitskräftemangel umzugehen, aber wir sehen keinen branchenweiten Lohndruck", sagt Daniel Gschwind, Geschäftsführer des Queensland Tourism Industry Council.

Queensland steht damit nicht alleine da. In dem Jahrzehnt nach der weltweiten Finanzkrise 2009 hat das Lohnwachstum in vielen Ländern Mühe, gewohnte Höhen zu erreichen. Die Corona-Pandemie hat im vergangenen Jahr die Verdienste in vielen Ländern noch weiter nach unten gedrückt, wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) feststellt. Zwar ziehen derzeit weltweit die Verbraucherpreise merklich an, doch geht dies vor allem auf höhere Preise für Rohöl und andere Rohstoffe sowie Vorprodukte zurück. Trotz billionenschwerer staatlicher Konjunkturhilfen kommt das Wachstum der Löhne dagegen nicht richtig in Schwung. Das gilt typischerweise als Voraussetzung für eine anhaltende Inflation.

Die US-Notenbank Fed sieht in einem gesunden Lohnwachstum das vielleicht wichtigste Signal dafür, dass der Arbeitsmarkt auf dem Weg der Besserung ist. Aber die Pandemie hat es schwierig gemacht, solche Hinweise überhaupt zu erkennen. Die durchschnittlichen Stundenlöhne etwa stiegen zu Beginn der Gesundheitskrise - aber nur, weil so viele Niedriglohnempfänger ihren Job loswurden. Die Notenbanker schätzten im März, dass die mittleren Einkommen um etwa 3,1 Prozent zum Vorjahreszeitraum gestiegen sind. Das ist weniger als die 3,5 Prozent, die 2019 erreicht wurden.

Das bescheidene Lohnwachstum in den USA hat eine Debatte darüber ausgelöst, ob es einen Arbeitskräftemangel gibt - was auf den ersten Blick verwundert, zählt die weltgrößte Volkswirtschaft doch immer noch acht Millionen Jobs weniger als vor Ausbruch der Pandemie. Die Notenbanker stellten zuletzt fest, dass Unternehmen entweder Stellen abbauen oder sich auf Kostensenkungen oder Produktivitätssteigerungen konzentrieren, insbesondere durch Automatisierung.

"TRENDWENDE FRÜHESTENS MITTE 2022"

Wie in den Vereinigten Staaten und Australien zeichnet sich auch in Großbritannien im Zuge der wirtschaftlichen Erholung ein Arbeitskräftemangel ab. Eine Umfrage des Instituts IHS Markit unter Managern ergab im Mai, dass steigende Gehälter zum größten Kostendruck bei den britischen Dienstleistern seit Juli 2008 beitrugen. Das Statistikamt Office for National Statistics warnt jedoch, dass das jährliche Lohnwachstum von 4,0 Prozent im ersten Quartal in die Irre führe. Auch hier hatten, ähnlich wie in den USA, Niedriglöhner im vergangenen Jahr eher ihren Job durch die Pandemie verloren und sind dadurch aus der Statistik gefallen. Bereinigt um diese Verzerrung lag das Lohnwachstum bei nur noch 2,5 Prozent und damit nahe am langfristigen Durchschnitt.

In der Euro-Zone, in der die konjunkturelle Erholung deutlich hinter den USA herhinkt, gibt es ebenfalls keine Signale für eine starkes Lohnplus. Typisch ist die Einigung zwischen Europas größtem Autohersteller Volkswagen und der Gewerkschaft IG Metall vom 13. April, die eine bescheidene Lohnerhöhung von 2,3 Prozent ab Januar nächsten Jahres vorsieht. Sie bleibt weit unter den ursprünglichen Forderungen der Gewerkschaft von vier Prozent. "Eine Trendwende bei den Lohnabschlüssen ist - wenn überhaupt - frühestens Mitte 2022 zu erwarten", schreiben die Analysten der Commerzbank.

Noch düsterer sieht es für Beschäftigte in Japan aus. Dort stiegen die Löhne im März um magere 0,2 Prozent zum Vorjahresmonat. 2019 waren sie um 0,4 Prozent gefallen, 2020 sogar um 1,2 Prozent.

Nimmt die weltweite Konjunkturerholung von der Pandemie Fahrt auf, könnte auch der Lohndruck zunehmen, da die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt. Doch dann stellt sich die Frage, ob die Lohnzuwächse für einen Inflationsschub sorgen werden, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Einige Analysten sind davon nicht überzeugt und führen Faktoren wie die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation im Jahr 2001 an. Durch den seither weltweit gestiegenen Konkurrenzdruck sparen die Unternehmen lieber an anderer Stelle, anstatt die Preise für ihre Kunden zu erhöhen. Höhere Lohnkosten an die Verbraucher weiterzugeben hält der Analyst Mike Kelly von PineBridge Investments für "selbstmörderisch".

Wer sich mit dem Programm "Work In Paradise" zum Arbeiten nach Queensland locken lässt, kann sich zwar auf einen hübschen Bonus freuen. Paradiesische Lohnzuwächse in den kommenden Jahren dürften aber eher die Ausnahme bleiben.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Lebensmittel aus dem 3D-Drucker: Revolution am Esstisch und in der Lebensmittelproduktion?
22.06.2025

Gedrucktes Essen statt Herd und Pfanne? Der 3D-Lebensmitteldruck wächst rasant – zwischen nachhaltiger Vision, Gastronomietrend und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Die Deutschen und ihr Bargeld: Wie sich das Bezahlverhalten entwickelt
22.06.2025

Obwohl die Deutschen nach eigenen Aussagen ihr Bargeld lieben, gewinnt das bargeldlose Bezahlen auch hierzulande an Bedeutung. Das...

DWN
Technologie
Technologie Schwedische Innovation soll Wasserkrise in der Ukraine lösen
21.06.2025

Während Europa über Hilfspakete debattiert, liefern schwedische Firmen sauberes Wasser in eine vom Krieg verwüstete Region. Ist Hightech...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Afrikas Migrationspotenzial: Die globale Ordnung steht vor einer tektonischen Verschiebung
21.06.2025

Afrikas Bevölkerung wächst, während der Westen altert. Millionen gut ausgebildeter Migranten verändern schon heute globale...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlands stille Stärke: Wie Rechtsstaat und Verwaltung zum unterschätzten Standortvorteil werden
21.06.2025

Als Max Weber 1922 mit seiner Bürokratie-Theorie die Basis für die deutsche Verwaltung legte, galt sie weltweit als innovatives Vorbild....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trumps Rückschlag für Elektroautos – kommt das Ende wie vor 100 Jahren?
21.06.2025

Vor 100 Jahren verschwanden Elektroautos wegen politischer Entscheidungen von den Straßen. Heute wiederholt sich die Geschichte: Donald...

DWN
Politik
Politik Wie der Westen seine Werte in der Wüste verrät: Big Tech versteckt die Probleme unter glänzenden Fassaden
21.06.2025

Big Tech hofiert autoritäre Regime vom Golf – im Tausch gegen Milliarden, Macht und Rechenzentren. Doch hinter der glitzernden Fassade...

DWN
Politik
Politik Deutschland steht vor dem historischen Aufschwung – aber es gibt ein großes Problem
21.06.2025

Mit der faktischen Abschaffung der Schuldenbremse beginnt Deutschland eine neue Ära – mit enormen Investitionen in Militär,...