Grünen-Politiker Cem Özdemir sagte dem „Tagesspiegel“ (Sonntag), dass seine Partei mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ebenfalls im Fokus unter anderem Russlands stünde. „Annalena und wir werden nicht mehr nur national, sondern auch durch (den russischen Präsidenten Wladimir) Putin und seine Geheimdienste sowie durch türkische Aktivisten angegriffen, die im Internet Schmutzkampagnen gegen sie und uns Grüne fahren.“ Es sei „eine ganz neue Dimension, was da gerade passiert“. Mit den Sicherheitsdiensten führe man Gespräche darüber. „Man muss davon ausgehen, dass wir Moskau und Ankara nicht als Wunschpartner gelten. Putin und Erdogan würden sicher nicht die Grünen wählen.“
Angesichts der „neuen Dimension“ der digitalen Angriffe befänden sich Vertreter der Grünen im Gespräch mit den deutschen Sicherheitsbehörden. Der „SPIEGEL“ titelt: „Özdemir sieht Russland und Türkei als Drahtzieher von ,Schmutzkampagnen‘.“
Zuvor hatte die „BILD“ berichtet: „Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat dem Bundestag Nebeneinkünfte aus den Jahren 2018 bis 2020 nachgemeldet, wie Grünen-Sprecherin Nicola Kabel auf BILD-Anfrage bestätigte. Bei den Geldern handelt es sich demnach um Sonderzahlungen zwischen 17.500 und 37.000 Euro, die Baerbock als Parteichefin der Grünen erhalten und ,versehentlich‘ nicht gemeldet hatte, heißt es.“
CSU-Generalsekretär Markus Blume reagierte empört. „Dass ausgerechnet die grünen Kapitalismuskritiker ihren Vorsitzenden Erfolgsprovisionen zahlen, ist grotesk. Wirklich erklärungsbedürftig ist, dass dies dann auch noch vor dem Bundestag bis zur eigenen Kanzlerkandidatur verschleiert wurde“, sagte er der „BILD“-Zeitung. Er warf den Grünen „Scheinheiligkeit und Doppelmoral“ vor.
Die „Frankfurter Rundschau“ wörtlich: „Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock muss die verspätet gemeldeten Sonderzahlungen politisch teuer bezahlen. Juristisch mag ihr Vorgehen nicht zu beanstanden sein. Das Geld war wohl versteuert und ein Interessenkonflikt liegt nicht vor. Schließlich erhielt sie das Geld von ihrer Partei. Doch wer wie die Grünen Transparenz so wichtig findet, dass es mehrfach im Wahlprogramm auftaucht und zudem regelmäßig andere an diesem Anspruch misst, bei dem wiegen derartige Vorfälle doppelt schwer. Zumal nun auch noch jener Cem Özdemir einen derartigen Fehler eingestehen musste, der durch seine Bonusmeilen-Affäre vorbelastet ist. Da hilft es nur wenig, dass beide ihre Versäumnisse eingestanden haben, ohne durch Enthüllungen gezwungen worden zu sein. Die Grünen wären auch gut beraten gewesen, wenn sie die Sache offensiver kommuniziert hätten. So entsteht der Eindruck, sie wollten sich wegducken.“
Die „Stuttgarter Nachrichten“ hatten berichtet: „Seit einem Monat ist Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin der Grünen. Sie startete grandios, doch nun scheint die Aura des Neuen zu verfliegen. Die 40-jährige steht wie kein anderer Spitzenpolitiker unter Beobachtung. Mit ihren zunächst nicht gemeldeten Nebeneinkünften hat sie tatsächlich einen Fehler begangen. In seiner Höhe ist der Betrag nicht anrüchig. Problematisch ist aber, wie die Grünen mit der Sache umgehen: Man kann nicht ständig anderen Parteien Unredlichkeit beim Thema Nebeneinkünfte vorwerfen und dann herumdrucksen, wenn es einen selbst betrifft. Wer die moralische Keule schwingt, sollte selbst ein Vorbild sein.“
Die dpa teilte mit: „Nach Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat auch der frühere Parteivorsitzende Cem Özdemir dem Bundestag Sonderzahlungen nachgemeldet. Özdemir habe im Mai Weihnachtsgeld für die Jahre 2014 bis 2017 in Höhe von insgesamt 20 580,11 Euro nachgemeldet, nachdem ihm und seinen Mitarbeitern aufgefallen sei, dass dies versehentlich noch nicht erfolgt sei, teilte sein Büro am Donnerstagabend mit. Er sei dazu nicht von der Bundestagsverwaltung aufgefordert worden. ,Die Sonderzahlungen hat er, wie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle, in seinem Job als Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen erhalten und selbstverständlich ordnungsgemäß versteuert‘, teilte sein Büro mit. ,Darüber hinaus hat es keine weiteren Sonderzahlungen durch die Partei gegeben.‘ Der heutige 55-jährige war von 2008 bis 2018 Parteichef der Grünen.“
„Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat in ihrem Lebenslauf im Internet unkorrekte Angaben zu Mitgliedschaften in Organisationen präzisiert. Sie hatte dort noch am Donnerstag unter anderem die Transatlantik-Stiftung German Marshall Fund und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR aufgeführt. Inzwischen wurde die Seite geändert, die Überschrift lautet statt ,Mitgliedschaften‘ nun ,Beiräte, (Förder-)Mitgliedschaften, regelmäßige Unterstützung‘“, so die dpa.
Die „Welt“ führt aus: „Die grüne Kanzlerkandidatin wird von der selbstgemachten Vergangenheit im Lebenslauf eingeholt: Der angesehene German Marshall Fund führt sie nur als Alumni eines Seminars von 2011, und Büroleiterin war sie deutlich kürzer als behauptet.“
Es ist völlig ausgeschlossen, dass die „Frankfurter Rundschau“, die „Stuttgarter Nachrichten“, die „Welt“, die „BILD“-Zeitung oder die dpa enge politische Verbindungen nach Moskau oder Ankara pflegen. Deshalb sollte nicht jede Kritik an den Grünen als Angriff, sondern als wohlwollende Kritik im Sinne der Pressefreiheit verstanden werden. Völlig unangebracht ist es, auf Medien einzuschlagen, die auf Verfehlungen der Politiker hinweisen. Wenn die Grünen wirklich regieren wollen, sollten sie nicht hinter jeder Kritik eine „Verschwörung“ wittern. „Verschwörungstheorien“ sind angesichts der anstehenden Bundestagswahl 2021 unangebracht.
Wenn Özdemir die aktuelle Behauptung aufstellt, müssen ihm auch Namen von Personen und Organisationen vorliegen, die nachweislich für Moskau und Ankara eine Kampagne gegen die Grünen führen. Diese Namen muss er dann auch öffentlich machen, weil die Beweislast von nun an bei ihm liegt.
Wenn Özdemir der Erfüllung der Beweislast nicht nachkommen sollte, würde er Gefahr laufen, von einem Teil der Bürger als „Verschwörungstheoretiker“ abgestempelt zu werden.
Und mit dem Label des „Verschwörungstheoretikers“ sollte man keinen Wahlkampf betreiben. Dann wäre es nämlich besser, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen, um Schaden von den Grünen abzuwenden.
Annalena Baerbock und der Lobbyismus: Wenn das Wörtchen „so“ nicht wär
+++Dieser Artikel erschien erstmals am 6. Juni 2021+++