Mit überparteilicher Zustimmung hat der US-Senat am Dienstag einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der einen Ausbau amerikanischer Macht und Selbststärkung auf zahlreichen Feldern einleiten und den großen Konkurrenten China ausbremsen soll.
Die Berichterstattung in Deutschland zum Entwurf konzentriert sich dabei hauptsächlich auf den Aspekt der wirtschaftlichen Abkopplung der USA von China, welchen nach Präsident Trump auch der amtierende Präsident Biden verfolgt. Das Kernstück der wirtschaftlichen Autonomiebestrebungen bilden massive Investitionen in Höhe von etwa 190 Milliarden Dollar für US-Technologie und -Forschung. Zudem sollen mit Ausgaben von 54 Milliarden Dollar die US-Produktion und -Forschung in den strategisch wichtigen Bereichen der Halbleiterchips und Telekom-Ausrüstung angekurbelt werden, einschließlich zwei Milliarden Dollar für Chips, die vom US-Militär, strategisch wichtigen Unternehmen und Autoherstellern verwendet werden.
Tatsächlich umfasst der Gesetzesentwurf aber eine Reihe weiterer Punkte, die dezidiert geopolitisch motiviert und gegen China gerichtet sind, berichtet die South China Morning Post. So sieht der Entwurf eine Verstärkung militärischer Allianzen der USA im Pazifik vor – insbesondere mit Indien, Japan und Australien. Auch die Unterstützung für Taiwan soll demnach deutlich verstärkt werden. Darüber hinaus verbietet der Entwurf US-Politikern beispielsweise, die Olympischen Winterspiele 2022 in China zu besuchen und bezeichnet die unklare Situation in der westchinesischen Provinz Xinjiang als „Genozid“ an den Uiguren.
Des Weiteren ermöglicht der Entwurf, sollte er letztendlich in geltendes Recht gegossen werden, neue Sanktionen gegen chinesische Regierungsbeamte – etwa wegen mutmaßlicher Cyberangriffe oder dem Diebstahl geistigen Eigentums.
Sehr bedeutsam dürfte sein, dass auch das amerikanische Universitäts- und Forschungssystem ins Kreuzfeuer des Konflikts geraten ist. So soll ein angeblicher „chinesischer Einfluss“ an den Universitäten des Landes zurückgedrängt und mehr für die Forschung in Zukunftsbereichen wie Quantencomputern, Robotik, künstliche Intelligenz und Halbleiterchips getan werden.
Status als global dominante Supermacht verteidigen
Ziel der Anstrengungen ist es, den Status der USA als dominante Supermacht auf der Welt zu verteidigen und China in seiner Entwicklung und politischen Expansion zu bremsen.
Die Welt befinde sich im stärksten Wettbewerb seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, erklärte der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, nach der Abstimmung am Dienstag. „Wenn wir nichts tun, könnten unsere Tage als dominante Supermacht gezählt sein“, sagte Schumer. „Wir wollen nicht, dass Amerika in diesem Jahrhundert eine mittelmäßige Nation wird. Dieses Gesetz wird der Wendepunkt für amerikanische Führung im 21. Jahrhundert sein und deshalb wird das Vorhaben als eine der wichtigsten überparteilichen Errungenschaften des US-Senats in die jüngere Geschichte eingehen“, so Schumer.
Schumer war es auch, der die Senatoren im Februar dazu anregte, eigene Anti-China-Gesetzentwürfe zu schreiben, welche er nun in dem 2.400 Seiten starken Werk bündelte.
US-Präsident Joe Biden begrüßte das Votum des Senats. Das Gesetz werde die USA in die Lage versetzen, „die wichtigsten Technologien von morgen zu entdecken, herzustellen und zu verbessern - von künstlicher Intelligenz über Computerchips bis hin zu Lithiumbatterien, die in intelligenten Geräten und Elektrofahrzeugen verwendet werden - und zwar genau hier in den Vereinigten Staaten“, erklärte Biden. Und Biden weiter: „Wir befinden uns in einem Wettbewerb um den Sieg im 21. Jahrhundert, und der Startschuss ist gefallen. Wir können nicht riskieren, zurückzufallen.“
Das Repräsentantenhaus muss den Plänen noch zustimmen. Dort wird bezeichnenderweise auch an mehreren umfangreichen gegen China gerichteten Gesetzespaketen gearbeitet, wie die Deutschen Wirtschaftsnachrichten vor einiger Zeit berichteten.
Biden warnt grundsätzlich davor, dass die Vereinigten Staaten ohne bedeutende Investitionen in Technologie im internationalen Wettbewerb mit Konkurrenten wie China zurückfallen werden. „Wir werden in den nächsten zehn Jahren mehr technologischen Wandel erleben als wir in den letzten 50 Jahren gesehen haben“, hatte Biden Ende April bei seiner ersten Rede vor beiden Kammern des US-Kongresses gesagt. „Und wir geraten in diesem Wettbewerb ins Hintertreffen.“
Vor Jahrzehnten hätten die USA zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung investiert, jetzt sei es weniger als ein Prozent. „China und andere Länder holen uns schnell ein.“ Die USA müssten die Produkte und Technologien der Zukunft „entwickeln und dominieren“: Batterien, Biotechnologie, Computerchips und saubere Energie.
China kritisierte das Investitionsprogramm erwartungsgemäß scharf. Das Außenministerium in Peking forderte die Vereinigten Staaten am Mittwoch auf, das Gesetzespaket nicht weiter zu fördern. Zudem dürften die USA China nicht länger als Bedrohung darstellen und als imaginären Feind behandeln, sagte ein Ministeriumssprecher. Die USA sollten vermeiden, die gesamten chinesisch-amerikanischen Beziehungen und die Zusammenarbeit in wichtigen Bereichen zu beschädigen.
Ziel des Gesetzesentwurfs sei es, amerikanische Hegemonie zu erhalten und die angeblich von China ausgehenden Gefahren zu übertreiben. Auch werde mit der ökonomischen Abkopplung versucht, die Entwicklung Chinas zu behindern. „Der Entwurf zeigt, dass die paranoiden Vorstellungen von der eigenen Einzigartigkeit das ursprüngliche Ziel von Innovation und Wettbewerb überlagert haben“, so der Chinesische Volkskongress in einer Stellungnahme.
Hinwendung zur Industriepolitik
Ebenfalls am Dienstag kündigte Biden den Aufbau einer speziellen „Strike Force“ an, um amerikanische Unternehmen gezielt zu unterstützen und Industriepolitik zu betreiben. Zentrales Anliegen sei, strategisch wichtige Lieferketten wie etwa Halbleiterprodukte und Seltene Erden unter Kontrolle zu bekommen und nicht mehr von Zulieferern aus Übersee abhängig zu sein. Dazu wurde ein im Februar in Auftrag gegebenes Gutachten mit Empfehlungen vorgestellt.
Die US-Regierungen hatten Chinas eigene Industriepolitik unter dem Schlagwort „Made in China 2025“ in der Vergangenheit kritisiert, scheinen Analysten zufolge nun aber selbst eine ähnliche Richtung einzuschlagen. „Obwohl die USA traditionell eine Abneigung gegen staatliche Industriepolitik hegen, erscheinen viele der im Bericht empfohlenen Maßnahmen doch sehr wie Industriepolitik“, sagte Stephen Olson, ein Analyst der Hinrich Foundation, der South China Morning Post.
Olson zufolge ist die „Strike Force“ besser als das existierende US-Handelsrecht dazu geeignet, die im Zuge der Globalisierung und Auslagerung von Industrien für die USA entstandenen Nachteile im Welthandel auszugleichen. „Ich erwarte, dass dieser Prozess in neuen oder verbesserten Maßnahmen gipfelt, welche es der US-Regierung erlauben werden, Handelsnachteile gezielter und effektiver zu neutralisieren, die von zentral geführten Volkswirtschaften wie der chinesischen ausgehen“, wird Olson zitiert.
Der Präsident der chinesischen Denkfabrik Centre for China and Globalisation, Wang Huiyao, kritisiert die Entwicklung. „Das ganze Unterfangen wird von einer Mentalität des Kalten Krieges angetrieben, um es Unternehmen zu verbieten, miteinander Geschäfte zu machen. Dabei wird die Uhr der geschichtlichen Entwicklung tatsächlich zurückgedreht. Nach so vielen Jahren einer von den USA angeführten Globalisierung hatten wir endlich eine effektive und effiziente globale Wertschöpfungskette.“