Politik

Netanjahu gestürzt: Ultrarechter Bennett wird neuer Ministerpräsident

Lesezeit: 2 min
14.06.2021 09:03  Aktualisiert: 14.06.2021 09:03
Der Druck auf die neue Koalition in Israel war enorm - nun hat das Parlament einem bemerkenswerten Bündnis verschiedener Parteien das Vertrauen ausgesprochen. Netanjahu kündigte den Kampf gegen die neue Regierung an.
Netanjahu gestürzt: Ultrarechter Bennett wird neuer Ministerpräsident
Naftali Bennett (2.v.r), Vorsitzender der israelischen ultrarechten Partei Yamina und designierter Premierminister, Benny Gantz (l), Verteidigungsminister von Israel, und Benjamin Netanjahu (vorne l), Premierminister von Israel, nehmen an einer Sitzung im israelischen Parlament teil zur Abstimmung über die nächste Regierung des Landes. (Foto: dpa)
Foto: Ilia Yefimovich

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Eine hauchdünne Mehrheit der Abgeordneten im israelischen Parlament hat am Sonntag für die neue Regierung gestimmt. 60 von 120 Knesset-Mitgliedern votierten nach stürmischen Debatten für das Acht-Parteien-Bündnis unter Führung von Naftali Bennett von der ultrarechten Jamina und Jair Lapid von der Zukunftspartei. 59 stimmten dagegen, es gab eine Enthaltung. Dies bedeutet das vorläufige Ende der Ära des rechtskonservativen Langzeit-Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

In der Küstenstadt Tel Aviv feierten mit Beginn der Vereidigung viele Menschen ausgelassen den Abstimmungserfolg der neuen Regierung. Auf dem Rabin-Platz schwenkten sie Israel-Flaggen, hupende Autos fuhren durch die Straßen.

Im Zuge einer Rotationsvereinbarung soll erst Naftali Bennett (49) Ministerpräsident werden und nach zwei Jahren von Jair Lapid (57) von der moderaten Zukunftspartei abgelöst werden. Der neuen Regierung sollen 27 Minister angehören. Mickey Levy von der Zukunftspartei wurde zum Parlamentspräsidenten gewählt.

Bennetts Eröffnungsrede wurde durch wiederholte wütende Zwischenrufe von Mitgliedern des Netanjahu-Lagers massiv gestört. Bennnett sprach sich darin gegen eine Rückkehr zum internationalen Atomabkommen mit dem Iran aus. Er warnte die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas vor einer «eisernen Mauer», sollte sie erneut Ziele in Israel angreifen. Israel werde sich unter seiner Führung für eine Annäherung an weitere arabische Staaten einsetzen. Die Hamas kündigte derweil eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfes gegen Israel an.

Die neue israelische Regierung besteht aus acht Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum, darunter auch die konservativ-islamisische Raam. Es ist das erste Mal in Israels Geschichte, dass eine arabische Partei Teil der Regierung wird. Bennetts Jamina-Partei gilt dagegen als siedlerfreundlich, dies könnte die künftige Zusammenarbeit erschweren. Bennett ist auch der erste israelische Regierungschef, der dem nationalreligiösen Lager angehört und eine Kippa trägt.

Erstmals seit zwölf Jahren wurde nun in Israel eine Regierung ohne Netanjahu gebildet. Seine Likud-Partei ist größte Fraktion im Parlament, bleibt aber außen vor.

Am Streit um ein Gesetz, das schrittweise mehr strengreligiöse Männer zum Wehrdienst verpflichten sollte, war Ende 2018 Netanjahus rechts-religiöse Koalition zerbrochen. Vier Parlamentswahlen endeten danach immer wieder mit einer Pattsituation. Es konnte seither auch kein neuer Haushalt verabschiedet werden.

Ex-Finanzminister Lapid von der Zukunftspartei hatte schließlich den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, nachdem Netanjahu damit gescheitert war. Lapid ließ aber Bennett den Vortritt im Amt des Ministerpräsidenten, um die Koalition zu ermöglichen. Der 71-jährige Netanjahu hatte bis zuletzt versucht, die Bildung der Regierung seiner politischen Gegner zu verhindern. Er warf Bennett vor, seine Wähler betrogen zu haben.

Netanjahu sagte in der Sitzung: «Wenn wir in die Opposition gehen müssen, dann tun wir das - bis wir diese gefährliche Regierung stürzen.» Der 71-Jährige betonte, er sei schon in der Vergangenheit aus der Opposition zurückgekehrt. «We will be back soon» («Wir kommen bald wieder»), sagte er auf Englisch, auch in Richtung Teherans. Netanjahu gilt als einer der schärfsten Kritiker des Atomabkommens.

Er war von 1996 bis 1999 Ministerpräsident, seit 2009 ist er durchgängig Regierungschef. Länger als Netanjahu hat niemand seit Israels Staatsgründung 1948 regiert. Im Laufe seiner Amtszeit hat er sich mit vielen Politikern tief zerstritten und deren Vertrauen verloren. Viele Spitzenpolitiker auch aus Netanjahus rechtem Lager versagten ihm daher die Unterstützung. In der Kritik steht Netanjahu aber auch, weil ein Korruptionsprozess gegen ihn läuft.

Sollte die neue Regierung Bestand haben, könnte dies die politische Dauerkrise beenden, in der Israel sich seit zweieinhalb Jahren befindet.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Technologie
Technologie Petrochemie: Rettungsleine der Ölindustrie - und Dorn im Auge von Umweltschützern
24.04.2024

Auf den ersten Blick sieht die Zukunft des Erdölmarktes nicht rosig aus, angesichts der Abkehr von fossilen Treibstoffen wie Benzin und...

DWN
Politik
Politik Sunaks Antrittsbesuch bei Kanzler Scholz - strategische Partnerschaft in Krisenzeiten
24.04.2024

Rishi Sunak besucht erstmals Berlin. Bundeskanzler Scholz empfängt den britischen Premierminister mit militärischen Ehren. Im Fokus...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank-Präsident: Zinssenkungspfad unklar, digitaler Euro erstrebenswert
24.04.2024

Spannende Aussagen von Bundesbank-Präsident Joachim Nagel: Ihm zufolge wird die EZB nach einer ersten Zinssenkung nicht unbedingt weitere...

DWN
Technologie
Technologie Habeck sieht großes Potenzial in umstrittener CO2-Einlagerung
24.04.2024

Die Technologie "Carbon Capture and Storage" (CO2-Abscheidung und -Speicherung) ist in Deutschland ein umstrittenes Thema. Inzwischen gibt...

DWN
Politik
Politik Chinesische Spionage: Verfassungsschutz mahnt Unternehmen zu mehr Vorsicht
24.04.2024

Der Verfassungsschutz warnt vor Wirtschaftsspionage und Einflussnahme aus China. Vor allem für deutsche Unternehmen wäre eine naive...

DWN
Panorama
Panorama Fahrraddiebe nehmen vermehrt teure E-Bikes und Rennräder ins Visier
24.04.2024

Teure E-Bikes und Rennräder sind seit Jahren immer häufiger auf den Straßen zu sehen - die Anzahl von Diebstählen und die...

DWN
Technologie
Technologie KI-Hype in Deutschland: Welle von neuen Startups formiert sich
24.04.2024

Obwohl die Finanzierung von Jungfirmen allgemein ins Stocken geraten ist, werden in Deutschland gerade unzählige KI-Startups gegründet....

DWN
Politik
Politik USA kündigen massive Waffenlieferungen in die Ukraine an - Selenskyj äußert Dank
24.04.2024

Der US-Kongress hat die milliardenschweren Ukraine-Hilfen gebilligt. Jetzt könnte es laut Pentagon bei der ersten Lieferung sehr schnell...