Der National Intelligence Council (NIC), der als Denkfabrik der US-Geheimdienste fungiert, stellt in seinem 2012 erschienenen Dokument „Global Trends 2030 – Alternative Worlds“ unterschiedliche Prognosen für die Zeit bis 2030 vor. Den US-Geheimdiensten zufolge könnten bis dahin mehrere Schwarzer-Schwan-Ereignisse - also Ereignisse, die zwar unwahrscheinlich sind, aber extreme Auswirkungen zeitigen würden - auftreten.
„Niemand kann vorhersagen, welcher Erreger sich als nächstes auf den Menschen ausbreitet, und wann und wo eine solche Entwicklung stattfindet. Ein leicht übertragbarer neuartiger Atemwegserreger, der mehr als ein Prozent seiner Opfer tötet oder handlungsunfähig macht, gehört zu den einschneidensten Ereignissen, die es gibt. Ein solcher Ausbruch könnte in weniger als sechs Monaten dazu führen, dass Millionen von Menschen in jedem Winkel der Welt leiden und sterben.“
„Dramatische und unvorhergesehene Veränderungen des Wetters vollziehen sich bereits jetzt schneller als erwartet. Die meisten Wissenschaftler sind nicht zuversichtlich, solche Ereignisse vorhersagen zu können. Schnelle Änderungen der Niederschlagsmuster – wie Monsun in Indien und dem Rest Asiens – könnten die Fähigkeit dieser Region, ihre Bevölkerung zu ernähren, stark beeinträchtigen.“
„Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone könnte den achtfachen Kollateralschaden wie die Insolvenz von Lehman Brothers anrichten und eine umfassendere Krise in Bezug auf die Zukunft der EU auslösen.“
„China soll in den nächsten fünf Jahren die Schwelle von 15.000 US-Dollar pro Kopf der Kaufkraftparität (KKP) überschreiten – ein Niveau, das oft ein Auslöser für die Demokratisierung ist. Die chinesische ,Soft Power‘ könnte dramatisch verstärkt werden und eine Welle demokratischer Bewegungen auslösen. Alternativ glauben viele Experten, dass ein demokratisches China auch nationalistischer werden könnte. Ein wirtschaftlich zusammengebrochenes China würde dagegen politische Unruhen auslösen und die Weltwirtschaft schocken.“
„Ein liberaleres Regime im Iran könnte unter wachsenden öffentlichen Druck geraten, um die internationalen Sanktionen zu beenden und ein Ende der Isolation auszuhandeln. Ein Iran, der seine Atomwaffenbestrebungen fallen lässt und sich auf die wirtschaftliche Modernisierung konzentriert, würde die Chancen für einen stabileren Nahen Osten erhöhen.“
„Nuklearmächte wie Russland und Pakistan und potenzielle Aspiranten wie Iran und Nordkorea sehen Nuklearwaffen als Ausgleich für andere politische und sicherheitspolitische Schwächen und erhöhen das Risiko ihres Einsatzes. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass nichtstaatliche Akteure einen Cyberangriff durchführen oder Massenvernichtungswaffen einsetzen, steigt.“
„Solare geomagnetische Stürme könnten Satelliten, das Stromnetz und viele empfindliche elektronische Geräte zerstören. Die Wiederholungsintervalle von lähmenden solaren geomagnetischen Stürmen, die weniger als ein Jahrhundert betragen, stellen heute eine erhebliche Bedrohung dar, da die Welt von Elektrizität abhängig ist.“
„Ein Zusammenbruch oder ein plötzlicher Rückzug der US-Macht würde wahrscheinlich zu einer längeren Periode globaler Anarchie führen; keine führende Macht würde die USA als Garant der internationalen Ordnung ablösen.“
Zu den erwartbaren Megatrends gehören:
„Durch Armutsbekämpfung, Wachstum der globalen Mittelschicht, höhere Bildungsabschlüsse, weit verbreitete Nutzung neuer Kommunikations- und Fertigungstechnologien und Fortschritte im Gesundheitswesen wird sich die individuelle Selbstbestimmung beschleunigen.“
„Es wird keine hegemoniale Macht geben. In einer multipolaren Welt wird sich die Macht auf unterschiedliche Netzwerke und Koalitionen verlagern.“
„Demografie: In ,alternden‘ Ländern könnte das Wirtschaftswachstum zurückgehen. 60 Prozent der Weltbevölkerung wird in urbanisierten Gebieten leben und die Migration wird zunehmen.“
„Die Nachfrage nach Ressourcen wird aufgrund der Zunahme der Weltbevölkerung erheblich zunehmen. Die Bewältigung von Problemen im Zusammenhang mit einem Rohstoff hängt von Angebot und Nachfrage für die anderen ab.“
"Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln, Wasser und Energie wird aufgrund der Zunahme der Weltbevölkerung und des Konsumverhaltens einer expandierenden Mittelschicht um ca. 35, 40 bzw. 50 Prozent steigen. Der Klimawandel wird die Aussichten für die Verfügbarkeit dieser kritischen Ressourcen verschlechtern. Die Analyse des Klimawandels deutet darauf hin, dass die Schwere der bestehenden Wettermuster zunehmen wird. Ein Großteil des Niederschlagsrückgangs wird im Nahen Osten und Nordafrika sowie im westlichen Zentralasien, Südeuropa, im südlichen Afrika und im Südwesten der USA auftreten."
Die großen Fragen der Zukunft sind:
„Werden globale Volatilität und Ungleichgewichte zwischen Akteuren mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen zum wirtschaftlichen Crash führen? Oder führt eine stärkere Multipolarität zu einer erhöhten Resilienz der globalen Wirtschaftsordnung?“
„Werden Regierungen und Institutionen in der Lage sein, sich schnell genug anzupassen, um den Wandel zu nutzen, anstatt von ihm überwältigt zu werden?“
„Werden schnelle Veränderungen und Machtverschiebungen zu mehr innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Konflikten führen?“
„Wird die regionale Instabilität, insbesondere im Nahen Osten und in Südasien, zunehmen und globale Unsicherheit schaffen?“
„Werden technologische Durchbrüche rechtzeitig entwickelt, um die wirtschaftliche Produktivität zu steigern und die Probleme zu lösen, die durch eine wachsende Weltbevölkerung, schnelle Urbanisierung und Klimawandel verursacht werden?“
„Werden die USA in der Lage sein, mit neuen Partnern zusammenzuarbeiten, um das internationale System neu zu erfinden?“
Ein stärker nach innen gerichtetes und weniger leistungsfähiges Europa würde eine geringere stabilisierende Kraft für Krisen in Nachbarregionen bieten. Andererseits könnte ein Europa, das seine gegenwärtigen miteinander verflochtenen politischen und wirtschaftlichen Krisen überwindet, seine globale Rolle stärken. Ein solches Europa könnte dazu beitragen, seine sich schnell entwickelnden Nachbarn im Nahen Osten, in Afrika südlich der Sahara und in Zentralasien in die Weltwirtschaft und das breitere internationale System zu integrieren. Ein sich modernisierendes Russland könnte sich in eine breitere internationale Gemeinschaft integrieren. Ein Russland, das es nicht schafft, eine stärker diversifizierte Wirtschaft aufzubauen, und eine liberalere Innenordnung zu schaffen, könnte zunehmend eine regionale und globale Bedrohung darstellen.
Im Zusammenhang mit der internationalen Ordnung führt das NIC aus:
„Im plausibelsten Worst-Case-Szenario steigen die Risiken zwischenstaatlicher Konflikte. Die USA konzentrieren sich auf die Innenpolitik und die Globalisierung kommt ins Stottern.“
„Im plausibelsten Best-Case-Ergebnis arbeiten China und die USA in einer Reihe von Themen zusammen, was zu einer breiteren globalen Zusammenarbeit führt.“
„Ungleichheiten nehmen explosionsartig zu, da einige Länder große Gewinner werden und andere scheitern. Ungleichheiten innerhalb von Ländern erhöhen die sozialen Spannungen.
"Ohne sich vollständig von ihrer alten Rolle zu lösen, sind die USA nicht mehr der ,globale Polizist‘.“
„Angetrieben von neuen Technologien übernehmen nichtstaatliche Akteure die Führung bei der Bewältigung globaler Herausforderungen.“
Neue Fertigungs- und Automatisierungs-Technologien wie additive Fertigung (3D-Druck) und Robotik haben das Potenzial, Arbeitsmuster sowohl in den Entwicklungs- als auch in den Industrieländern zu verändern. In Industrieländern werden diese Technologien die Produktivität verbessern, Arbeitskräfteengpässe beseitigen und den Bedarf an Outsourcing verringern, insbesondere wenn die Verkürzung der Lieferketten klare Vorteile bringt. Dennoch könnten solche Technologien immer noch einen ähnlichen Effekt wie Outsourcing haben: Sie könnten mehr angelernte Arbeiter in der Industrie in den Industrieländern ihren Job kosten und die innerstaatlichen Ungleichheiten verschärfen.
Wie sich die internationale Rolle der USA in den nächsten 15-20 Jahren entwickelt, ist ungewiss. Ob die USA in der Lage sein werden, mit neuen Partnern zusammenzuarbeiten, um das internationale System neu zu erfinden, wird eine der wichtigsten Variablen für die zukünftige Gestaltung der Welt sein. Obwohl der relative „Rückgang“ der USA (und des Westens) gegenüber den aufstrebenden Staaten unvermeidlich ist, ist ihre zukünftige Rolle im internationalen System viel schwieriger zu prognostizieren: Der Grad, in dem die USA das internationale System weiterhin dominieren, könnte weit variieren.
Die USA werden unter den anderen Großmächten im Jahr 2030 höchstwahrscheinlich „Erster unter Gleichen“ bleiben, da sie in einer Reihe von Machtdimensionen ihre Führungsrolle beibehalten können. Wichtiger als nur ihr wirtschaftliches Gewicht ist die dominierende Rolle der USA in der internationalen Politik, die sich aus ihrem generellen Übergewicht sowohl bei der harten als auch bei der weichen Macht ergibt (Hard and Soft Power, Anm.d.Red.). Dennoch ist mit dem rasanten Aufstieg anderer Länder der „unipolare Moment“ vorbei und die Pax Americana – die 1945 begonnene Ära der amerikanischen Hegemonie in der internationalen Politik – geht schnell zu Ende.