Die EZB ist bei ihrem Strategiecheck noch nicht am Ziel. Auch wenn EZB-Chefin Christine Lagarde nach der jüngsten Klausurtagung von "guten Fortschritten" berichtete, hakt es laut Insidern noch an einer entscheidenden Stelle: Die Frage, wie die Währungshüter künftig Preisstabilität definieren und wie sie dieses Ziel konkret erreichen wollen. Der Teufel steckt dabei im Detail.
Grundsätzlich sei man sich zwar einig, dass künftig ein mittelfristiges Ziel von 2 Prozent gelten und die sperrige Vorgabe von "unter, aber nahe 2 Prozent" ausgedient hat. Zudem herrsche weitgehend Konsens, dass die EZB ein Überschreiten dieses Ziels tolerieren werde. Doch wie weit dies gehen darf und wie lange dieses "Überschießen" von der Europäischen Notenbank (EZB) geduldet würde, müssen die Währungshüter noch klären.
Dabei ist die Notenbank bemüht, das Ziel nicht mehr im Fachjargon zu formulieren, sondern möglichst gut verständlich zu fassen. Die Währungshüter hoffen, dies noch vor der Rats-Sitzung im September unter Dach und Fach bringen zu können, wenn voraussichtlich wichtige Weichenstellungen für die Zukunft des Corona-Notprogramms der EZB anstehen.
"Da werden in den nächsten Tagen eine Menge Entwürfe kursieren," sagte eine mit der Sache vertraute Person mit Blick auf die künftige Strategie der EZB. Das slowakische EZB-Ratsmitglied Peter Kazimir hofft, dass Ergebnisse bereits "in den kommenden Wochen" präsentiert werden können. Die EZB hüllt sich dazu offiziell in Schweigen.
Die US-Notenbank Fed hatte ihren Strategieschwenk bereits 2020 vollzogen. Sie stellte in Aussicht, die Zinsen so lange nahe Null zu halten, bis die Inflation auf dem Weg sei, "für einige Zeit" das Ziel von zwei Prozent Teuerung "moderat zu übertreffen". Doch innerhalb des EZB-Rats gab es offenbar große Vorbehalte ähnlich vorzugehen, da man sich nicht zu sehr festlegen will.
Andererseits ist sich die Notenbank auch bewusst, dass ihre bisherige Formulierung des Inflationsziels nicht ideal ist. Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau hat beispielsweise darauf verwiesen, dass es "symmetrisch" zu verstehen sei und nicht als eine Obergrenze, wie es manchmal interpretiert werde. Symmetrie bedeute demnach, dass die Euro-Notenbank es auch für einige Zeit zulassen könnte, wenn die Inflationsrate etwas über dem Ziel liegt.
BEKENNTNIS ZU "GRÜNERER" GELDPOLITIK
Die Führungsspitze der EZB hatte sich über das Wochenende zu einer Klausurtagung zurückgezogen, um in Ruhe noch offene Fragen zu besprechen. Die Notenbank hatte letztmalig im Jahr 2003 ihre Strategie auf den Prüfstand gestellt. Auf der Klausur wurde nun laut mehreren mit der Sache vertrauten Personen Einigkeit erzielt, dass künftig auch umweltpolitische Überlegungen in geldpolitische Rats-Entscheidungen einfließen sollten. Details, wie eine "grünere Geldpolitik der EZB" aussehen kann, sollen aber erst später folgen.
Zudem wurde ein weiteres Thema abgeräumt: Nämlich die Frage, ob bei der Berechnung der Teuerungsrate in der Euro-Zone die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum einbezogen werden sollen. Im Unterschied zu anderen Währungsräumen wie etwa den USA ist selbst genutztes Wohneigentum nicht im Warenkorb des Europäischen Statistikamts Eurostat enthalten. Bislang werden dort nur Mieten erfasst.
Die Währungshüter sind den Insidern zufolge dafür, dass künftig das selbst genutzte Wohneigentum mitberücksichtigt werden sollte. Doch bis es soweit ist, könnten wegen der sich langsam drehenden Mühlen des europäischen Räderwerks noch Jahre ins Land gehen. Denn die EZB hat es nicht allein in der Hand darüber zu bestimmen, anhand welcher Faktoren Eurostat und die nationalen Statistikbehörden die Inflationszahl messen.