Seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan ist die Zahl der Binnenflüchtlinge in dem Krisenland deutlich gestiegen. Zwischen Anfang Mai und Mitte Juni haben fast 55 000 Afghanen ihre Dörfer und Städte wegen Kämpfen verlassen. Das geht aus Daten der UN-Agentur zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) hervor. Somit mussten mehr als doppelt so viele Menschen wie im Vorjahreszeitraum innerhalb Afghanistans vor Krieg und Gewalt fliehen. Der Großteil der Binnenflüchtlinge ist den Daten zufolge aus den nordöstlichen und östlichen Landesprovinzen geflohen.
Gleichzeitig mit dem Beginn des offiziellen Abzugs der US- und Nato- Truppen am 1. Mai haben die militant-islamistischen Taliban mehrere Offensiven gestartet. Dabei haben sie mittlerweile 68 der rund 400 Bezirke neu erobert. Von Dienstag auf Mittwoch konnten die Islamisten lokalen Behördenvertretern zufolge über mindestens fünf Bezirke in drei Provinzen im Norden und Südosten neu die Kontrolle übernehmen.
Im Zuge der Eroberungen der Bezirkszentren fielen den Islamisten Dutzende Fahrzeuge, darunter gepanzerte Jeeps, viele Waffen und anderes militärisches Gerät in die Hände.
In der Vergangenheit wurden Taliban-Offensiven vor allem mithilfe von US-Luftschlägen und teils auch US-Spezialkräften gestoppt. Der Abzug bedeutet, dass die afghanischen Sicherheitskräfte nun ohne diese Art von Kampfunterstützung auskommen müssen.
Die internationalen Truppen sind mit ihrem Rückzug weit fortgeschritten. Sie haben die allermeisten Basen in den Provinzen verlassen und sind hauptsächlich noch in Kabul und dem Luftwaffenstützpunkt Bagram nördlich von Kabul stationiert. Die Bundeswehr, zuletzt zweitgrößter Nato-Truppensteller, hat noch eine unbekannte Zahl an Kräften im nördlichen Masar-i-Scharif. Bis spätestens 11. September sollen alle internationalen Soldaten das Land verlassen haben. Ein Friedensschluss ist weiter nicht in Sicht.