Panorama

Verkehrswende: Einfach mehr Zeppelin fliegen

Was ist aus der Freiheit der Fortbewegung geworden? Müssen Autos in Innenstädten wirklich sein? Ist die Deutsche Bahn noch zu retten? Ein subjektives Plädoyer für eine sinnvolle Verkehrswende - und mehr Zeppeline.
19.01.2025 16:02
Aktualisiert: 01.01.2030 11:25
Lesezeit: 7 min
Verkehrswende: Einfach mehr Zeppelin fliegen
Verkehrswende: Alle ins Zeppelin? Bei den aktuellen Zuständen auf Deutschlands Straßen und Schienen klingt das fast schon plausibel. (Foto: dpa)

Mobilität ist großartig. Vor wenigen Generationen noch verblieben die meisten Deutschen größtenteils im eigenen Dorf, längere Reisen waren selten, mühselig und gefährlich. Man unternahm sie, wenn überhaupt, aus gutem Grund. Und heute? Setzt man sich ins Auto, in den Zug oder ins Flugzeug und bringt gigantische Entfernungen im Nu hinter sich. Laut eines Urteils aus dem Jahr 2008 des Landesgerichts Nürnberg gilt aktuell ein Arbeitsweg von 180 Kilometern als zumutbar. Erzählen Sie das mal einem Bauern aus dem 19. Jahrhundert, der auf dem Weg zu seinem Feld ist. Moderne Mobilität hat vieles verändert – wie und wo wir leben, arbeiten und unsere Freizeit verbringen. Eine Veränderung im Guten wie im Schlechten.

Das Auto als Inbegriff der modernen Mobilität

Wer beispielsweise als Fußgänger an einer der fast 10.000 Straßen Berlins steht und auf die andere Seite möchte, wartet oft vergeblich auf eine Lücke im Blechstrom. In dieser Zeit kann sich schon mal ausgiebig wundern. Etwa über die zunehmende Größe der Autos, die angespannten Gesichter der Menschen hinter den Scheiben und auch darüber, dass in fast jedem Fahrzeug nur eine Person sitzt. Brauchen wir wirklich so viele Personenkraftwagen in der Stadt? Wie wäre wohl die Luft, die Stimmung der Lärmpegel ohne so viele Autos? Man käme in jedem Fall schneller und weniger riskant auf die andere Seite.

Das eigene Auto ist der Inbegriff der modernen Mobilität. Autos sind überall. Sie sind gefährlich, sie sind laut, sie stinken. Sie stehen herum und werden deshalb gerne mal scherzhaft als „Stehzeug“ statt als „Fahrzeug“ betitelt. Sie kosten die Allgemeinheit viel Geld und Raum und sind aus dem modernen Leben kaum mehr wegzudenken. Wenn ich mir für das Jahr 2025 etwas wünschen dürfte, wäre es eine sinnvolle, echte Verkehrswende, in der die ganzen unnützen Karren endlich aus den Innenstädten verschwänden, um Platz für die Menschen darin zu machen. Städte wie Amsterdam und Paris sind schon dabei, das spanische Pontevedra ist sogar schon eine Umdrehung weiter und fast komplett autofrei. Es gäbe weniger Abgase, Unfälle, Staus, zugeparkte Flächen und mehr Freiraum für die Stadtbewohner, ihre Kinder und Tiere.

Sind Zeppeline die Lösung?

Für Straßen, Ampeln und Parkplätze berappt die Allgemeinheit, ob sie jetzt ein Fahrzeug hat oder nicht. Und Folgekosten für Umwelt und Gesundheit durch verschmutzte Luft und Verletzungen werden in Kauf genommen. Da wird man nicht gefragt, denn Deutschland ist Autoland - und ohne Autos sind wir verloren. Spannend ist nun allerdings die Frage, was denn jetzt exportiert werden soll, wenn die günstigen E-Autos aus China uns und die Welt überrollen? Ich persönlich wäre ja für Zeppeline. Die haben Stil, die entschleunigen, die machen Freude. Ein bisschen Retro muss sein. Und von da oben, mit einem netten Cocktail in der Hand, wirkt die ganze Verkehrswenden-Misere vielleicht auch ganz possierlich.

Natürlich, man muss differenzieren. Rettungswagen, Löschzüge, Warentransporte, Taxen für Mitbürger, die schlecht zu Fuß sind, bleiben wichtig, damit alles weiterhin funktioniert. Es geht mir nicht um alle Autos. Sondern um die, die zuviel sind, in den Städten. Die anderen könnten aber, ginge es nach mir, gerne elektrisch betrieben werden. Norwegen als Ölnation voller Fjorde und langer Wege macht das vor und setzt ab diesem Jahr ganz auf das Elektroauto. Das ist auch gesünder. Je mehr man über die Gesundheitsrisiken von Feinstaub und Abgasen herausfindet, desto lieber möchte man aufs Land ziehen – wo das eigene Auto freilich eine weitaus essentiellere Rolle spielt als in der Stadt, in welcher die eigenen Füße, das Fahrrad oder der ÖPNV die geringeren Distanzen prima überbrücken. Apropos öffentliche Verkehrsmittel. Wir waren doch gerade beim Wünschen?

Foltermaschine Deutsche Bahn

Was die Deutsche Bahn veranstaltet, ist nicht mehr lustig. Mittlerweile fürchte ich mich davor, mit dem Zug zu fahren. Auf jeder Fahrt ist immer irgendwas. Manchmal kratzen nur Kleinigkeiten an den Nerven, wie nicht funktionierende Reservierungsanzeigen. Sehr oft gibt es irgendeine Art von Verspätung. Dass der ein oder andere Wagon fehlt und man hart um einen Sitzplatz kämpfen muss, damit ist ebenfalls zu rechnen. Immer häufiger gibt es nun auch einfach einen Totalausfall mit einem "Wir bitten um Entschuldigung" vom Band. Man könnte angesichts der aktuellen Lage meinen, ein Psycho-Folterknecht habe das Prinzip Bahnfahren erfunden. Man weiß schon vorher, dass von drei Umstiegen zwei mindestens schwierig werden und einer davon keinesfalls klappt. Man weiß nur nicht, welcher. Dann sitzt man also gestresst im Zug, starrt wechselweise in die Pampa und auf die DB-App und hofft, dass die vier Minuten Verspätung wieder reingefahren werden, damit man nicht rennen oder zwei Stunden in Magdeburg totschlagen muss.

Aber eigentlich weiß man schon, was passiert: Zuerst bricht das WLAN zusammen, sodass man keine Ahnung hat, ob und wo der Anschlusszug wartet. Dann funktioniert das WLAN wieder, aber die DB-App nicht mehr. Dann hält man einmal noch im Nirgendwo, das muss sein. Anschließend macht der Zug wieder Tempo, man schöpft Hoffnung, obwohl man weiß, dass man das nicht sollte, fährt sogar schon in die Stadt ein, in der sich der Bahnhof befindet, in dem man umsteigen muss, begibt sich samt Gepäck schon mal an der außer Betrieb befindlichen Toilette vorbei zur Tür, auf dass man sogleich im Geschwindschritt zum Anschlusszug joggen kann – und bleibt unweigerlich doch noch mal in irgendeinem tristen Vorort stehen. Der Zugführer meldet sich dann in einer Mischung aus Bitterkeit, Resignation und dem, was danach kommt, nämlich Galgenhumor, und erklärt, dass er selbst auch keinerlei Ahnung habe, wieso man denn jetzt hier stehen müsse, aber so sei es nunmal, weitere Informationen würden folgen.

In diesem Moment gebe ich meistens einfach auf und lasse mich existentialistisch ins Dasein fallen. Zweifle am eigenen Verstand und kann nicht fassen, warum ich schon wieder auf diese Schmerzmaschine auf Schienen reingefallen bin, die mich so oft schon versetzt und verletzt hat. Tja, dafür habe ich zwei Gründe: Erstens habe ich kein Auto. Und zweitens liebe ich Bahnfahren und finde es sehr praktisch. So. Das sei mal gesagt. Mit folgender Einschränkung: Wenn es klappt. Die Bahn ist eine hervorragende Idee, aber das Kaputtsparen und Verrottenlassen derselbigen ist ein Trauerspiel. Und es müsste nicht sein. Ich war mal in Wales im Urlaub. Da hatte jeder kleine Popelbahnhof mit unaussprechlichem Namen nicht nur ein nettes, kleines Café mit Snacks und Tee, sondern auch eine funktionierende (!), saubere (!!) und kostenfreie (!!!) Toilette. In Wales, einem Land, das im Prinzip nur aus Schafen und Konsonanten besteht!

Nachtzüge: Idee top, Umsetzung floppt

Auch Nachtzüge klingen erstmal nach einer total tollen Idee. Und auch hier ist die Umsetzung trotz hervorragenden Marketings mies. Ich hab’s probiert, bin von Wien nach Basel über Nacht gefahren, es war äußerst unbequem und ein Mann mit Mütze hat mich nachts geweckt, der weder der Schaffner noch mein Kabinenkumpan war, sondern ein Mensch, der nachts in Nachtzugkabinen einbricht, um dort Wertsachen zu stehlen, was offenbar öfter mal vorkommt. Der Schein seiner Taschenlampe hatte mich geweckt, auch das Rumoren an der eigentlich doppelt verschlossenen Abteiltür. Als ich dann schlaftrunken in Unterhosen vor ihm stand und „Das ist ja interessant“ sagte, weil mein Hirn noch halb in der Traumwelt hing, zuckte er so halb entschuldigend die Achseln und machte sich eilig von dannen. Ich schlief dann nicht mehr besonders gut.

Flugautos als Spielzeug für die Superreichen

Neulich las ich einen Artikel im amerikanischen Magazin „The New Yorker“. Darin ging es um Flugautos und Lufttaxis, und neben dem unterhaltsamen Science-Fiction-Flair war daran spannend, dass all die Start-ups die Dinger entweder als Spielzeug für Superreiche bauen, oder aber als Lösung für Geländeprobleme im ländlichen Raum für Farmer, Feuerwehr und andere sinnvolle Einsatzkräfte. In dem Artikel hatte einer der Unternehmer eine Vision davon, wie praktisch doch so Flugautos wären, um die Pendler in New York City über den Hudson zu bringen. Woraufhin der Autor des Artikels recht rational spekulierte, ob es denn nicht sinnvoller wäre, die gleiche Menge Menschen statt in Hunderte total teure und gefährliche Flugobjekte zu packen, einfach in einen Zug zu setzen, der auf Schienen über eine Brücke fährt. Das fand ich witzig – und bezeichnend für unseren Umgang mit dem Schienenverkehr.

Das Mittelfeld reicht nicht

Die Bahn klingt nicht so hip wie selbstfahrende Autos oder Flugtaxis oder Jetpacks, und sie wurde in Deutschland lange sehr vernachlässigt. Natürlich sind Züge schneller und komfortabler geworden in den vergangenen 50 Jahren. Aber gerade jetzt bräuchte sie richtig viel Liebe in Form sinnvoller Investitionen. Weshalb wird da nicht viel, viel mehr Geld reingesteckt, gerade in Zeiten des Klimawandels? Was nützt ein Deutschlandticket, wenn die Fahrt mit der Bahn eigentlich nur beweist, dass Autofahren aktuell oft schneller, günstiger und komfortabler ist? Für eine sinnvolle Verkehrswende brauchen wir einen verlässlichen, angenehmen, digitalisierten öffentlichen Nah- und Fernverkehr, und den haben wir zwar im Vergleich mit beispielsweise den USA, aber nicht mit Japan. Wir dümpeln da im Mittelfeld herum. Und das reicht nicht. Bei weitem nicht.

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Maximilian Modler

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Maximilian Modler berichtet über spannende Entwicklungen aus den Bereichen Energie, Technologie - und über alles, was sonst noch für die deutsche Wirtschaft relevant ist. Er hat BWL, Soziologie und Germanistik in Freiburg, London und Göteborg studiert. Als freier Journalist war er u.a. für die Deutsche Welle, den RBB, die Stiftung Warentest, Spiegel Online und Verbraucherblick tätig.

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