Politik

Dauerbaustelle Autobahn: Sie stehen hier im Stau, weil sich Verkehrsminister Volker Wissing verrechnet hat

Wenn man im Sommer entspannt durch Frankreich oder Italien über die Autobahnen gleitet, fragt man sich jedesmal aufs Neue: Warum müssen wir eigentlich in Deutschland ständig im im Stau stehen, während man dies auf den Mautstrecken der europäischen Südländer so gar nicht kennt? Die sind meistens tipptopp im Schuss. Bei uns indessen ist die Verengung von drei auf zwei oder gerne mal nur eine Spur die Regel.
22.11.2024 13:19
Aktualisiert: 22.11.2024 13:23
Lesezeit: 5 min
Dauerbaustelle Autobahn: Sie stehen hier im Stau, weil sich Verkehrsminister Volker Wissing verrechnet hat
Wissings große Lücke: Blick auf die Brücke der Bundesstraße 189 über die Elbe Richtung Wittenberge. Daneben verläuft die Baustelle für die Elbbrücke auf der Trasse der Autobahn 14. Die verschiebt sich um weitere Jahre. (Foto: dpa) Foto: Peter Gercke

Nehmen wir mal die Autobahnen von Berlin nach Leipzig, über das Schkeuditzer Kreuz weiter nach Frankfurt oder München. Die sind so schlecht im Schuss im Jahr der Deutschen Einheit, dass alle glaubten, die habe Hitler noch persönlich gebaut. Dann kam der Westen, und alles sollte schnellstens besser werden. So quick, dass das billigste Material verbaut wurde und die Autobahn inzwischen wieder nur voller Schlaglöcher ist und ein totaler Sanierungsfall. Wo man auch lang kommt, immer wieder poppen neue Baustellen auf der A9 auf und man muss mit Tempo 80 an Baggern und Bauwagen vorbei cruisen, auf denen häufig genug nicht mal gearbeitet wird.

Warum die Elbbrücke bei Wittenberge fehlt

Noch schlimmer ist die Lage auf der A14, der neuen Verbindung von Schwerin nach Mitteldeutschland. Im brandenburgischen Wittenberge reißt die Strecke ab - es fehlt die Elbbrücke. Ein Nadelöhr, das den Berufsverkehr Stunden kostet. Die Querung der Elbe wird und wird nicht fertig. Jetzt kommt heraus: Das hat einen ganz banalen Grund. Die Ampel ist Schuld, beziehungsweise deren Verkehrsminister Volker Wissing (früher mal eine Nummer bei FDP). Der Minister habe sich leider verrechnet, heißt es diese Woche in einem Bericht der „Welt“. Die Lücke könne erst in gut vier Jahren geschlossen werden. Nicht mal, dass im Winter gebaut wird, dürfte die Lage merklich verbessern können.

Die Nordverlängerung der A14 verläuft von Magdeburg über Wittenberge nach Schwerin. Der Bau der Autobahn hat sich immer wieder verzögert, insbesondere wegen Klagen. „Die Brücke über die Elbe bei Wittenberge soll in rund zwei Jahren fertig sein“, hieß es im Juli von zuständiger Seite. Im Oktober waren erst Tausende Tonnen schwere Stahlteile über den Fluss geschwenkt - und der Zeitplan noch einmal bestätigt worden. Dabei soll da im Ministerium die missliche Lage längst offenbar geworden sein, so hört man.

23 Kilometer lang klafft die Lücke. Das Projekt verzögert sich um weitere Jahre. „Denn gut ein Dutzend Autobahnprojekte, darunter Neubauten, Ausbauten und Lückenschlüsse wie jener auf der A14, die 2025 zumindest ausgeschrieben werden sollten, finden sich auf einer Streichliste, die seit drei Wochen kursiert“, liest man im Zeitungsbericht. Ach so! Das erklärt natürlich, warum das schöne Stendal sich immer noch im Nirgendwo Sachsen-Anhalts wähnt - statt mitten im Kreuz des künftigen Autobahnknotens zwischen Hamburg und Magdeburg und von Berlin auf der A2 nach Hannover.

Es heißt, die Projekte müssten „wieder in den Schubladen der staatlichen Autobahn GmbH verschwinden“. Weil anno 2025 einfach gar kein Geld mehr zur Verfügung steht für den Autobahn-Ausbau. Wie bitte? „Die Kalkulation von Verkehrsminister Volker Wissing (nun also parteilos) für das kommende Jahr ging schon vorher nicht auf. Wissing habe sich „offensichtlich verrechnet“.

Nicht mal ein Dementi aus dem Ministerium an der Invalidenstraße. „Aufgrund der aktuellen Gesamtsituation prüft die Autobahn GmbH aktuell die geplanten Bauprojekte. Aussagen zu Einzelprojekten sind möglich, sobald die Prüfungen abgeschlossen sind“, heißt es offiziell. Ohne den FDP-Minister ist auch niemand in Sicht, der Fragen zum Haushalt beantworten könne - zumindest gibt es „keine belastbaren Aussagen“, heißt es.

Von der bundeseigenen Autobahn GmbH selbst dazu: kein Kommentar. In dem Laden ist die Lage offenbar dermaßen dramatisch, dass die im versammelten Angeordneten im Verkehrsausschuss des Bundestages bei ihrer letzten Sitzung sogar die Contenance verloren - wegen des Geschäftsführers. Der habe hinter verschlossenen Tür den Offenbarungseid geleistet. Wer quasi nun als „Insolvenzverwalter“ beim Autobahnbau fungieren soll und die Chose retten soll, muss wohl bis in die nächste Legislaturperiode verschoben werden. „Die Geschäftsführung der Autobahn GmbH hat diese Woche erstmals ehrlich und schonungslos berichtet, wie unterfinanziert sie ist“, gab ausgerechnet Bernd Reuther, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, zu Protokoll. Also ein ehemaliger Parteifreund des politisch verantwortlichen Bundesverkehrsministers.

Seither glaubt man im Regierungsviertel zu wissen, warum Wissing freiwillig die FDP verlassen hat: Der Mann kann offenbar nicht rechnen. Die Autobahn GmbH des Bundes ist eine deutsche GmbH in Verantwortung des Bundesministeriums für Verkehr, die am 13. September 2018 gegründet wurde. Sie übernahm Anfang 2021 Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung, Finanzierung sowie vermögensmäßige Verwaltung der Autobahnen in Deutschland. Mit der Vermögensverwaltung ist das offenkundig so eine Sache am Dienstsitz in Berlin.

Es fehlen im Etat für 2025 angeblich 1,5 Milliarden Euro. „Das war uns in dieser Dramatik bislang nicht bekannt“, gesteht Reuther. „Das Verkehrsministerium hat immer suggeriert, die Autobahnen wären auskömmlich finanziert.“ Und jetzt der Clou: Selbst wenn es nicht zum Bruch der Ampel-Koalition gekommen wäre - die Milliardenlücke sei auch ohne die Parteien-Krise entstanden. Nicht mal 2024 passen die Zahlen mehr zusammen. Rund 300 Millionen Euro zu viel (und mehr als projektiert) habe die Autobahn GmbH bereits ausgegeben, da die Baukosten erheblich angestiegen seien. Zum Unvermögen kommt auch noch Pech hinzu.

Wissing soll das Problem verschleiert haben

Damit dürfte der Bau weiterer Strecken erst einmal perdu sein. „Bis auf wenige Ausnahmen wird es mit der aktuellen Finanzierung keinen Aus- und Neubau bei den Autobahnen geben“, vermutet Reuther. „Die Autobahn GmbH wird das eingeplante Geld fast ausschließlich für die Sanierung von Brücken und andere Instandhaltungsarbeiten brauchen.“ Dass bei der Instandhaltung „brutal gespart“ gibt man im Ministerium selbst zu - wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. Dass jetzt ausgerechnet Reuther und seine FDP das Thema genüsslich in den Wahlkampf tragen, ist logisch. Ein Sondervermögen allein für den Verkehrsberich wird wohl ebenfalls auf die nächste Regierung zukommen.

Mit seinem überraschenden Parteiaustritt ist der Verkehrsminister jedenfalls unten durch in der FDP. Wissing, so lautet der Vorwurf, habe das Desaster sogar monatelang vertuscht. Dieser Schluss liegt nahe, wenn man einen Bericht Wissings Ministerium an die Haushaltsberichterstatter der Koalition vom 23. September heranzieht. In dem heißt es in bunten Farben: „Trotz der angespannten Haushaltssituation im Bundesfernstraßen-Bereich lässt sich angesichts der Dotierung der Ansätze festhalten, dass Investitionen in die Bauwerkserhaltung ohne Einschränkung getätigt werden können. Für Bedarfsplan-Maßnahmen ist die Finanzierung der laufenden Maßnahmen für 2025 grundsätzlich gesichert.“ Tutti Paletti also? Minichten! Das war zwar erst Ende Septembers, doch nun soll alles anders sein!

Für Wissing indessen ist natürlich der Bösewicht Christian Lindner (FDP) Schuld an der Misere. Volker Wissing sagt zu seiner Verteidigung, er habe ja, wie vom Sparkommissar verlangt, Einsparungen vorschlagen müssen. „Dies bedeutete erhebliche Einschnitte auch für die Straße“, heißt es aus Wissings Pressestelle. Die Leitungsebene des Verkehrsministeriums habe das Hause des Finanzministers an der Wilhelmstraße „mehrfach darauf hingewiesen, dass die Mittel nicht auskömmlich und zusätzliche Mittel dringend erforderlich sind“.

Man könnte die Story freilich auch anders erzählen. Demnach würde sich Volker Wissing einfach nur in die lange Schlange seiner Vorgänger von der CSU einreihen: Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer, die den Steuerzahler mit dem Lkw-Maut und anderen Verkehrsdesastern Milliarden gekostet haben. Wahrscheinllich will das Ressort 2025 überhaupt niemand mehr übernehmen - angesichts der versteckten Fallstricke.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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