Finanzen

Anders als der Westen: Russland betrachtet steigende Inflation als Gefahr und reagiert

Während die westlichen Zentralbanken die hohen Inflationsraten als lediglich "vorübergehend" betrachten und weiter an einer lockeren Geldpolitik festhalten, geht die russische Notenbank den entgegengesetzten Weg.
30.06.2021 08:00
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Anders als der Westen: Russland betrachtet steigende Inflation als Gefahr und reagiert
Eine Brigg mit roten Segeln am Samstag während der Feierlichkeiten zum Schulabschluss in St. Petersburg. (Foto: dpa) Foto: Dmitri Lovetsky

Die Verbraucherpreise in Russland laufen heiß. Die Inflationsrate hatte im Mai mit 6 Prozent den höchsten Wert seit Oktober 2016 markiert. Lebensmittel verteuerten sich sogar um 7,4 Prozent. Das angestrebte Inflationsziel von 4 Prozent könne erst in der zweiten Jahreshälfte 2022 wieder eingehalten werden, sagte kürzlich die russische Notenbank. Im Zuge der konjunkturellen Erholung sei mit weiter erhöhtem Inflationsdruck zu rechnen.

Die Inflation habe sich deutlich beschleunigt, sagte Notenbankchefin Elwira Nabiullina am Montag während eines Fernsehinterviews. Daher seien weitere Zinserhöhungen in den kommenden Monaten wohl notwendig. Nabiullina nannte eine Spanne von "25 Basispunkten bis 1 Prozentpunkt", um die der Leitzins steigen könne. In diesem Jahr hat die Zentralbank ihren Leitzins schon dreimal angehoben, zuletzt Mitte Juni, als der Schlüsselsatz zur Versorgung der Banken mit Geld auf 5,5 Prozent erhöht wurde.

Steigende Inflation ist ein globales Phänomen

Hohe Inflationsraten sind derzeit kein russisches, sondern ein globales Problem. Auch in Deutschland haben die Verbraucherpreise in diesem Jahr stetig zugelegt, im Mai erreichte die jährliche Inflationsrate mit 2,5 Prozent den höchsten Stand seit fast zehn Jahren. Und in der Eurozone ist die Inflation im Mai knapp über das Ziel der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent gestiegen. Die USA verzeichneten im Mai sogar eine Inflationsrate von 5 Prozent.

Doch auch wenn steigende Inflationsraten ein globales Phänomen darstellen, so reagieren die jeweiligen Zentralbanken auf gegensätzliche Weisen. Die Gouverneure der US-Notenbank sprechen immer wieder davon, dass die Inflation "vorübergehend" sei und wahrscheinlich von selbst wieder verschwinden werde. Daher werden sie die Zinssätze bis mindestens nächstes Jahr auf nahezu Null belassen und kaufen weiterhin Wertpapiere im Umfang von 120 Milliarden Dollar pro Monat, um die langfristigen Zinssätze zu drücken.

Auch die EZB-Volkswirte gehen davon aus, dass der derzeitige Teuerungsschub nur "vorübergehend" sein wird, da er vor allem der Wiedereröffnung der Wirtschaft nach der Pandemie geschuldet sei. Zudem zeichnet sich aus ihrer Sicht nicht ab, dass auf dem Arbeitsmarkt die Löhne stark anziehen werden und eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Der aktuelle Preisschub ist daher für die Währungshüter noch kein Grund, von ihrer Politik der weit geöffneten Geldschleusen abzurücken.

Russland weicht vom Weg der anderen Zentralbanken ab

Russland hingegen geht den umgekehrten Weg. Diese Entwicklung begann am 19. März mit einer Zinserhöhung um 25 Basispunkte auf 4,5 Prozent. Diese Entscheidung der russischen Notenbank kam für 27 der 28 von Reuters befragten Ökonomen überraschend, mit einer Zinserhöhung hatten sie nicht gerechnet. Am 23. April erhöhte die Notenbank ihren Leitzins um weitere 50 Basispunkte auf 5 Prozent und am 11. Juni um weitere 50 Basispunkte auf 5,5 Prozent.

Die nächste Zinssitzung der Bank von Russland ist für den 23. Juli geplant. Gouverneurin Nabiullina bereitet die Märkte auf die Möglichkeit einer schockartigen Zinserhöhung vor. Auf der Juli-Sitzung werde die Zentralbank eine Erhöhung um "25 Basispunkten bis 1 Prozentpunkt" in Betracht ziehen, sagte sie im Interview mit Bloomberg. "Wir sehen, dass die Inflation erhöht bleibt" und dass "die Inflationserwartungen ziemlich hoch sind", so die Notenbankchefin.

Die anfänglichen Faktoren für diesen Inflationsschub waren die Abschwächung des Rubels im letzten Jahr und die Preissteigerungen bei Rohstoffen und Lebensmitteln, so Nabiullina. Diese beiden Faktoren allein würden keine geldpolitische Intervention erfordern. Aber jetzt blieben die Inflationserwartungen erhöht. "Das ist der Grund, warum wir sehen, dass die Inflationsbeschleunigung nicht vorübergehend ist, wie in vielen anderen Ländern, sondern eher anhaltend", sagte sie.

Als Folge der höheren Inflation sieht Nabiullina die Notwendigkeit, dass die russische Notenbank die Zinsen zu erhöht. "Wir haben den Märkten signalisiert, dass weitere Leitzinserhöhungen notwendig sein können, um die Inflation einzudämmen, und jetzt sehen wir, dass es gerechtfertigt ist", sagte sie. Die Wirtschaft habe sich recht schnell erholt. Das Nachfragewachstum übersteige das Wachstum des Angebots. Und diese Lücke schaffe zusätzlichen Inflationsdruck.

Russland hat weiterhin negative Realzinsen

Nach Ansicht von Gouverneurin Nabiullina ist die Geldpolitik der russischen Notenbank noch immer locker. Denn, so ihre Argumentation, der aktuelle Leitzins von 5,5 Prozent ist weiterhin niedriger als die Inflationsrate von zuletzt 6 Prozent und so die Inflationserwartungen. Demzufolge verfolgen EZB und Fed eine extrem lockere Geldpolitik. Denn deren Leitzinsen liegen derzeit bei 0 Prozent beziehungsweise im Bereich von 0 bis 0,25 Prozent, sodass ihre Realzinsen also viel weiter im negativen Bereich liegen als die russischen.

Die Bank von Russland will "die Anhäufung von Inflationsrisiken verhindern", so Nabiullina. Aber die Notenbank wolle auch, dass die Schritte für die Märkte "vorhersehbar" sind, weil unerwartete starke Zinsanstiege einige Schwierigkeiten für die Märkte schaffen können. Mit diesen Worten will die Notenbank-Chefin die Märkte offenbar auf eine kräftige Zinserhöhung im Juli vorbereiten. Indes halten EZB und Fed daran fest, dass die starke Inflation nur "vorübergehend" ist. Würden sie die Zinsen anheben, wäre dies ein wahrer Schock für die Märkte.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen US-Investoren strömen zu EARN Mining Cloud Mining und erzielen über 1.000 XRP pro Tag

Onchain-Daten zeigen, dass große Investoren bei einem XRP-Anstieg auf 3,10 US-Dollar Gewinne mitgenommen haben. Adressen mit Beständen...

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

DWN
Politik
Politik Draghi warnt: EU verliert geopolitische Bedeutung – welcher Reformplan für Europa dringend nötig ist
18.09.2025

Mario Draghi rechnet ab: Die EU habe ihre geopolitische Bedeutung überschätzt und sei heute schlecht gerüstet für die globalen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Amazon fährt Investitionen in Deutschland hoch
18.09.2025

Amazon baut seine Dominanz in Deutschland massiv aus. Milliarden fließen in neue Standorte, Cloud-Infrastruktur und Künstliche...

DWN
Politik
Politik USA liefern wieder Waffen mit europäischem Geld
18.09.2025

Die USA nehmen Waffenlieferungen an die Ukraine wieder auf – doch diesmal zahlt Europa. Für Deutschland könnte das teuer und politisch...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienmarkt Deutschland: Käufer kehren zurück, Zinsen steigen
18.09.2025

Der deutsche Immobilienmarkt lebt wieder auf. Mehr Käufer greifen zu, doch steigende Bauzinsen bremsen die Euphorie. Während die...

DWN
Politik
Politik Fed senkt Leitzins: Trump drängt auf geldpolitischen Kurswechsel
18.09.2025

Die US-Notenbank senkt erstmals seit Ende 2024 den Leitzins – ein Schritt, der tief in die innenpolitische Auseinandersetzung hineinragt....

DWN
Finanzen
Finanzen Inflation in Deutschland: Wieso sich so viele Deutsche Geld für Lebensmittel leihen
18.09.2025

Brot, Milch, Schulden: Mehr als die Hälfte der unter 50-Jährigen greift für Alltagsausgaben zum Kredit – oft bei der Familie. Wer...

DWN
Politik
Politik Draghi-Report: Ohne gemeinsame EU-Schulden verliert Europa gegen alle
18.09.2025

Ein Jahr nach seinem wegweisenden Draghi-Report warnt Mario Draghi vor einer dramatisch verschlechterten Lage der EU. Der ehemalige...

DWN
Finanzen
Finanzen Topmanager erwarten Trendwende bei Börsengängen
17.09.2025

Nach Jahren der Flaute sehen Topmanager eine Trendwende am Markt für Börsengänge. Warum Klarna den Wendepunkt markieren könnte und was...