Technologie

Hält ein deutsches Atomkraftwerk einem Angriff von Terroristen stand?

Können Terroristen ein deutsches Atomkraft stürmen und einen Gau auslösen? Die DWN sprachen mit einer Expertin über dieses brisante Thema.
25.07.2021 14:05
Aktualisiert: 25.07.2021 14:05
Lesezeit: 3 min
Hält ein deutsches Atomkraftwerk einem Angriff von Terroristen stand?
Das Kernkraftwerk Grohnde in der Gemeinde Emmerthal im Landkreis Hameln-Pyrmont (Niedersachsen / der besondere Effekt entsteht durch Langzeitbelichtung mit hochgezogener Kamera). (Foto: dpa)

Bei der Diskussion um die Sicherheit von Atomkraftwerken geht es meist um deren technische Zuverlässigkeit sowie die Herausforderung der Endlagerung der Brennstäbe. Aber was passiert, wenn ein AKW von Terroristen gestürmt werden sollte? Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben bei der Expertin Anna Veronika Wendland nachgefragt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Angenommen, eine Gruppe von schwer bewaffneten Terroristen stürmt ein Atomkraftwerk. Könnten sie einen Gau auslösen?

Wendland: Wir verfügen aus Geheimhaltungsgründen natürlich nie über die absolut zuverlässige Empirie über solche Fälle, aber bislang sind keine erfolgreichen Terroraktionen gegen Kernkraftwerke bekannt, die wirklich Auswirkungen auf die Reaktorsicherheit gehabt hätten. Das hat auch damit zu tun, dass die Sicherheitsvorkehrungen tiefengestaffelt sind. Es gibt mehrere Absperrungen, Vereinzelungsanlagen zur Zutrittsteuerung, Wachen hinter gepanzerten Türen. So leicht dringt also niemand bis in den Kontrollraum vor. Darüber hinaus gibt es noch mehrere Direktvorkehrungen gegen solche potentiellen Angriffe, die aber in der Öffentlichkeit nicht bekannt gemacht werden dürfen. Jeder, der in Atomkraftwerken arbeitet und von solchen Sicherheitsvorkehrungen Kenntnis hat, unterschreibt Verschwiegenheitserklärungen. Das musste auch ich machen, damit ich meine Recherchen in Atomkraftwerken anstellen konnte.

Sie bräuchten also schon eine Profitruppe, um sich bis zur Steuerungszentrale eines Atomkraftwerks durchzukämpfen. Und selbst wenn Angreifer bis dorthin vordringen sollten, könnten sie nicht einfach einen Gau herbeiführen, indem sie mit einem Joystick spielen. Dafür sind die technischen Abläufe innerhalb eines Atommeilers viel zu komplex. Wenn Terroristen also maximalen Schaden anrichten wollten, kämen sie bei einer Kosten–Nutzenanalyse wahrscheinlich zu dem Schluss, dass sich eine Chemiefabrik oder ein Bahnhof leichter angreifen ließen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Es sei denn, die Angreifer hätten technisch versierte Mitwisser vor Ort.

Wendland: Bei allem Grundvertrauen, das die Betreiber von Kernkraftwerken ihren Mitarbeitern entgegenbringen, ist natürlich nicht auszuschließen, dass sich jemand von der Belegschaft insgeheim radikalisiert und zum Mittäter eines Terrorangriffs werden möchte. Doch auch hier greifen wieder vielfältige tiefengestaffelte Schutzmaßnahmen, sowohl die redundant vorhandenen Sicherheitssysteme als auch das überall zur Anwendung kommende Mehr-Augen-Prinzip. Ein einzelner Mitarbeiter kann also gar nicht auf eigene Faust in sicherheitswichtige Funktionen eingreifen, ohne dass das unbemerkt bliebe. Sie können davon ausgehen, dass Angriffe von außen wie auch von innen – oder eine Kombination aus beidem – vor Inbetriebnahme eines Meilers ins Kalkül gezogen werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Könnten sich Angreifer über das Internet in das Sicherheitssystem eines Atomkraftwerkes hacken?

Wendland: Hackerangriffe sind ein immer wichtigeres Sicherheitsproblem für Industrie-Anlagen. Doch man muss differenzieren, was genau angreifbar ist. In unseren Kernkraftwerken ist die wichtigste Sicherheitsebene, der Reaktorschutz, nicht speicherprogrammiert, sondern verbindungsprogrammiert ausgelegt, das heißt fest verdrahtet, und ein so vordergründig altmodisches System ist nicht per Internet hackbar und wird ganz bewusst nicht bis zum letzten Stellglied durchdigitalisiert. Bekannt sind allerdings Angriffe auf digitale Maschinensteuerungen in anderen Industrie-Anlagen, die erheblichen ökonomischen Schaden verursachten. Sie sind also nicht grundsätzlich ausschließbar in KKW, wenn man etwa die Turbinensteuerung anschaut, aber die Frage ist, wie groß der denkbar maximale Schaden wäre – die Anlage fällt im Zweifelsfall zur sicheren Seite hin aus. Damit meine ich, dass sie sich durch eine Turbinen- und Reaktorschnellabschaltung aus dem Spiel nimmt. Dies kann durchaus einen empfindlichen ökonomischen, aber auch psychologischen Schaden auslösen. Denken Sie nur, was allein die Nachricht, Hacker hätten ein KKW zur Reaktorschnellabschaltung gebracht, auslösen würde. Da ist dann in der Öffentlichkeit gar nicht mehr interessant, dass das Kraftwerk ganz regulär in seine Nachkühlkette ging und sicher heruntergefahren wurde - oder vielleicht auch nur auf heißen Standby ging. Der Schaden wäre also diskursiver Natur. Auch so etwas - Destabilisierung, Streuung von Ängsten - ist im Interesse eines Angreifers, vor allem, wenn wir von Cyberwar zwischen staatlichen Akteuren sprechen. Jedes Land, das eine Kernenergie-Wirtschaft hat, sollte sich also auf eine solche, wenn auch wegen der guten Sicherung von KKW eher unwahrscheinliche Situation vorbereiten und auch offen kommunizieren, was erwartbar ist und was nicht.

Auch ein indirekter Angriff, etwa über einen per Hack herbeigeführten Stromblackout, um das Kühlsystem auszuschalten, würde ins Leere laufen. Deutsche Atomkraftwerke haben drei reguläre Netzanbindungen: das 400 kV-Landesnetz, in welches das Kraftwerk einspeist, das 110-kV-Fremdnetz, an dem es während der meisten Zeit der Revision hängt, wenn es selbst keinen Strom produziert, dazu noch ein 30 kV-Erdkabel. Die müssen erstmal lahmgelegt werden, um ein KKW total abzuschneiden. Erst wenn eine externe Stromversorgung oder ein Lastabwurf auf Eigenbedarf (eine Situation, in der der Generator schlagartig fast ohne Belastung läuft – Anm. d. Red.), nicht gelingt, landet die Anlage im Notstromfall, das heißt nun müssen Dieselgeneratoren einspringen, die dann nur noch die Verbraucher speisen, die zum Abfahren und Nachkühlen der Anlage nötig sind. Dafür gibt es bei uns zwei unabhängige Notstromsysteme mit je vier Notstromdieseln, davon eines in verbunkerten und nochmal extra gesicherten Gebäuden, und weitere mobile Dieselgeneratoren, die zur Not herangeführt werden können, sowie Dieselvorräte für eine Woche. KKW im Ausland sind allerdings nicht so robust ausgestattet, was Fukushima ja auch zeigte, wo vitale Einrichtungen nicht flutsicher untergebracht waren. Doch in der Gesamtbetrachtung würde ich sagen: Die Welt ist voller Gefahren, aber dass Menschen ihr Leben verlieren, weil Terroristen ein Atomkraftwerk kapern, würde ich für eine ziemlich unwahrscheinliche Todesursache halten. Die Empirie aus den vergangenen Jahrzehnten Kernenergie-Nutzung gibt so ein Ereignis auf jeden Fall nicht her.

Info zur Person: Dr. Anna Veronika Wendland ist Technik-Historikerin am Herder-Institut“ und am Sonderforschungsbereich "Dynamiken der Sicherheit" in Marburg. Für ihre Veröffentlichungen zur Geschichte der nuklearen Arbeit und der Reaktorsicherheit hat sie mehrere Jahre lang in Kernkraftwerken geforscht.

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