Wenige Wochen vor ihrer Amtsübergabe will Kanzlerin Angela Merkel in die USA fliegen, um Gespräche mit dem US-Präsidenten Joe Biden zu führen. Merkel und Biden hatten in der Vergangenheit Donald Trump attackiert, um sich für den Multilateralismus einzusetzen. Doch Merkel und Biden haben verschiedene Ansichten darüber, wie der Multilateralismus aussehen soll. Während die USA darauf bestehen, dass Deutschland sich im Rahmen der transatlantischen Gemeinschaft gegen China und Russland engagiert, verfolgt die Kanzlerin wirtschaftliche und politische Ziele, die eine Kooperation mit den beiden Ländern unabdingbar machen.
„Stattdessen hat Merkel, wie sie es gewohnt ist, Biden zweimal brüskiert. Der erste Affront ereignete sich im Dezember, nur wenige Wochen bevor Biden seinen Amtseid ablegen sollte, als sie einen chinesisch-europäischen Investitionsvertrag in die nächste Phase schob – ohne Bidens Team zu konsultieren. Anstatt Washington dabei zu helfen, Peking einzuschränken, will Merkel, dass Europa sich seine Optionen offen hält. Die zweite und schlimmere Brüskierung war ihre Weigerung, auch nur einen Zentimeter auf die parteiübergreifenden amerikanischen Forderungen bezüglich des Baus einer umstrittenen Gaspipeline von Russland nach Deutschland einzugehen“, so „Bloomberg“.
Mit dem Projekt Nord Stream 2 hat sich Deutschland in die Zwickmühle katapultiert. Einerseits muss Berlin Polen, die baltischen Staaten und die USA besänftigen, doch andererseits verfolgt die Bundesregierung mit dem Bau von Nord Stream 2 unilaterale energiepolitische Ziele.
Die Ostseepipeline Nord Stream 2 soll in einigen Wochen fertiggestellt sein. „Wir gehen davon aus, dass die Bauarbeiten Ende August beendet sind“, sagte der Vorstandschef der Nord Stream 2 AG, Matthias Warnig, dem „Handelsblatt“. „Mittlerweile sind 98 Prozent der Pipeline fertiggestellt. Die zwei Prozent, die noch fehlen, betreffen einen der beiden Stränge. Der andere Strang ist komplett gebaut“, erläuterte Warnig.
Ziel sei es, die Erdgas-Pipeline „noch in diesem Jahr in Betrieb zu nehmen“, bekräftigte der Geschäftsführer. Berichte, es gebe Probleme mit der von den Genehmigungsbehörden geforderten Zertifizierung der Arbeiten, wies Warnig zurück. „Am Ende wird eine Pipeline stehen, die allen Genehmigungsanforderungen und internationalen Industriestandards gerecht wird“, sagte er.
Mit Blick auf die künftige Rolle der Ukraine als Transitland für russisches Erdgas sagte Warnig, er habe „nicht den geringsten Zweifel“, dass der Transit „auch nach 2024 fester Bestandteil des Gastransports von Russland nach Europa sein“ werde. Ende 2024 endet die bestehende Transitvereinbarung zwischen Russland und der Ukraine. „Ich gehe davon aus, dass dies bereits in Gesprächen von der Bundesregierung gegenüber Russland angesprochen wurde“, sagte Warnig.
Im Kern geht es darum, wie der Ukraine die Milliarden-Einnahmen aus dem russischen Gastransfer langfristig gesichert werden können. Die Bundesregierung will sich um eine frühzeitige Verlängerung des Vertrages bemühen.
Die Pipeline Nord Stream 2 verläuft von Wyborg in Russland durch die Ostsee bis nach Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern. Sie soll künftig 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr von Russland nach Deutschland befördern. Das Projekt ist umstritten. Die US-Regierung kritisiert, Europa mache sich dadurch bei der Energieversorgung zu stark von Russland abhängig.